Die slawische Seele missverstanden: Dvořáks "Requiem" bleibt unter den Erwartungen

Antonín Dvořák, Requiem op. 89, Wiener Musikverein, 24. September 2019

Foto: © Werner Kmetitsch

Mit gewaltigem Lärm, Solisten, die wie eine Hammond-Orgel vibrieren, und einem überalteten Chor blieb die Aufführung des Dvořák-Requiems leider unter den Erwartungen zurück.

Wiener Musikverein, Goldener Saal,
24. September 2019

Antonín Dvořák: Requiem op. 89

Alžběta Poláčková, Sopran
Lucie Hilscherová, Alt
Carlos Cardoso, Tenor
Jozef Benci, Bass

Slowakischer Philharmonischer Chor
Jozef Chabroň, Einstudierung

Tonkünstler-Orchester
Marek Šedivý, Dirigent

von Lukas Sehr

Lieber schreibt man über Konzerte, die man glücklich und zufrieden verlässt. Es muss ja nicht immer Lebensveränderndes geschehen, aber man würde sich über einen schönen Abend freuen und mit Freude eine positive Rezension schreiben. Was aber, wenn man am liebsten schon nach 20 Minuten gehen würde? Wenn man anschließend als einziger nicht applaudiert und sich fragt, ob das gesamte Publikum das gleiche Konzert erlebt hat?

Es war nicht die Schuld der Tonkünstler, einem Orchester, das immerzu hochmotiviert wirkt und musikalisch stets sein Bestes gibt. Leider macht die Arbeit des Dirigenten aber halt doch eine Menge aus. Debütant Marek Šedivý schlug den Takt und gab verlässlich Einsätze. Allerdings fehlten jegliche Gestaltungskraft, musikalische Visionen und ein Gespür für dynamische Dramatik. Dvořák doppelt gerne die Chor- und Solistenstimmen, drum ist es die Verantwortung des musikalischen Leiters, das Orchester zu zügeln und zu einfühlsamem Begleiten zu animieren.

Mit den Tonkünstlern hätte der 1987 geborene Tscheche einen Klangkörper zur Verfügung gehabt, dessen Mitglieder das musikalische Feingefühl dazu besitzen. Es erklang mit wenigen Ausnahmen ein gesundes Mezzo-Forte (oder oft mehr), ein Blick in die Partitur verrät aber differenzierte Pianissimi, die einfach vernachlässigt wurden. Von Takthierarchie keine Spur, Musizieren wie mit der Axt im Walde. Ob es der „slawischen Seele“ entspricht, immerzu einen „großen Klang“ zu suchen, ist fraglich – man darf eine solche Ästhetik getrost für schlechten Stil und altmodisch halten.

Von den vier Gesangssolisten konnte nur der Bass Jozef Benci überzeugen, der mit samtigem Timbre und offener, ausdrucksstarker Stimme sang. Höhepunkt des Konzerts war sein Duett mit der Bassklarinette im Hostias. Auch Tenor Carlos Cardoso steigerte sich im Laufe des Konzertes, hatte aber wie alle beteiligten Sänger Mühe, gegen den ungezügelten Orchesterklang anzuschreien. Alle Sänger wirkten aus diesem Grund gegen Ende stimmlich müde. Altistin Lucie Hilscherová, eigentlich mit einer schönen Stimme gesegnet, und Sopranistin Alžběta Poláčková sangen mit dermaßen viel Vibrato, ans Tremolo grenzend, dass man kaum konkrete Tonhöhen ausmachen konnte. Hand aufs Herz: Gefällt das irgendwem wirklich?

Es ist ein großes Missverständnis, dass spätromantische Musik so gesungen gehört. Man darf weiterhin hoffen, dass die historisch informierte Aufführungspraxis mit solchen rückständigen Klangidealen aufräumt, die im heutigen Konzertbetrieb nichts mehr zu suchen haben sollten! Ich meine nicht eine gesund und natürlich, bestenfalls kontrolliert vibrierende Stimme, die projiziert und sich auf einer großen Bühne durchsetzen kann. Aber wenn man das filigran chromatische Kreuzmotiv aus der Kehle der Sopranistin nicht mehr erkennt, wenn Quartettpassagen ein einziges Rauschen werden, in dem man die polyphone Stimmführung nicht mehr erkennen kann, ist eindeutig ein gesundes Maß überschritten. Dass vielen Sängern an den meisten Musikhochschulen Chor- und Ensemblesingen verboten oder kaum unterrichtet wird, sei nur am Rande erwähnt.

Der Slowakische Philharmonische Chor gab mir den ganzen Abend lang Rätsel auf. Notentextlich hervorragend sicher einstudiert, gelangen manche leiseren Passagen recht klangschön, insbesondere die Männerchöre gefielen. Oft fehlte aber die Balance zwischen den Stimmen und auch die Intonation ließ sehr zu wünschen übrig. Nach längeren a-capella-Passagen schien das Orchester einen Viertelton zu hoch einzusetzen – nein, natürlich war der Chor gesunken. Eine konsequente Verjüngung würde dem Klangkörper sicher gut tun.

Fazit: Es gibt bessere Sänger und Chöre in Wien, außerdem junge tschechische Dirigenten, die eher eine Chance im Musikverein verdient hätten. Schade, dass ein solch niedriges künstlerisches Niveau geboten und vom weniger kritischen Publikum mit üppigem Applaus quittiert wird.

Lukas Sehr, 26. September 2019, für
klassik-begeistert.de
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