So geht Oper: Bravo-Rufe ohne Ende in der Pariser Opéra Bastille - Traumstart mit Bellinis "I Puritani"

Vincenzo Bellini, I Puritani,  Opéra National de Paris / Opéra Bastille, 7. September 2019 (Premiere, Saisoneröffnung)

Copyright: Sebastian Mathé, ONP
Igor Golovatenko (Sir Riccardo Forth), Gemma Ní Bhriain (Enrichette Di Francia) und Javier Camarena (Lord Arjavierturo Talbot)

Opéra National de Paris / Opéra Bastille, 7. September 2019 (Premiere, Saisoneröffnung)
Vincenzo Bellini, I Puritani

von Lukas Baake

Die Pariser Oper Opéra Bastille zeigt, wo in Europa musikalisch der Hammer hängt. Während es an der Deutschen Oper Berlin zu Saisonbeginn zu einem Buh-Orkan und Brüllduellen kommt (Frank Castorf inszenierte Giuseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“), an der Staatsoper Hamburg, also in der zweitgrößten deutschen Stadt, die Menschen artig und ohne jegliches Bravo eine Oper für absolute Insider mit höflichem Applaus bedenken und bei zwei zeitversetzten Open-Air-Filmaufführungen im Stadtzentrum und in HH-Harburg großes Desinteresse und Befremdung dominieren (Dmitri Schostakowitsch, Die Nase); während an der sonst meist für Sternstunden sorgenden Wiener Staatsoper nach Auffassung der meisten Beobachter mit Verdis „La Traviata“ ein glanzvoller Start in die Opernsaison ausbleibt, vor allem weil Sänger mit großen Namen wenig prachtvoll singen (Charles Castronovo, Thomas Hampson), stimmt  an der Seine musikalisch und darstellerisch fast alles – und die Zuschauer sind RICHTIG aus dem Häuschen: auf dem Programm steht Vincenzo Bellinis „I Puritani“.

Sicher ist es im Jahr 2019 auch einfacher und schlicht und ergreifend erfolgreicher, mit Bellini als mit Schostakowitsch eine Opernsaison zu eröffnen. In Hamburg fragen sich indes viele Menschen und Opernliebhaber, wer auf die „Schnapsidee“ gekommen ist,  mit der „Nase“ in die Spielzeit zu starten.

I Puritani verschaffte dem Komponisten Bellini kurz vor dessen Tod einen letzten großen Erfolg. 184 Jahre nach der Uraufführung in Paris widmete sich nun die Opéra Bastille dem Spätwerk Bellinis zur Eröffnung der neuen Saison, die, vor dem Intendantenwechsel 2021, bereits den Abschied von Stéphane Lissner ankündigt.

Der historische Hintergrund des englischen Bürgerkriegs, vor dem sich die Handlung von Bellinis Spätwerk abspielt, war in der Inszenierung nur zu erahnen. Neben den historisierenden Kostümen deutete ein das ganze Stück über auf der schwach illuminierten Bühne stehendes, großes Metallgestell auf den zeitlichen Kontext der Handlung hin. Das sich rotierende, metallische Gerippe durchlief zwischen den Akten verschiedene Metamorphosen: Mal war eine große Burg mit romanischen und gotischen Elementen oder ein Schlossturm, ein anderes Mal ein Gefängnis zu erkennen. Diese betont reduzierte, minimalistische Ausstattung der Bühne bot der Entfaltung der recht konventionellen Liebesgeschichte viel Raum, den der Regisseur Laurent Pelly durch eine kluge Personenführung geschickt auszunutzen verstand.   

Ausgangspunkt der Handlung ist ein Dreiecksverhältnis, in dem sich politische und persönliche Motive mischen. Elvira, die Tochter eines Anführers der Puritaner, wird von zwei Männern geliebt: Riccardo, einem Parteigänger des Vaters, und Arturo, einem Royalisten, dem Elviras Herz gehört. Trotz dessen politischer Gesinnung gestattet Elviras Vater seiner Tochter die Hochzeit mit Arturo, der jedoch kurz vor der Trauung mit der gefangenen Königin flieht. Der plötzliche Verlust ihres Geliebten stößt Elvira in den Zustand tiefer geistiger Umnachtung, und erst die Rückkehr Arturos und dessen drohender Tod nach der Festnahme durch die Puritaner kann Elvira wieder zur Normalität bringen. Kurz vor Arturos Exekution trifft die rettende Nachricht von der Amnestie aller Gefangenen durch die siegreichen Puritaner ein und löst allgemeine Freude aus.

Man merkte allen Beteiligten die Anspannung zu Beginn der Premiere an, die sich aber schnell legte. Das Orchester, geleitet von Riccardo Frizza, einem Experten des italienischen Repertoires, wirkte bei der Ouvertüre noch etwas unausgeglichen. Im Anschluss fanden Dirigent und Orchester zurück in die Spur: umsichtig und zurückhaltend, mit genug Raum für die Sänger, durchdacht und mit dem nötigen Gespür für die musikalische Dramaturgie leitete Frizza durch das Stück.

Auch Elsa Dreisig als Elvira fand zu Beginn nicht mit dem Orchester zusammen. Doch spätestens in den Szenen, die sie in tiefster Verzweiflung und traumhafter Entrückung zeigten und ihr sowohl schauspielerisch als auch sängerisch viel abverlangten, gelang ihr Großes.

Javier Camarena, der den Arturo verkörperte, konnte durch seinen kraftvollen, direkten und hellen Tenor glänzen, hatte aber sichtlich Probleme mit den – in diesem Fall zu – hohen Spitzentönen.

Luc Bertin-Hugault verkörperte den Vater Elviras und konnte sich gerade in den Ensemble-Szenen durch seinen samtenen und warmen Bass hervortun. Auch Javier Camarena als Arturo und Gemma Ní Bhirain als gefangene Königin wussten im Ensemble und als Solisten ihre sängerischen Qualitäten zu präsentieren.

Immer wieder honorierte das Pariser Publikum die insgesamt sehr gute Leistung der Sänger mit euphorischem Beifall, der sich nach dem letzten Bild in einem Meer von „Bravo“-Rufen entlud. Lediglich die Regie von Laurent Pelly wurde mit vereinzelten Ausrufen des Missfallens bedacht. Nichtsdestotrotz gelang der Pariser Oper ein wunderbarer Auftakt, der neugierig macht auf die kommende Saison.

Lukas Baake, 9. September 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de

Elvira, Elsa Dreisig
Lord Gualtiero Valton, Luc Bertin-Hugault
Sir Giorgio, Nicolas Testé
Lord Arturo Talbot, Javier Camarena
Sir Riccardo Forth, Igor Golovatenko
Sir Bruno Roberton, Jean-François Marras
Enrichetta di Francia, Gemma Ní Bhriain
Dirigent, Riccardo Frizza
Regisseur, Laurent Pelly

 

 

 

 

 

 

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