Weihnachtswunderbar: "Der Nussknacker" in München

Peter I. Tschaikowsky, Der Nussknacker,  Nationaltheater München, 17. Dezember 2019

Foto: Nancy Osbaldeston (Marie), Jonah Cook (Drosselmeier).
© Wilfried Hösl

Nationaltheater München, 17. Dezember 2019

Peter I. Tschaikowsky, Der Nussknacker

Choreographie: John Neumeier

von Barbara Hauter

„Der Nussknacker“ ist das vorweihnachtliche Pflichtprogramm jeder großen Ballettkompanie. So auch für die Münchner. Und auch wenn man das getanzte Weihnachtsmärchen nach E. T. A. Hoffmann schon oft gesehen hat, es gibt kaum eine schönere Einstimmung auf die Festtage, als sich dem traumhaften Tanzgeschehen hinzugeben. Vor allem, wenn es wie in München gelingt, beim Zuschauer ein Licht im Herzen zu entzünden.

Dabei ist der Münchner Nussknacker gar kein Weihnachtsmärchen. Getanzt wird die Choreografie von John Neumeier aus dem Jahr 1971. Und der macht aus dem Weihnachts- ein Geburtstagsfest. Er interpretiert die Geschichte um Maries Traum als eine Art Erweckung: Marie feiert ihren 12. Geburtstag. Sie steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Der Nussknacker ist das Symbol ihrer Kindheit, an dem sie sich vertrauensvoll festhält. Doch sie träumt vom Tanz. Und der Tanz kann als Symbol des Erwachsenseins, der Teilhabe an allen Bereichen des Lebens gelesen werden.

Im ersten Akt ist Marie noch ganz Kind. In opulenter Biedermeier-Umgebung schwirren um sie herum die Erwachsenen: ihre gestrengen Eltern, ihr Bruder mit seinen Kadetten-Freunden, ihre Schwester und vor allem Ballettmeister Drosselmeier. Die Britin Nancy Osbaldeston berührt in dieser Rolle mit ihrem zarten, fast naiven Charme, man mag kaum glauben, dass da eine Erwachsene tanzt.

Ihr technisches Können zeigt allerdings, dass hier eine in der Rolle Erfahrene auf der Bühne steht. Sie staunt mit großen kindlichen Augen. Und doch leuchtet in Nancy Osbaldeston schon der Keim zum Wandel: Sie schwärmt für den Anführer der Kadetten und bekommt vom Ballettmeister Spitzenschuhe geschenkt. Die Schuhe, mit denen sie die Welt der Erwachsenen betreten kann.

Prisca Zeisel (Louise), Jonah Cook (Drosselmeier). © Wilfried Hösl

Marie schläft ein und träumt. Der zweite Akt ist im Kontrast zum ersten sehr reduziert. Eine Ballettstange im leeren, weißen Probenraum, es wird trainiert. Marie beobachtet, probiert sich als Tänzerin aus. Angeleitet von Drosselmeier wird sie immer wieder ermahnt, wenn das ungestüme Kind aus ihr hervorbricht, zurückgeschickt an ihren Zuschauerplatz, darf aber zusehends immer mehr mitmachen. Der zweite Akt gleicht fast einer Art Kokon, aus dem dann im dritten Akt der schillernde bunte Schmetterling schlüpft. Er ist eine Explosion an Farben und Ideen. Ein einzigartiges Tanzfest.

Drosselmeiers Ballette werden gezeigt. Eine Reverenz an Marius Petipa, den Vater des klassischen Balletts, der hier in elf Mini-Choreographien zitiert und gewürdigt wird. Eine temperamentvolle spanische Tänzertruppe tritt auf (wunderschön anzusehen: Maria Chiara Bono, Marina Duarte, Elisa Mestres, Alexey Dobikov, Nikita Kirbitov), ein chinesischer Vogel (einfach hinreißend: Marta Navarrete Villalba), ein Pharaonen-Paar (darin glänzen Maries Eltern: Kristina Lind und Henry Grey). Ein lebender Garten, tanzende Leutnants und viele wunderschöne Pas de Deuxs werden von Marie und dem Nussknacker-Publikum zugleich bestaunt.

Ensemble. © Wilfried Hösl

Denn die Ballette sind Drosselmeiers Einführung in die Welt des Theaters. Was für ein passendes Bild für die Welt der Erwachsenen. Alexey Popov gibt seinem exzentrischen und doch strengen Drosselmeier dabei immer einen Schuss Witz und würzt ihn neben aller technischen Brillanz mit Ironie.

In den vielen Mini-Balletten zeigt die Münchner Kompanie, auf welchem hohen Niveau sie inzwischen tanzt: Nicht nur die Oper der Isar-Metropole hat zu Recht international einen großen Namen, das Ballett zieht hinterher.

In dieser großen Hör-Tradition kommt beim Nussknacker wie selbstverständlich auch der Hörgenuss nicht zu kurz. Das Bayerische Staatsorchester unter Robertas Šervenikas liefert einen brillanten Tschaikowsky. Unendlich leicht, dramatisch, prunkvoll und nuanciert. Bravo. Weihnachten kann kommen.

Barbara Hauter, 18. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Robertas Šervenikas

Inszenierung und Choreographie: John Neumeier

Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose

Musik: Peter I. Tschaikowsky

Konsul Stahlbaum: Henry Grey

Frau Konsul Stahlbaum: Kristina Lind

Marie, ihre Tochter: Nancy Osbaldeston

Louise, ihre Schwester, eine Ballerina: Prisca Zeisel

Fritz, ihr Bruder, ein Kadett: Ariel Merkuri

Ballettmeister Drosselmeier: Alexey Popov

Günther, Anführer der Kadetten: Emilio Pavan

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Bayerisches Staatsorchester

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