Foto: Yusif Eyvazov als Manrico, Michelle Bradley als Leonora © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 25. September 2019
Giuseppe Verdi, Il trovatore
von Jürgen Pathy
Bei einer Sache sind sich fast alle einig: „Il Trovatore“ ist eine Oper, bei der vor allem der Gesang und die Musik im Mittelpunkt stehen. Für darstellerische Akrobatik bleibt in diesem Racheepos, dessen Inhalt auf den ersten Blick enorm komplex und seltsam erscheint, wenig Spielraum. Kein Geringerer als der große Enrico Caruso soll es gewesen sein, der einst meinte: „Eigentlich ist die Oper recht leicht aufzuführen, man braucht nur die besten vier Sänger der Welt“. Doch die stehen selbst einem Traditionshaus wie der Wiener Staatsoper nicht jeden Tag zur Verfügung – schon gar nicht im alltäglichen Repertoire-Programm.
Im Mittelpunkt dieser Serie steht eindeutig Yusif Eyvazov. Seit der Hochzeit mit Anna Netrebko im Dezember 2015 ist beim Paradiesvogel, der privat stets durch sein buntes Outfit glänzt, kein Stein auf dem anderen geblieben. New York, Salzburg, Mailand, Wien. Über Nacht standen dem einst jungen Nobody, der in Algier geboren und in Aserbaidschan aufgewachsen ist, plötzlich alle Türen offen. Egal ob als Radames in „Aida“, Calaf in „Turandot“ oder eben in der Partie des Manrico in „Il Trovatore“, in der man Eyvazov bereits 2017 in der Wiener Staatsoper erleben durfte – damals noch als Einspringer an der Seite seiner Göttergattin, in dieser Saison bereits ohne intergalaktischen Beistand. Als „Troubadour“, der singend das Herz seiner Leonora verzaubert und letztendlich auf dem Schafott landet, darf Eyvazov nun auch als Original-Besetzung ran. Ob zurecht oder doch nur des Familienbonus wegen, da scheiden sich die Geister.
Für die einen ist und bleibt er ein unliebsames Anhängsel, dessen Stimme von viel zu viel Metall ummantelt und von fehlender Vielfalt geprägt wird. Für die anderen, wie Placido Domingo, ist Eyvazov ein „lyrischer Spinto mit all der Kraft, die man dafür benötigt – die Höhe phänomenal, sehr musikalisch und mit viel Gefühl in seinem Gesang“. Wie immer man es auch drehen mag, Eyvazov polarisiert, und die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen.
Versteckt hinter bunten Outfits, spacigen Sneakers und trendig gestyltem Vollbart lodert eine Stimme, die das Potenzial hätte, Herzen zu erwärmen, Kronleuchter zu entzünden und der Konkurrenz ordentlich einzuheizen. Die Stimme verfügt über Schmelz, die Höhen sitzen bombensicher, und das Timbre schimmert in einem unverwechselbaren Metall, dessen Färbung auf jeden Fall aufsehenerregend und unverwechselbar nachhallt. Eyvazov hätte das Zeug, um zu den ganz Großen aufzusteigen, wären da nicht diese eklatanten Baustellen.
Zum einen fehlt es an der bereits erwähnten Vielfalt und Gestaltungskraft. Zum anderen mangelt es an einer Sache, die gerade in der Wiener Staatsoper von ungeheurer Bedeutung ist: am Stimmvolumen. So berührend die Stretta („Ah, si ben mio. Di quelle pira!“) zum Ende des dritten Akts auch klingen mag, lässt Dirigent Alberto Veronesi dem Staatsopernorchester einmal zu viel Spielraum, verkommt Eyvazov zum Hauptdarsteller einer Pantomime-Show. Beinahe mitleiderregend wirkt die umherirrende Gestalt, die im Orchester-Unisono und in den zahlreichen Vokalensembles völlig untergeht. Da kennt das Haus am Ring einfach keine Gnade! Um hier als Spinto, dem italienischen Gegenstück zum jugendlichen Heldentenor zu reüssieren, sind Volumen und Durchschlagskraft unumgänglich. Wenig hilfreich scheint auch der um dreißig Kilogramm gedrosselte Resonanz-Körper, den sich Eyvazov mit eiserner Disziplin seit Dezember 2018 erhungert hat.
Dabei haben Regisseur Daniele Abbado und sein Bühnenbildner Graziano Gregori die perfekte Klangkulisse auf die Bühne gezimmert. Kein Schnickschnack, keine drehenden Bühnen oder ähnlicher egoistischer Firlefanz, der das Leben der Sänger nur erschweren würde. Stattdessen viele freie Flächen, ideale Dimensionen und weitläufige Holzvertäfelungen, die den enorm schwierigen Partien eine perfekte Schallmauer bieten.
Davon schwärmte nicht nur Anna Netrebko, die Premieren-Leonora von 2017, auch Michelle Bradley ist voller Lob für die sängerfreundliche Inszenierung und legt an diesem Abend ein Versprechen für die Zukunft ab. Die Sopranistin spielt und singt eine Leonora, der man die liebende, leidende Hofdame in allen Lagen abkauft – kraftvoll, dramatisch in der Tiefe, mit strahlender Blüte in den Höhen und zusätzlich einer ansprechenden Pianissimo-Kultur. Etwaige Schwächen, von denen die Kritik anlässlich der ersten Aufführung berichtete, mögen der Aufregung und der ungewohnten Umgebung geschuldet gewesen sein. Immerhin gibt die US-Amerikanerin in dieser Aufführungsserie ihr Haus– als auch Rollendebüt. Von den fehlenden Orchesterproben, die an der Wiener Staatsoper zu den kostbarsten Gütern zählen und dem hohen Orchestergraben wurden bestimmt auch schon andere Neulinge überrascht.
Mit den Sitten und Gebräuchen des Hauses bestens vertraut, ist Sorin Coliban, der kurzerhand für den erkrankten Jongmin Park in die Bresche springt und als debütierender Ferrando seine Sache mehr als solide meistert. Ebenso Monika Bohinec, die als Azucena vor allem im tiefen Register einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Abgerundet wird das solide Sängerkollektiv von Urgestein Roberto Frontali, der als Graf Luna zwar nicht wirklich glaubhaft beteuern kann, dass „jede seiner Fasern vor Liebe blüht“, mit seinem tenoral klingenden Bariton jedoch über alle Zweifel erhaben wirkt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 26. September 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Alberto Veronesi, Dirigent
Daniele Abbado, Regie
Graziano Gregori, Bühnenbild
Carla Teti, Kostüme
Alessandro Carletti, Licht
Roberto Frontali, Il Conte di Luna
Michelle Bradley, Leonora
Monika Bohinec, Azucena
Yusif Eyvazov, Manrico
Sorin Coliban, Ferrando
Simina Ivan, Ines
Carlos Osuna, Ruiz
„Ah si ben mio“ ist noch immer eine Arie, der folgt die Stretta „Di quella pira“.
Ein Tenor, der mit dem Manrico im Arenarund Verona höchst erfolgreich war, hätte plötzlich nicht genug Volumen für die Wiener Staatsoper? Wo hat der Schreiber seine Ohren abgegeben?
Nichts für ungut
Fred Keller