Nach Schluss des 1. Satzes schwoll das Husteninferno im Saal derartig an, dass es fast einem verabredeten Flashmob ähnelte. Wann wird einmal in einer derartigen Situation ein Dirigent sich zum Publikum umdrehen und dieses bitten, sich zur Durchführung eines gemeinschaftlichen Aushustens zu erheben? Wenn dann noch – während des Konzerts – einzelne Besucher laut hustend den Saal verlassen und dann dabei noch mehr Lärm machen, frage ich mich, wo eigentlich die Grenze des Respektes ist. Peinlich für Hamburg und eine Respektlosigkeit gegenüber den Musikern.
Foto: © Thies Rätzke
Laeiszhalle, Hamburg, 19. Dezember 2019
Symphoniker Hamburg
Konzert: Ludwig van Beethoven
Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling
Solistin: Carolin Widmann, Violine
Veranstalter: Symphoniker Hamburg, Intendant: Daniel Kühnel
von Dr. Holger Voigt
Was könnte es Schöneres geben, als inmitten des vorweihnachtlichen Trubels und der bleiernen Dunkelheit einen Schritt zur Seite zu treten und sich der Leuchtkraft Beethovenscher Musik zu öffnen? So geschehen in der ehrwürdigen Laeiszhalle in Hamburg an einem finsteren Donnerstagabend, fünf Tage vor Heiligabend.
Ludwig van Beethovens Geburtstag (17. Dezember 1770) jährt sich am 17. Dezember 2020 zum 250. Mal, und damit steht ein prall gefülltes Gedenkjahr ins Haus. Die Hamburger Symphoniker hatten sich deshalb entschlossen, noch vor Weihnachten ein Auftaktkonzert zu präsentieren.
Auf dem Programm standen das wohl weltweit bekannteste – aber einzige – Violinkonzert Beethovens aus dem Jahre 1806 sowie seine 1808 uraufgeführte sechste Sinfonie op. 68 in F-Dur, auch bekannt unter dem Beinamen „Pastorale“ („Sinfonia pastorella“).
Als Solistin konnte die in München geborene, vielfach preisgekrönte Violinistin Carolin Widmann gewonnen werden, die sich an diesem Abend mit den Hamburger Symphonikern unter der Leitung ihres Chefdirigenten Sylvain Cambreling zum Konzertvortrag einfand.
Beethovens Violinkonzert wurde bis heute so häufig aufgeführt, dass es eine geradezu überbordende Konzerthistorie nachzulesen gibt. Es ist erstaunlich, wie dieses quasi sinfonisch angelegte Solokonzert zu völlig unterschiedlichen, oft auch umstrittenen Interpretationen Anlass geben kann. Eigentlich klingt es fast nie „gleich“, was aber eben den besonderen Reiz ausmacht. Ich selbst habe fast unzählige Aufführungen mit den verschiedensten Solisten, Orchestern und Dirigenten erlebt und dabei meine persönlichen Lieblinge entdeckt. Auch die jeweils gespielten Violinen klangen höchst unterschiedlich. Somit war es für mich an diesem Abend auch viel Neugier auf Neues, die mich mit besonderem Interesse in die Laeiszhalle trug.
Um es vorweg zu sagen: Der Vortrag des Violinkonzertes an diesem Abend hinterließ bei mir einen sehr zwiespältigen Eindruck. Woran lag das?
Zunächst erschien das von Sylvain Cambreling vorgegebene Grundtempo viel zu langsam und ausgedehnt. Allein dadurch entstand so etwas wie eine dramatische Beschwerniss, die diesem Werk nun gar nicht entspricht. Es klang so, wie man sich einen „gravitätischen Schubert“ vorstellen könnte, wenn es ihn denn tatsächlich gäbe oder gegeben hätte. Dieses Violinkonzert ist aber eben nun mal kein „Egmont“.
War das langsame Tempo eigentlich vom Dirigenten oder von der Solistin vorgegeben worden? Durch den verlangsamten Fluss klang auch die Solovioline nicht in leuchtender Strahlkraft. Anfänglich hatte ich den Eindruck, sie sei einen Hauch zu tief gestimmt, aber da ich eine G.B. Guadagnini nie zuvor bewusst gehört habe, möchte ich nicht ausschließen, dass es sich um ein genuines Klangmerkmal handeln könnte. Im weiteren Verlauf klang sie indes in den höheren Bereichen immer schöner – wohl auch dünner – und ließ eine wunderschöne und ausdrucksstarke Klangfeinheit entstehen. Carolin Widmann überzeugte dabei mit einer perfekten und filigranen Technik, die zum Staunen Anlass gab. Gleichwohl aber klang die Violine in ihrer Führung nie richtig schlank und beweglich, eben weil die Tempovorgabe des Orchesters ihr keine andere Wahl ließ. So klebte die Vioine förmlich auf dem Tempo fest.
Zu allem Überfluss ereignete sich dann – gerade in den Piano-Pianissimo-Abschnitten bzw. den Kadenzen – die Katastrophe des Abends: Immer mehr Huster und Räusperer störten das Konzert; es wurde sogar laut geredet und auch ein elektronischer Klingelton war vernehmbar. Und das alles verdichtete sich besonders zu dem Zeitpunkt, als Carolin Widmann ihre hochinterssanten unsd sehr schönen eigenen Kadenzen a capella vortrug. Nach Schluss des 1. Satzes schwoll nun das Husteninferno im Saal derartig an, dass es fast einem verabredeten Flashmob ähnelte. Wann wird einmal in einer derartigen Situation ein Dirigent sich zum Publikum umdrehen und dieses bitten, sich zur Durchführung eines gemeinschaftlichen Aushustens zu erheben? Wenn dann noch – während des Konzerts – einzelne Besucher laut hustend den Saal verlassen und dann dabei noch mehr Lärm machen, frage ich mich, wo eigentlich die Grenze des Respektes ist. Peinlich für Hamburg und eine Respektlosigkeit gegenüber den Musikern.
Nach dem wunderschön vorgetragenen Larghetto und dem sich nahtlos anschließenden Rondo, dessen Tempo gottlob nun etwas schneller war, wurde die Solistin mit herzlichem und lang anhaltendem Applaus bedacht. Als kleine Zugabe spielte sie ein Stück aus der 7. Fantasie von Georg Philipp Telemann.
Insgesamt blieb bei mir eine Enttäuschung zurück. Man sollte wissen, dass Beethoven zum Zeitpunkt der Komposition, die für den Geiger Franz Joseph Clement vorgesehen war, himmelhochjauchzend verliebt war. Man könnte ihn sich auch vorstellen, wie er über die Wiesen läuft und dabei vor lauter Glück einen Purzelbaum nach dem anderen schlägt. Das Werk trieft geradezu vor Freude, beseeltem Glück und Lebenslust, und selbst die Adressatin seiner Gefühle wurde von ihm kompositorisch chiffriert – denn er kommunizierte in emotionalen Dingen nur musikalisch. So erklingt das Eingangsmotiv im ersten Satz fast wie ein Sprachdialog im Sinne von: „…ich lie-be Jo-se-fine…“ und meint dabei die Adelstochter der Brunswick-Familie Josefine von Brunswick.
Kurzum: Dieses Konzert sollte man nicht dramatisch oder elegisch verfremden. Es ist hell, klar, optimistisch, glückselig und an Esprit überwältigend, muss schlank, graziös und beweglich klingen. Seine Glückseligkeit muss auf die Zuhörer unmittelbar überspringen und auf deren Gesichtern abzulesen sein. Hier gab es allerdings oft nur Husten-verzerrte Einheitsgesichter.
Beethovens Sorge um den Verlust seines Gehörs drückte er 1802 in seinem „Heiligenstädter Testament“aus, eigentlich lediglich ein Brief an seine Brüder Kaspar Karl und Johann. Unablässig kreisten seine Gedanke um sein Gehör und dessen Erhalt. Er nutzte viele seinerzeitig verfügbare oder entwickelte Hilfsmittel, z.B. ein Hörrohr oder ein (sichtbar arbeitendes) Metronom. Er war kein Kirchgänger, kein gläubig-klerikaler Mensch, aber doch gottesfürchtig, ja gottesliebend, auch wenn er mit Gott oftmals haderte und ihn zur Rede stellte. Immer wieder zog es ihn in die Natur, in der er die Präsenz Gottes als Urheber der Schöpfung spürte und dabei immer wieder aufs Neue erfahren konnte. Seine langen Spaziergänge im Wiener Norden (Heiligenstadt, Döbling, Nussdorf, Grinzing) erdeten ihn immer aufs Neue und ließen ihn Kraft schöpfen. Diese Erfahrungen verlangten in ihm nach Ausdruck und führten letztlich zur Komposition seiner sechsten Sinfonie, die oftmals besser bekannt ist unter der Bezeichnuing „Pastorale“.
Dieses sinfonische Werk ist insofern besonders bemerkenswert, als es in einem fast ununterbrochenen Duktus seine Spaziergänge geradezu abbildet. Damit weicht Beethoven von der üblichen (viersätzigen) Satzform ab. Viele sehen die „Pastorale“fast als eine tonmalerische sinfonische Tondichtung, zumal unverkennbar Naturlaute und Vogelstimmen, ja sogar ein Gewittersturm, unschwer zu erkennen sind. Interessant aber ist, dass Beethoven selbst, der platte Tonmalerei immer kritisiert hatte, dem Vorhalt der Tonmalerei dezidiert entgegentrat: „Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“. Eine Vogelstimme ist demnach nur das „Gefühl einer Vogelstimme“. Es könnte stimmen und dürfte damit der Wahrheit entsprechen, denn vielleicht konnte er damals bereits die Stimmen selbst schon gar nicht mehr deutlich hören.
Sylvain Cambreling überraschte mich hier nun mit einer völlig anderen Gangart: Die Sinfonie begann leicht und beschwingt und fiel fortan auch nicht mehr davon ab. Man konnte förmlich mit den Bildern der akustischen Seele beobachten, wie sich der Bach seinen Weg durch das Flussbett bahnt. Kleine, vielleicht steinige Strömungshindernisse werden – nach kurzem Stop – umflossen und lassen das Dahinfliessen nicht abreissen. Wie immer also: Natur findet einen Weg. Der musikalische Fluss ist eins mit aller Natur; alles gehört zusammen und fliesst zusammen. Hierin dürfte Beethoven die Handschrift der Schöpfung erkannt haben, was ihn mit Ruhe und Zuversicht erfüllte.
Die Symphoniker Hamburg hatten diesen Grundtakt der Natur so in sich aufgenommen, dass sie ihn lediglich ihrem freien, ungebundenen Lauf lassen mussten. Das klang nicht nur wunderbar, sondern zeigte eine geradezu dreidimensionale Transparenz – die Natur konzertiert!
Der aufkommende Gewittersturm ließ die ganze Wucht der Naturgewalten nahezu physisch spüren, aber inmitten allen Donnerlärms konnte die Piccolo-Flöte noch immer deutlich vernommen werden, bis dann alles in friedvoller Abendstimmung seinem Abschluß zustrebt. Das war eine wunderbare „Pastorale“, die hier zu hören war!
Großer und verdienter Applaus für Sylvain Cambreling und seine Symphoniker Hamburg!
P.S.: Der Spazierweg Beethovens bzw. der durchkomponierte Bach ist heute teilweise einbetoniert oder nur noch als kleines Bächlein erkennbar.
Dr. Holger Voigt, 19. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Symphoniker Hamburg
Sylvain Cambreling, Dirigent
Carolin Widmann, Violine
Ludwig van Beethoven
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Kadenzen: Carolin Widmann
Encore: Georg Philipp Telemann: Fantasia für Solo-Violine No. 7 in Es-Dur, TWV 40:20
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 “Pastorale“
Wenn alle Besucher, die Schnupfen, Husten, Heiserkeit und Ähnliches in diesen Tagen haben, zuhause bleiben, sind die Konzerthallen und Theater halb leer. Niemand hustet aus Spass an der Freude. Ich finde die Reaktion des Kritikers reichlich übertrieben.
Hans-Jürgen Mende
Lieber Herr Mende,
herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen, die ich gerne aufnehme.
Hoffentlich sind hierzulande nicht so viele Menschen erkältet, dass unsere Theater und Konzertsäle zur Hälfte leer bleiben müssen!
Wer im Zustand einer Erkältung sich entscheidet, nicht in das Theater/Konzert zu gehen, tut sich nicht nur selbst etwas Gutes, sondern verhindert auch, dass Unbeteiligte angesteckt werden. Aber darum geht es ja nicht.
Auch wer erkältet ist und husten oder niesen muss, darf natürlich in ein Theater/Konzert gehen – wer wollte das in Frage stellen? Er/sie weiss das aber vorher und kann sich Gedanken machen, wie er/sie sich besonders rücksichtsvoll verhalten könnte, wenn es denn tatsächlich einmal zu einem Hustenanfall kommt. Man kann z.B. ein Taschentuch oder ein Mini-Handtuch mitnehmen und sich beim Husten vorhalten, was bereits einen großen schalldämpfenden Effekt hat. Man kann auch darauf verzichten, nach dem Hustenanfall ein Hustenbonbon aus der Tasche zu nesteln, dessen Papier dann geräuschintensiv entfernt werden muss. Durch die enthaltenen ätherischen Öle kommt es aber fast immer zu einer abermaligen Hustenattacke. Man kann sich auch bemühen, nicht gerade an den leisen Piano- oder a capella-Stellen zu husten. Es gibt viele Einflußmöglichkeiten! Lautes Reden und Handy-Klingeltöne haben aber nichts mit Husten und Erkältung zu tun.
Niemand hustet aus Spass an der Freude – aber viele wohl aus Gelegenheit: Wenn jemand sich lautstark räuspert oder hustet, denkt der Nächste, das könne er/sie doch auch jetzt machen, was dann wiederum den Nächsten beflügelt, es gleich zu tun. Auf diese Weise entstehen wellenartig sich ausbreitende Geräuschmuster, die einen Konzertabend durchaus komplett sprengen können (bis hin zum Abbruch durch den Solisten – alles schon vorgekommen!). In der Satzpause steht – wie hier – der Dirigent dann da und wartet und wartet und wartet….. Eine zuvor erzeugte Stimmung ist dann futsch.
Ich meine, mit mehr Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen könnte dieses Problem doch zu lösen sein. Wenn ich aus dem Ausland wieder nach Hamburg zurückkehre, wird mir schnell bewusst, dass es dsbzgl. andernorts doch wenig Probleme damit gibt. Im übrigen sitzen auf dem Podium oftmals mehr als 100 Personen, und niemand von ihnen hustet für die gesamte Konzertdauer. Es könnte also doch funktionieren!
Viele Grüße und ein schönes Weihnachtsfest 2019,
Dr. Holger Voigt