Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
von Ralf Wegner
Es mag von mir verwegen sein, den Rosenkavalier in den Katalog meiner Lieblingsopern aufzunehmen. Frau Liese hat ja bereits ihre Sicht auf diese Oper nachvollziehbar dargestellt. Für mich bleibt es aber ein rückwärtsgewandtes Stück mit vorgetäuschten losen Sitten. Denn das junge Mädchen Sophie wird ja am Ende nicht an den reichen, aber deutlich älteren Edelmann Ochs verschachert, sondern offensichtlich mit dem noch nicht volljährigen Geliebten einer mit ihrem Alter hadernden, ehebrecherischen Marschallsgattin vermählt.
Die zugegeben berauschende Musik des Komponisten überzuckert den Inhalt allerdings so, dass dieser zur Entstehungszeit von dem kaiserlich-bürgerlichen Publikum goutiert werden konnte. Mich erinnert das an den französischen Maler Adolphe Bouguereau (1825-1905), der wunderschöne, aber der Wirklichkeit enthobene Akte malen konnte, während der zeitgleich wirkende Edouard Manet (1832-1883) mit einer entblößten Frau unter zeittypisch gekleideten Männern einen Skandal auslöste.
Warum also Rosenkavalier? Es handelt sich um eine berühmte Oper mit einem ansprechenden Namen dazu. Außerdem gehört sie zum Bildungskanon. Ich sah diese Oper erstmals im Januar 1968 mit 21 Jahren im Münchner Nationaltheater in einer am Sujet orientierten Inszenierung von Rudolf Hartmann. Carlos Kleiber dirigierte, Ingrid Bjoner sang die Feldmarschallin, Brigitte Fassbaender den Oktavian und Kurt Böhme den Baron Ochs. Sophie war Gertrud Freedmann.
Meine Lieblingsoper, Teil 1: „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss
Diese Besetzung war gesanglich herausragend und maßstabssetzend und auch der Anlass, es bei dem einen Besuch nicht zu belassen. Seitdem habe ich diese Oper noch zehnmal gesehen, neben Hamburg auch 1970 an der Deutschen Oper in Berlin und zuletzt 2014 im neuen Opernhaus von Kopenhagen. Die Besetzungen waren zumeist herausragend, wie sich an der Liste der Feldmarschallinnen ablesen lässt: Leonie Rysanek (1970, 1977) Teresa Zylis-Gara (1978), Judith Beckmann (1981), Gundula Janowitz (1982), Kiri Te Kanawa (1992, Dirigent Christian Thielemann), Cheryl Studer (1997), Brigitte Hahn (2002), Angela Denoke (2007) und Anne Margrethe Dahl (2014).
Wahrscheinlich wurde der Rosenkavalier in den Opernhäusern nur angesetzt, wenn eine entsprechende Feldmarschallin engagiert werden konnte. Für die anderen Rollen standen nicht ausschließlich wirklich herausragende Sänger/-innen zur Verfügung. Es ist allerdings auch schwer, z.B. als Oktavian neben der Leistung von Brigitte Fassbaender (außerdem 1982) zu bestehen. Sehr gut waren Tatiana Troyanos (1970, 1978), Hanna Schwarz (1977), Trudeliese Schmidt (1981), Ning Liang (1992, 1997) und Elisabeth Jansson (2014).
Kurt Böhme setzte 1968 auch den Maßstab für die Rolle des Ochs auf Lerchenau. In Hamburg war es zwischen 1978 und 2002 die Paraderolle von Kurt Moll, 1981 sang ihn auch Hans Sotin. Als vierte im Bunde fehlt noch die Sophie; unübertroffen war der engelsgleiche Gesang von Helen Donath (1978-1982), aber auch Hellen Kwon (1992, 1997) und Ha Young Lee (2007) bezauberten mit dieser Partie.
Sehr unterschiedlich wurde die kurze, aber herausgehobene Partie des Sängers besetzt („Di rigori“). Am Himmelfahrtstag des Jahres 1977 sang Luciano Pavarotti an der Hamburgischen Staatsoper zwischen Proben zum Liebestrank diese kurze Arie, im Jahre 2002 der jetzt hochberühmte Piotr Beczala, in derselben Aufführung war die jetzt ebenfalls sehr bekannte Alexandra Kurzak als Modistin besetzt. Faninal war 1981 mit Franz Grundheber hervorragend besetzt, zu erwähnen sich mit dieser Partie auch Andreas Schmidt (1997) und der mit einem weichen, schön timbrierten Bariton gesegnete, 2019 im Alter von 45 Jahren zu früh verstorbene Bariton Jan Buchwald (2007). Den Rosenkavalier zu dirigieren ließen sich die jeweiligen Orchesterchefs nicht nehmen, anderenfalls dirigierten kompetente Musiker wie Silvio Varviso, Christian Thielemann oder Stefan Soltesz.
Im Übrigen, die malerische Qualität von Adolphe Bouguereau wird im Allgemeinen immer noch unterschätzt.
Ralf Wegner, 03. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Moin, nicht zu vergessen, Christa Ludwigs als Marschallin und Yvonne Mintons als Oktavian.
Heinz Fricke war der Dirigent – im Dezember 1979.
H.-B. Volmer
Lieber Herr Volmer, schön, dass Sie die beiden Damen erwähnen, in diesen Rollen habe ich sie leider nicht erleben können, dafür Christa Ludwig (in Strauss-Opern) als hervorragende Klytämnestra. Danke für die Ergänzung. Ihr Ralf Wegner
Birgit Nilsson hat in Stockholm eine großartige Marschallin gesungen.
Allerdings auf schwedisch.
Dass sie das auf Deutsch singen musste, das war ihr schon klar. Alle anderen Rollen hat sie ja auf Deutsch gesungen, und zwar makellos. Aber zur Marschallin gehört noch etwas mehr, nämlich der schöne Dialekt („da wird er sich halt gar nix denken“), und das würde sie nicht können, meinte sie.
Wie weise.
Ich denke oft dran, wenn ich heute den Rosenkavalier höre, egal wo.
Günter Doering