Foto: Norma Lerer als Cherubino © Foto Teatro Colon, Buenos Aires
von Lothar Schweitzer
Die Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen. Die persische Altistin Rohangiz Yachmi war nicht nur Kundin in meiner Apotheke, ich war auch ein großer Fan von ihr. Jetzt war sie als Orpheus in der Gluck-Oper angesagt. Diesmal nicht an der Wiener Staatsoper, sondern an der Volksoper Wien, die „Orpheus und Eurydike“ im Repertoire hatte.
Ich besorgte mir einen Logenplatz, zweite Reihe. Es beginnt das Wehklagen des Orpheus. Irgendetwas stört mich der Handlung zu folgen. Ich glaube, immer wieder einen Lichtschein schräg hinter meinem Rücken zu merken. Ich wende mich um. Der Billeteur winkt mich heraus. Ich bin nicht der Theaterarzt. Was ist los? Stumm nur mit Gesten öffnet er die Tür der sogenannten Künstlerloge nebenan und weist mir einen Platz in der ersten Reihe der leeren Loge an.
In der Pause traf ich auf eine junge Dame, die verzweifelt suchend umherirrte. Ich bot ihr meine Hilfe an. Sie suchte das Buffet. Ich entschuldigte mich für das Haus, das damals innen etwas verbaut wirkte, und geleitete sie in den oberen Stock. Wir kamen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass die Dame aus Buenos Aires kommt, ihr Name Norma Lerer ist und sie gerade an der Scala di Milano in „Il ritorno d´Ulisse in patria“ mitwirkt. Ihre Heimat war zu der Zeit die Oper Nürnberg.
Als der Klingelton das Ende der Pause anzeigte, erkundigte ich mich nach ihrem Sitzplatz, der sich als sehr mittelprächtig herausstellte. „Darf ich Sie in meine Loge einladen?“ Sie nahm an. Die Eurydike konnte an den Orpheus nicht heranreichen, was das Publikum nach Ende der Vorstellung zu hörbar negativen Reaktionen veranlasste. Norma Lerer litt als Kollegin mit.
Zum Abschied erhielt ich ein Foto, worauf Frau Lerer als Cherubino abgebildet war. Sie signierte „with best wishes and kisses“ und scherzte, den Kuss bekäme ich beim nächsten Mal.
Zwanzig Jahre vergingen, reich an Opernerlebnissen. Da präsentierte das „Centre International de Créations Théâtrales“ im Odeon in der Leopoldstadt „Impressions de Pelléas“ nach Debussys „Pelléas et Mélisande“ für SängerInnen in Begleitung von zwei Pianisten. Für die Altpartie der Geneviève waren drei Alternativbesetzungen vorgesehen. Meine Überraschung war groß. Da stand: Norma Lerer, aber so ein Pech, sie sang nicht an diesem Abend. Ich erinnerte mich an ihre „Bringschuld“ und hätte es gewagt, höflich an ihrer Garderobentür anzuklopfen.
In der Zwischenzeit ist auf dem Foto die Tintenfarbe von „best wishes and kisses“ immer blässer geworden. und die „kisses“ nur mehr mit Fantasie zu lesen.
Lothar Schweitzer, 8. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt 12: „Hänsel und Gretel“ – Oper mit Marionetten
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“