Jonas Kaufmann singt Weinachtslieder in München: Sie handeln vom Kleinen, Besonderen, Zarten – die Arrangements stehen dem diametral entgegen

Jonas Kaufmann, Advents-Benefizkonzert,  Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 14. Dezember 2020

„Da mich das Arrangement insgesamt gar nicht anspricht, ist es schwierig, die Stimme Jonas Kaufmanns herauszunehmen. Die Lieder fordern seine Stimme nicht. Alles bleibt in stimmlich mittlerer Lage. Gesanglich ist das unspektakulär. Die Ausführung ist tadellos – aber meine Emotionen springen null drauf an.“

Rezension des Videostreams: Advents-Benefizkonzert
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 14. Dezember 2020

Fotos: Jonas Kaufmann und Vladimir Jurowski, (c) W. Hösl

Arcangelo Corelli (1653–1713) Concerto grosso op. 6 Nr. 8 Fatto per la notte di natale (Weihnachtskonzert)
Giuseppe Tartini (1692–1770)
Trompetenkonzert D-Dur, Solist: Johannes Moritz
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Symphonie Nr. 25 g-Moll KV 183

Weihnachtlieder, Solist Jonas Kaufmann
Volksweise
Maria durch ein Dornwald ging (Arr. Jarkko Riihiäki)
Michael Praetorius (1571-1621)
Es ist ein Ros entsprungen (Arr. Chris Hazell)
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Ich steh an deiner Krippen hier (Arr. Thomas Höhl)

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Weihnachtsoratorium BWV 248, 1. Teil: „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“
Solisten: Mirjam Mesak, Corinna Scheurle, Caspar Singh, Milan Siljanov
Chor der Bayerischen Staatsoper
Musikalische Leitung Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester

von Frank Heublein

Das Advents-Benefizkonzert beginnt mit Corellis Concerto grosso, dass als “Weihnachtskonzert” tituliert wird. Das bayerische Staatsorchester ist hervorragend disponiert. Klar, rein, schnörkellos. Ein kraftvoller Klang. In voller Spannung. So gespielt macht mir Barockmusik richtig Spaß. Die Freude, die ich in den Gesichtern der Musiker sehe, überträgt sich mir. Ein Labsal für meinen Gemütszustand.

Es folgt Tartinis Trompetenkonzert D-Dur. Mein erster Gedanke: Welch interessante Konstruktion ist die Trompete. Habe ich so was schon einmal gesehen? Die Ventile sind seitlich angelegt.

Solist Johannes Moritz beschert mir festliche und zugleich mich beschwingende barocke Klänge. Dieses barocke Kleinod wird mit ebenso großer Intensität und Spannung vorgetragen wie Corelli zuvor.

Der erste Satz aus Mozarts Symphonie Nr. 25 g-Moll ist für mich auf ewig mit Milos Formans Film Amadeus verbunden. Wieder intoniert das Orchester diesen wunderbar differenzierten Klang. Die besonderen unterschiedlichen Klangfarben der Instrumente fächern sich mir geradezu plastisch in die Ohren. Ohne den orchestralen Zusammenhalt zu verlieren. Dies gelingt durch die expressive Spannung, die Dirigent Vladimir Jurowski dem Orchester einimpft und die sich mir intensiv überträgt. Bis hinein in die tiefen bedrohlichen Hornklänge des ersten Satzes, die einzigen eingesetzten Blechinstrumente in dieser Symphonie.

Der zweite Satz vermittelt mir Ruhe und Einhalt. Eine emotionale Erholung nach diesem emotional ausufernd bohrenden, mich bedrohenden ersten Satz. Den dritten Satz vermittelt mir Bedächtigkeit. Nach der „Rast“ im zweiten Satz ist jetzt sanfte Vorwärtsbewegung. Die beteiligten Holzbläser, hier das Fagott und besonders die Oboe werden herausgestellt, sie erkunden den musikalischen Raum. Im vierten wieder drängenden Satz spüre ich erneut, wie stark Jurowskis Dirigat den Orchesterklang differenziert ausgeprägt. Trotz aller dunklen Empfindungen, die besonders der erste und vierte Satz in mir auslöst, die Interpretation des Werks bereitet mir zugleich großes Vergnügen!

Es folgen drei Weihnachtslieder, die der Solist Jonas Kaufmann, allseits präsenter Werbepartner des Sponsors des Abends, ein Automobilhersteller,  vorträgt. Alle drei Lieder handeln vom Kleinen, Besonderen, Zarten. Die Arrangements stehen dem diametral entgegen. Sie sind mir zu groß, zu ausladend. Ich bringe die Geschichte der Lieder nicht mit den Arrangements übereinander. Dabei rührt mich der Einstieg von „Maria durch ein Dornwald ging“ mit dem Englischhorn an, das als Gegenpart zur Stimme Jonas Kaufmanns fungiert. Doch „zu fett“ ist mir das gesamte Arrangement. Ich assoziiere diese Lieder nicht mit orchestraler Pracht und diese – wenngleich tadellos in der Ausführung – funktioniert für mich nicht. Die Musik kommt in mir so arrangiert nicht an, bringt emotional nichts zum Schwingen in mir. Ich entwickle vollkommen irrige Assoziationen. Der orchestrale Anfang von „Es ist ein Ros entsprungen“ mit der Flöte vorne dran könnte auch in Star Wars zu hören sein. Dieses orchestral Kunstliedige raubt mir die Ernsthaftigkeit für die Botschaft, die ich für mich aus diesen Weihnachtsliedern ziehe.

Da mich das Arrangement insgesamt gar nicht anspricht, ist es schwierig, die Stimme Jonas Kaufmanns herauszunehmen. Die Lieder fordern seine Stimme nicht. Alles bleibt in stimmlich mittlerer Lage. Gesanglich ist das unspektakulär. Die Ausführung ist tadellos – aber meine Emotionen springen null drauf an. Insgesamt ist das so, als würde ein Gebäck so süß sein (das Arrangement ist so ausladend), dass ich gar nichts mehr schmecke (ich nichts damit anfange). So ein Gebäck brauche ich persönlich nicht zum Essen, so ein Arrangement nicht zum Hören.

Das feierliche Große passt dann wieder exzellent zu Bachs 1. Teil “Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage” seines Weihnachtsoratoriums. Der Abstand zwischen den Chorsängern ist unglaublich groß. Da ist es schwierig, einen kompakten prägnanten Chorklang auszuprägen. Aber ja! Es gelingt dem Chor des bayerischen Staatsorchesters hervorragend! Und wieder! Überzeugt mich die Spannung des Orchesters. Es ist nicht die Geschwindigkeit, durch die die Spannung erzeugt wird, es ist die Pointierung. Die beherrscht Vladimir Jurowski mit seinem Orchster hier und heute perfekt.

Vladimir Jurowski © Simon Pauly

Caspar Singh wirkt auf mich als Erzähler nicht gänzlich sicher. Corinna Scheurle mit dem großen Solopart „Bereite Dich Zion“ verblast für mich im Laufe des Solos. Ich spüre in mir nach: auch in ihrem Vortrag liegt Spannung, die gegenüber der äußerst starken und differenzierten instrumentalen aber etwas abfällt, was in mir das Empfinden des Verblassens auslöst. Milan Siljanovs singt sein Solo Großer Herr, oh starker König geradeaus, kräftig, spannungsgeladen. Er besteht brillant gegenüber dem furiosen Orchester, er gefällt mir stimmlich von den Solisten am allerbesten.

Jurowski setzt auf differenzierten Klang und zugleich versetzt er das Orchester in vehemente Spannung, so dass ich die Differenzierung klanglich dennoch als geschlossenes harmonisches Ganzes wahrnehme. Bravo.

Frank Heublein, 14. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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