Richard Wagner, Lohengrin
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Stream bis zum 15. Januar 2021
Premiere am 13. Dezember 2020 | Fotos: Monika Rittershaus
Roberto Alagna (Lohengrin) und Vida Miknevičiūtė (Elsa von Brabant)
von Sandra Grohmann, Berlin
Neuinszenierungen der Wagner’schen Sagenopern können zum Fürchten sein. Werden wir szenisch mit Kitsch oder Kunst konfrontiert, das ist jedes Mal die Frage. Kommt wieder eine Orgie von Wamsen, Rüstungen und Schilden in der blutgetränkten, aber sonst unberührten Natur Germaniens auf uns zu? Wird gar das von Wagner gelegentlich intonierte Hohe Lied des Vorurteils gesungen? Wer denkt noch an die mittelalterlichen Vorbilder dieser Werke, die vor Lebendigkeit und Frechheit nur so strotzen? Man muss aus dem Mittelalter und aus Wagners Opern allerdings keine sexistischen, deutschtümelnden und ästhetisch langweiligen Klischees machen.
Es war daher erfreulicherweise zu erwarten, dass sich Calixto Bieito in der Staatsoper Unter den Linden mit dem „Lohengrin“ nicht auf ritterliche Trampelpfade begeben würde. Diese Erwartung hat sich in atemberaubender Weise erfüllt. Kein „Tatort“ kommt mit diesem Polit-Thriller mit. Es lohnt sich allemal, die Fernbedienung zur Hand zu nehmen und sich von der Aufführung packen zu lassen, die noch bis zum 15. Januar 2021 gestreamt werden kann.
Selbstverständlich ist die Bühne trostlos. Ist ja auch eine trostlose Situation in Brabant. Macht- und Glaubenskämpfe wüten. Niemandem kann man trauen, und René Papes kräftig tönender König Heinrich, der über die von Graf Telramund geführte Klage entscheiden soll, ist in Wirklichkeit so hilflos, dass er nicht nur buchstäblich das Zittern bekommt, sondern die Beweisführung vorgeblich Gott überlässt – die des Mordes bezichtigte Elsa also ihrem Schicksal ausliefert. Diese – von Vida Miknevičiūtė, wenn es das geben kann, aufrecht zwischen Glauben und Verzweiflung schwankend verkörpert – kann in dem Gerichtssaal, in dem der erste Aufzug spielt, nur noch auf ein Wunder hoffen. Derweil gibt Telramund den selbstsicheren, überlegenen Staatsmann, dem man nicht ansehen kann, dass er grausam seine Rolle als angesehener Adliger missbraucht und gegen Elsa falsches Zeugnis ablegt. Wir erkennen, ohne dass platte Bezüge zu Einzelpersonen unserer Zeit hergestellt werden müssten, einen Typus, der uns unmittelbar angeht. Und werden hineingezogen in die Zweifel Heinrichs, der einen hoch geachteten Grafen nicht so einfach der Lüge zeihen kann.
Das von Elsa erflehte, ach was: geforderte, ach was: angekündigte Wunder geschieht dann eher nebenbei, und dass Roberto Alagnas Stimme beim Auftritt Lohengrins wackelt – wie auch später nochmals -, ist schade, tut der Aufführung aber keinen wesentlichen Abbruch. Dieses wie beiläufig oder vielleicht in Wirklichkeit sogar gar nicht geschehende Wunder ist selbstverständlich der Kernpunkt der Inszenierung. Wir wohnen keiner Sage bei, sondern einer politischen Sektion.
Und die gelingt großartig. Denn schon bei Lohengrins Auftritt wird zweierlei deutlich: Lohengrin ist ein großer Liebender, der von seiner Aufgabe beseelt ist und das mentale Kräftemessen gegen Telramund – ganz wunderbar: kein Schwert wird benötigt – deshalb überlegen gewinnt. Und: Das Volk benötigt nur die Ankündigung des Streites, um selbst die Bilder zu produzieren, die es sehen will. Das Blut, mit dem der Chor und der Heerrufer sich begießen, bereitet den Kampf vor und setzt ihn in Szene – ein Bild, das wohl auch als Inbezugnahme der antiken Tragödie mit dem Blutopfer gesehen werden kann – passend, weil Wagner in seine Lohengrin-Dichtung auch die antike Sagentradition einbezogen hat. Passend, weil wir hier eine Variante des antiken Circus sehen – angedeutet schon in der ersten Tribüne, den Zuschauerbänken des Gerichtssaales. Angedeutet auch in der Clownsmaske, die sich der Heerrufer selbst aufs Gesicht malt, in so ekstatischer wie schleimig-widerwärtiger Erwartung des Kampfes.
Das Volk hört. Das Volk sieht. Das Volk schaut.
Vom verhältnismäßig neutralen holzgetäfelten Gerichtssaal geht es im zweiten Aufzug zunächst auf eine verlassene Tribüne, wie man sie von Veranstaltungen unter freiem Himmel kennt, und sodann unter dieselbe, also gleichsam in deren Unterwelt – Bild, die in aller Düsternis einleuchten: denn die Tribüne kann nicht allein über die Assoziation zum antiken Circus verstanden werden. Sie repräsentiert auch das Volk, das dadurch im zweiten Aufzug präsent bleibt, ohne anwesend zu sein. Während die Auseinandersetzung zwischen Telramund und Ortrud auf den Stufen der Tribüne stattfindet, also volkszugewandt (ganz wunderbar wieder der Telramund Martin Gantners, der niemals die Verantwortung für irgendetwas auf sich nehmen wird, und die Ortrud Ekaterina Gubanovas, hier als Spielzeug-Fetischistin: was für Bilder!), sucht Ortrud die traumverlorene Elsa unter der Tribüne auf. Und wieder: Was für ein Bild, wenn Elsa in grellgrün erleuchtetem Tüll die Szene betritt. Mit so einfachen Mitteln lässt sich das Gefangensein in einem Traum inszenieren. Der folgenden Szene fehlt jeder Anflug von trautem Heim, Elsas Balkon liegt in einem Stadion, wo große Politik zu Hause ist. Aber Elsa ist dafür nicht gemacht, sie zieht sich unter die Tribüne und in ihren Traum zurück.
So ließe sich weiterschwärmen von diesem bezugs- und assoziationsreichen Abend. Ja doch, Leda und dem Schwan beim Sex zuzusehen war nicht unser aller dringendster Wunsch; aber auch dieses Bild dekliniert nicht nur das Schwanenmotiv durch, das hier von Origami bis Videoprojektion immer wieder anders die Bühne beherrscht. Sondern es nimmt abermals Bezug auf die Antike und zeigt zugleich das schon in der griechischen Mythologie thematisierte Zusammentreffen zwischen Göttlichem und Mensch, wie von Wagner intendiert. Und ja, die Clownsgesichter, die sich im weiteren Verlauf im Chor ausbreiten, sind nicht neu – und unterstreichen gerade dadurch, dass sie auf Figuren wie „Es“ oder „Joker“ verweisen, die düstere, furchtgetränkte Atmosphäre. In solcher Gesellschaft vernaschen die Brautjungfern und die Braut die weißen Blüten ihrer Blumensträuße – was für ein eindringlicher Gesamteindruck!
Stimmlich war der Abend zumindest gut hörbar, soweit die heimische Technik es hergab. Die Textverständlichkeit des gesamten Ensembles war ausgezeichnet – der Untertitel hätte es kaum je bedurft –, und an der Staatskapelle unter Matthias Pintscher war nichts auszusetzen. Abgesehen von den schon angesprochenen Wacklern und auch einigen weiteren schwierigen Stellen schenkte uns Roberto Alagna immerhin einen wie erwartet lyrischen und vor allem sehr sympathischen, freundlichen Lohengrin. Keinen heldischen. Keinen germanischen – man wird an diesem anspielungsreichen Abend nicht zu weit gehen mit der lockeren Assoziation, dass der französische Tenor eine Verbindung zum französischen Ur-Perceval, Lohengrins Vater, knüpft.
Wir erleben hier einen sanft Liebenden. Einen, der sich die Jacke, auf die Elsa „Liebe“ geschrieben hat, noch im Gehen anzieht. Dazu passt auch, dass sein „Elsa, erhebe dich!“ nicht mit der groschenromanartigen Geste verbunden ist, Elsa tatsächlich vom Boden aufzuheben. Es ist ein innerliches Sich-Erheben gemeint. Mich hat das mit diesem Moment versöhnt. Dieser Lohengrin nimmt Elsa als Partnerin ernst, was szenisch angesichts des von ihm einseitig ausgesprochenen Frageverbots enorm selten zu bewundern ist. Der Moment des „Elsa, erhebe dich!“ zeigt deshalb exemplarisch, wie sorgsam Bieito inszeniert und wie er die Geschichte hinter der „Story“, hinter der Wundersage erzählt. Die Geschichte, die uns Menschen angeht. Klischees vermeidend. Geradezu erhebend.
Sandra Grohmann, 3. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Mit :
- Roberto Alagna (Lohengrin)
- René Pape ( Heinrich der Vogler)
- Vida Mikneviciute ( Elsa von Brabant)
- Martin Gantner (Friedrich von Telramund)
- Ekaterina Gubanova ( Ortrud)
- Adam Kutny (Heerrufer des Königs)
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Inszenierung :
- Calixto Bieito
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Fernsehregie :
- Andreas Morell
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Dirigent:
- Matthias Pintscher
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Orchester :
- Staatskapelle Berlin
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Chor :
- Staatsopernchor
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