Eine Verehrerin seiner Gesangskunst hatte mit Hotter eine kurze Begegnung anlässlich seines nächsten Gastspiels vereinbart. Hotter ging es lange nicht aus dem Kopf, dass sie nicht zu dem Treffen kam. Durch eine Fügung erfuhr er später den Grund. Sie war verstorben. Mit der aufgelegten Schallplatte der „Winterreise“, von ihm gesungen, klang ihr Leben aus.
von Lothar Schweitzer
Sein Stimmumfang reichte vom g´ bis zum Des, das auch schwarz und nicht grau klang. Oft nur als Bariton deklariert war er wirklich im weitesten Sinn des Wortes ein Bassbariton. Nicht als Zwischenfach, sondern wirklich in Personalunion. Meine Frau und ich erlebten ihn erst in seinem reifen sechsten Lebensjahrzehnt.
Die hochgewachsene Gestalt mit der markanten Nase am Podium des Brahmssaals im Wiener Musikverein mit den „Vier ernsten Gesängen“ von Johannes Brahms. Glücklich ihn auch in der markanten Rolle eines Scarpia erleben zu können. Prädestiniert für den Fliegenden Holländer, wo er gegen Ende seines überwältigenden ersten Auftritts so in sich zusammenbrach, dass man einige Schrecksekunden um sein Leben fürchtete. Sein König Marke begleitete mich in Tagträumen. Wotans Abschied und Feuerzauber verfolgte mich jahrelang immer wieder des Nachts in Albträumen. Es war ein sonderbarer Zustand, ich empfand die äußerst gespannte Situation nicht eigentlich als beendigen wollend.
Sein Pizarro scheint ein Beweis dafür zu sein, dass diese Partie sehr schwer sein muss. Sie gelang ihm nicht mühelos. Seine Stimme besaß Breite, als seine Achillesferse vielleicht nicht in dem Maß auch Schall. Gut gemeint schenkte ich einem Studienkollegen, der auch Gesang studierte, seine Aufnahme der „Winterreise“, mit der unvorhergesehenen Wirkung, dass mein Freund fast seine Gesangsstunden aufgab. Im Alter von 74 erhielt Hotter als Schigolch spontan Auftrittsapplaus. Am 6. Dezember 2003 hat uns diese Sängerpersönlichkeit fast 95-jährig verlassen.
Im Zuge eines Besuchs der Oper „Krieg und Frieden“ von Sergei Sergejewitsch Prokofjew, zu der der Komponist ein uns unbefriedigendes Libretto verfasst hatte, betraten meine Frau und ich den Shop der MET. Es lag dort das Buch „Hans Hotter – Memoirs“ aus, eine Übersetzung von „Der Mai war mir gewogen“ ins Englische.
Diese englischsprachige Ausgabe hat, wie später herausgefunden, gegenüber dem deutschen Original den Vorteil, dass durch persönliche Gespräche des Übersetzers Donald Arthur, eines ehemaligen Opernsängers, mit dem Autor Hans Hotter die Biografie Erweiterungen erfuhr.
Die Biografie widmete Hotter seinem Gesangslehrer Matthäus Römer. Interessant ist die Ansicht Hotters zu lesen, dass der (die) Interpret(in) den Inhalt von Liedern mit emotionaler Distanz vortragen und nicht, wie es in Rezensionen oft gelobt wird, in der jeweiligen Figur theatralisch aufgehen soll. Beeindruckend war Hotters vertrauliches Gespräch mit seiner Tochter Brünnhilde mit der „Wotanstiefe“. Hotter verwendet den Ausdruck „gesangliches Rezitativ“ und verrät die von ihm entwickelte Technik. Zuerst die ganze Erzählung ohne Rücksicht auf die originalen dynamischen Zeichensetzungen wie eine Arie heraus singen, dann die Lautstärke drosseln unter Beibehaltung von Tonintensität und klarer Artikulation. Leicht gesagt …
Mit zwei Erlebnissen Hans Hotters, die uns immer noch zu Herzen gehen, wollen wir unsren heutigen Beitrag schließen:
Hotter war gezwungen ohne Proben in Paris als Wanderer einzuspringen. Wilhelm Furtwängler kam in seinen Garderobenraum, begrüßte ihn und sagte: „Schauen Sie nicht auf mich, ich schaue auf Sie.“ Ein Beispiel menschlicher Größe.
Eine Verehrerin seiner Gesangskunst hatte mit Hotter eine kurze Begegnung anlässlich seines nächsten Gastspiels vereinbart. Hotter ging es lange nicht aus dem Kopf, dass sie nicht zu dem Treffen kam. Durch eine Fügung erfuhr er später den Grund. Sie war verstorben. Mit der aufgelegten Schallplatte der „Winterreise“, von ihm gesungen, klang ihr Leben aus.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 6. April 2020, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de:„Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“