Frau Lange hört zu (23): Kurkonzert mit Schwiegermutter-Schmeichler Jonas Kaufmann

Frau Lange hört zu (23): Kurkonzert mit Schwiegermutter-Schmeichler

Jonas Kaufmann, Barbara Rett, Foto: © ORF/ORF III

Sterneküche kann langweilig sein. Weil sie so perfekt ist. Dafür bekommt nicht jeder Haubenkoch ein ordentliches Fiakergulasch hin. Um ein köstlich-knuspriges Schnitzel zu braten, braucht man ordentlich viel Butterschmalz – vor allem aber Gefühl. Und für die Operette keinen Startenor.

von Gabriele Lange

Jonas Kaufmann und ich scheinen eins gemeinsam zu haben: die Liebe zu Wien und zur wienerischen Musik. Zwar schlägt mein Herz vor allem fürs Wienerlied, aber ich kann mich durchaus für Operetten begeistern. Wenn man mit viel Herz und Humor dabei ist. Also habe ich mich mal mit „Mein Wien“ beschäftigt – Kaufmann hat 2019 für eine CD und einen Konzertfilm Operettenklassiker und Wienerlieder eingesungen. Sowie einen Georg Kreisler.

Uff.

Ich habe ja vergnügt mitgelesen, welche Schlachten unter Kaufmann-Fans und Kritikern in letzter Zeit stattgefunden haben. Ich halte mich mal raus, wenn es darum geht, ob seine Stimme noch… oder jemals… (finde es aber jammerschade, dass ich seinen Auftritt im Homeshopping-Fernsehen verpasst habe). Hier beschränke ich mich auf unseren höchst subjektiven Eindruck nach Durchhören der Aufnahme und Angucken des Films in der 3Sat-Mediathek. Mein Mann hat mitgemacht und wurde rasch sehr meinungsfreudig.

Jonas Kaufmann „ganz privat“. Foto: © Indi Herbst (obs/Amazon.de/INDI HERBST)

Also: Als ich ein Kind war (das ist schon eine Weile her), gab’s im Bayerischen Rundfunk eine Nachmittagssendung. Da konnten die lieben Verwandten der Oma Edeltraud zum 84. Geburtstag die allerbesten Wünsche übermitteln und dazu ein Lied aussuchen. Gern was von Stolz, Lehár oder einem Strauß. Ich hörte mit Vergnügen zu. Nicht unbedingt wegen der Musik, sondern wegen der Grüße. Die Moderatoren bemühten sich um einen seidigsüßen Ton, wenn sie vorlasen, dass die Erika aus Mooskirchen samt Kindern und Mann Otto der allerbesten Guglhupfbäckerin noch viele schöne Jahre im blumengeschmückten Häuschen wünschten. Dazu „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“ (ich stellte mir vor, wie sich die anderen Verwandten gifteten, dass sie im Kampf um ebendieses Häuschen nicht auf die gleiche Idee wie diese Erbschleicherin Erika gekommen waren). Die Vortragsweise von Kaufmann ließ mich rasch bedauern, dass es die Sendung nicht mehr gibt.

Also, das ist ja alles perfekt. Großartiges Orchester. Die Sangespartnerin Rachel Willis-Sorensen ist gut bei Stimme. Und Kaufmann kriegt das natürlich makellos hin. Auf Hochglanz poliert. Am Schluss fast jedes Stücks dreht er nochmal ordentlich den Motor auf. Schließlich haben wir es mit einem Hochleistungstenor zu tun, da will man was hören für sein Geld. In einer Szene im Film sagt Kaufmann, es sei wichtig, „den richtigen Ton zu treffen“. Ja. Selbstverständlich trifft er die Töne. Aber den Ton, das Gefühl? Er singt natürlich auch mal leiser, säuselt, charmiert – aber ich spüre keinen echten Spannungsbogen, keine eigene Interpretation, kein Herz. Sowohl ich als auch mein Mann sehen – das ist natürlich ganz subjektiv – einen austrainierten Erbschleicher-Charme wie bei André Rieu.

Weihnachtspräsent mit Erbschleichercharme? Foto: © Gregor Hohenberg / Sony Classical

Operette ist doch kein Hochleistungssport. Da brauche ich keine Perfektion. Ich mag ja auch in Wien nicht in eines dieser schicken neuen Designer-Kaffeehäuser gehen. Ich liebe die traditionellen, in denen nicht nur der Kronleuchter schon etwas Staub angesetzt hat, die Spiegel bessere Zeiten gesehen haben und die roten Lederbezüge ein wenig morsch sind. Und wenn der Herr Ober mürrisch ist und ein Weilchen braucht, bis er den Verlängerten bringt, dann habe ich eben Muße, in die Atmosphäre einzutauchen oder etwas Zeitung zu lesen.

Kaufmanns Wien ist ungefähr so authentisch, als hätte er einen PR-Vertrag mit dem Stadtmarketing Wien. Die Einspieler erinnern an die lustigen Filmchen, die man zwischendurch beim Eurovision Song Contest zu sehen kriegt. Alles wirkt so künstlich wie die heiter-schmeichelnde Sprechstimme des recht eindeutig selbstverliebten Sängers.

Bei „In einem kleinen Café in Hernals“ kriege ich plötzlich Sehnsucht nach der Wärme von Peter Alexander. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

Hier das Original von Herrmann Leopoldi:

Das bei Kaufmann routiniert-süße „Sag beim Abschied leise Servus“ hat Willi Forst eleganter hingekriegt – da hört man, wie der Herzensbrecher sich verabschiedet, um sich einer neuen Flamme zuzuwenden. Hans Moser war kein Heldentenor. Aber er hatte den Schmäh, die Traurigkeit, die Melancholie des alten Mannes – da hat das Lied einen ganz anderen Ton…

Bei „Schenkt man sich Rosen in Tirol“ ist selbstverständlich ein Rosenstrauß als Requisite zur Hand. Erst steht die Partnerin damit rum, dann nimmt er ihr die Blumen weg – und weiß nicht mehr, was er damit anfangen soll. Da will ich lieber den schmelzenden, leicht zittrigen Kitsch von Johannes Heesters. Der wusste, wie man eine Dame anhimmelt.

Bussi im Schnee. Foto:© Gregor Hohenberg / Sony Classical

Ok, hier wird ebenfalls geschmachtet – im Turbomodus. Einmal hat Kaufmann die Hand auf dem Busen seiner Partnerin und singt so engagiert in ihre Oberweite hinein, dass man fürchten muss, er werde sie gleich beißen. Es ist nicht witzig oder ironisch. Sondern peinlich. Wie man hochartifiziell, mit Stil und Humor, die Operette (aber sich selbst nicht so sehr) ernst nehmend interpretiert, zeigt mit großer Meisterschaft Max Raabe. Und wie man vergnügt alle Zügel schießen lässt und mit viel Herz das Publikum mitreißt, konnten wir zum Beispiel im Gärtnerplatztheater in München sehen. Im Weißen Rössl am Wolfgangsee etwa spielte sich das Ensemble mit der wunderbaren Sigrid Hauser (hier in der Volksoper) als Wirtin die Seele aus dem Leib.

Operette war (und ist) Musik für Stubenmadl, Metzgergesellen, ein Vergnügen für den Buchhalter, den schwulen Friseur, den genervten Lehrer und die sehnsüchtige Frau Kommerzialrat – für jeden, der sich amüsieren, der die Lieder am liebsten mitsingen will. Bei Kaufmann sitzt das Publikum ruhig da, applaudiert angemessen entzückt (na gut, im Film ist auch ein älterer Herr zu sehen, der friedlich eingeschlummert ist). Das Ganze hat was von einem Kurkonzert mit Anspruch für die besseren Stände.

Dann kommt das letzte Lied. Und das verzeihe ich ihm nicht. „Der Tod, das muss ein Wiener sein“. Von Topsy Küppers und dem zornigen Genie Georg Kreisler. Für mich ist das sogar schlimmer als die Versuche von Peter Hofmann, Rock zu singen.

„Entweder man hat das Gespür, oder man hat es nicht“, sagt Jonas Kaufmann in einem anderen Einspieler.

Tja.

Gabriele Lange, 2. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Frau Lange hört zu (22): Rhythmus

Gabriele Lange

Die Münchnerin Gabriele Lange (Jahrgang 1960) war bei ihren ersten Begegnungen mit klassischer Musik nur mäßig beeindruckt. Als die lustlose Musiklehrerin die noch lustlosere Klasse in die Carmen führte, wäre sie lieber zu Pink Floyd gegangen. Dass Goethes Faust ziemlich sauer war, weil es in dieser Welt so viel zu erkunden gibt, man es aber nicht schafft, auch nur einen Bruchteil davon zu erfassen, leuchtete ihr dagegen ein. Sie startete dann erst mal ein Geschichtsstudium. Die Magisterarbeit über soziale Leitbilder im Spielfilm des „Dritten Reichs“ veröffentlichte sie als Buch. Bei der Recherche musste sie sich gelegentlich zurückhalten, um nicht die Stille im Archiv mit „Ich weiß, es wird einmal ein Wonderrrr geschehn“ von Zarah Leander zu stören, während sie sich durch die Jahrgänge des „Film-Kurier“ fräste. Ein paar Jahre zuvor wäre sie fast aus ihrer sechsten Vorstellung von Formans „Amadeus“ geflogen, weil sie mit einstimmte, als Mozart Salieri wieder die Sache mit dem „Confutatis“ erklärte. Als Textchefin in der Computerpresse erlebte sie den Aufstieg des PCs zum Alltagsgegenstand und die Disruption durch den Siegeszug des Internets. Sie versuchte derweil, das Wissen der Technik-Nerds verständlich aufzubereiten. Nachdem die schöpferische Zerstörung auch die Computerpresse erfasst hatte, übernahm sie eine ähnliche Übersetzerfunktion als Pressebeauftragte sowie textendes Multifunktionswerkzeug in der Finanzbranche. Vier Wochen später ging Lehman pleite. Für Erklärungsbedarf und Entertainment war also gesorgt. Heute arbeitet sie als freie Journalistin. Unter anderem verfasste sie für Brockhaus einen Lehrer-Kurs zum Thema Medienkompetenz. Aktuell schreibt sie auch über Themen wie Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz. Musikalisch mag sie sich ebenfalls nicht festlegen. Die Liebe zur Klassik ist über die Jahre gewachsen. Barockmusik ist ihr heilig, Kontratenöre sind ihre Helden – aber es gibt so viel anderes zu entdecken. Deshalb trifft man sie (hoffentlich bald wieder) etwa auch bei Konzerten finnischer Humppa-Bands, einem bayerischen Hoagascht und – ausgerüstet mit Musiker-Gehörschutz – auf Metal- oder Punkkonzerten. Gabriele ist seit 2019 Autorin für klassik-begeistert.de .

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