Manfred Honeck und das WDR Sinfonieorchester kämpfen mit (etwas zu viel) Power gegen das Corona-Vergessen an

WDR Sinfonieorchester, Manfred Honeck, Mathis Kaspar Stier,  Kölner Philharmonie, 17. April 2021

Kölner Philharmonie, 17. April 2021

WDR Sinfonieorchester
Manfred Honeck, Dirigent
Mathis Kaspar Stier, Fagott

Antonín Dvořák – Zigeunermelodien op. 55, Bearbeitung für Streicher, Harfe und Schlagzeug von Manfred Honeck und Tomáš Ille

André Jolivet – Konzert für Fagott, Streichorchester, Harfe und Klavier

Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 6 op. 68 in F-dur – “Pastorale”

von Daniel Janz

Unsere Konzertkultur hat es gerade nicht leicht. Notgedrungen leere Konzertsäle, durch Ausgangssperren eingeschränkte Reisemöglichkeiten, aufgezwungene Reduzierung des Personals auf der Bühne… wenn dann auch noch ein Dirigent ausfällt, steht gleich der ganze Veranstaltungsbetrieb auf der Kippe. So geschehen an diesem Freitag und Samstag in Köln, wo eigentlich Joana Mallwitz (35) dieses Konzert hätte leiten sollen. Glücklicherweise fand sich mit Manfred Honeck (62) aber ein Ersatz, um den ohnehin schon auf einen Stream reduzierten Konzertabend in einem Kraftakt zu retten.

Spannender Nebeneffekt dieses Kampfes gegen Corona ist es, heutzutage eine Reihe von Neubearbeitungen altbekannter Werke erleben zu können. So ist das erste Werk des Abends eigentlich ein Liederzyklus des tschechischen Komponisten Antonín Dvořák aus dem Jahr 1880. Hier erstrahlt es aber in einer nicht minder schönen Neufassung unter Beteiligung des Dirigenten für Streicher, Harfe und Schlagzeug, ohne Gesang.

Diese Neuinterpretation der insgesamt nur jeweils ein bis zwei Minuten langen Kurzkompositionen überzeugt trotz dem Fehlen einer Bläserbesetzung. In mal blumig anmutenden, dann wieder tänzerisch lieblichen Passagen bis hin zum vollen Streicherteppich, auf dem sich die Solo-Violine zum vierten Abschnitt lyrisch bewegen darf, ist hier eine reiche Musikerfahrung geboten.

Besonders hervorzuheben ist der fünfte Teil mit seinen aufbrausend markigen Passagen und dem unvermittelten Schluss. Besser wird diese Komposition nicht mehr, der sechste und siebte Teil können in dem Zusammenhang am besten als ein gelungener Epilog verstanden werden, der die Musik zu einem harmonischen Ende ausleitet, bevor sie in Langeweile abzudriften droht. Diese Neubearbeitung stellt damit eine gelungene Novelle im Konzertbetrieb dar, die durchweg zu empfehlen ist und vom abgespeckten WDR Sinfonieorchester so dargeboten wird, dass zeitweise durchaus der Eindruck vom Spaß am Spiel trotz fehlendem Publikum aufkommt.

Etwas anders stellt sich das beim zweiten Werk des Abends dar. Die Komposition des Franzosen André Jolivet (1905 – 1974) lässt sich am ehesten als avantgardistisch einordnen. Schon die ersten Akkorde vermitteln einen Eindruck des Grauens, düster stampfende Streicher und Klavier bieten einen extremen Kontrast zu den elegischen Passagen, die Mathis Kaspar Stier (27) auf seinem Fagott beschwört. Schnell wird deutlich, dass Jolivets Musik kein Element der Orientierung bietet.

Hochachtung gilt deshalb allen Musikern, dass sie sich dieser Komposition stellen. Das ist komplex verkopfte Fleißarbeit, zeitweise sogar Kampf gegen die Konvention, die Orchester und Dirigent dort ableisten. Aber Spaß an der Musik stellt sich zumindest für ein Publikum anders dar, denn diese Musik möchte anscheinend keine Formen und keine Wiederholung bedienen. Was in der Konsequenz eine Zumutung für den Zuhörer bedeutet, stellt sich aber auch für die Musiker als undankbare Herausforderung dar.

Man muss allen Beteiligten aufrichtigen Respekt dafür zollen, trotzdem dieses Werk in so einer Klarheit zu präsentieren. Die Streicher lassen keine Wünsche offen, mal sphärische Klänge in kristallener Klarheit zu präsentieren, mal donnernd stampfende Rhythmen gegen den Konzentrationsverlust beim Zuhörer anzuschicken. Harfe und Klavier unterlegen den Klangausdruck mit brillierenden Akkorden und Effekten. Und die Passagen des Fagotts trägt der Solist in einer weltmeisterlichen Klasse vor, die ihresgleichen sucht. Im zweiten als Ruhepol fungierenden Satz gelingt ihnen allen beim Einsetzen eines Fugatos fast sogar der Eindruck von Ordnung, die diese Musik ansonsten schmählichst vermissen lässt.

Allen Beteiligten sieht und hört man Klasse und Elan trotz diesem undankbaren Stück deutlich an. Entsprechend undankbar ist auch, dass der einzige Applaus, den diese hochverdienten Künstler erhalten, der gegenseitige ist, wenngleich dadurch als positiver Nebeneffekt der Dirigent endlich von der merkwürdigen Tradition absieht, mehrmals die Bühne zu verlassen, hinter der Tür zu warten und dann wieder herauszukommen, um den Diener zu machen. Trotzdem wünscht man sich Zeiten mit einem echten Publikum zurück. Um die Zuhörer nach Corona aber auch zu gewinnen, sollte die Frage erlaubt sein, warum ein solches Werk auf dem Spielplan einer um Existenz ringenden Kulturbranche landet.

Mit Beethovens sechster Sinfonie steht als drittes Werk des Abends ein wahrer Klassiker auf dem Programm und im Gegensatz zu Jolivet auch wieder Musik, die sich als programmatisch episodenhafte Vertonung einer Handlung verstehen lässt. Entsprechend bewegt gestalten die Musiker unter ihrem Gastdirigenten den Einstieg. Schon zu Beginn gehen mit Honeck jedoch die Pferde durch: Der erste Satz „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ gerät ihm doch arg schnell, sein Allegro wirkt zeitweise eher wie ein Vivace. Auch wirken einige Stimmen zu wenig reguliert; Piccoloflöte und Hörner brechen zeitweise zu stark gegen den reduzierten Streicherteppich durch. Das spricht für die Kraft der einzelnen Musiker, wirft aber Schatten auf das Dirigat des österreichischen Dirigenten.

Besonders ärgerlich ist das beim zweiten Satz, der von Beethoven so liebevoll als „Szene am Bach“ bezeichnet wurde. Das ruhig im Andante vor sich hinplätschernde Bächlein ist bei Honeck dann doch eher ein sich verflüchtigender Strom ohne Rast. Der unangenehme Nebeneffekt davon ist, dass einzelne Teile der Musik verwaschen, Melodien vermatschen durch diese schnelle Phrasierung zu einem unklaren Klangbrei. Selbst die Vogelrufe zum Ende des Satzes in Flöte, Oboe und Klarinette wirken trotz herausragender Spielweise dadurch nicht mehr realitätsnah. In so einem Fall ist weniger mehr!

Ein hohes Tempo hat aber auch etwas Gutes, wie bei den letzten drei Sätzen der Sinfonie hervorscheint. Hier gelingt die Mischung aus Elan und Voranpreschen sehr gut, die Idee, den Tanz beim „Lustigen Zusammensein der Landleute“ durch Aufstampfen zusätzlich zu illustrieren, ist gar genial. Entsprechend viel Spaß macht diese Musik, bevor sie durch das Gewitter unterbrochen wird. Auch dieser Ausdruck von Kraft der Naturgewalt gelingt allen unter Honeck. Pauke, Blechbläser und Piccoloflöte malen ein beeindruckend lautes Bild eines Donnersturms zum aufwühlenden Brausen der Streicher, die trotz reduzierter Personenanzahl alles geben.

Auch das Finale wird dadurch zu einem Freudenschmaus. Hier hat Honeck die vorangegangene Eile dann auch endlich wieder so weit gezügelt, dass nicht mehr der Eindruck eines in Hektik und Panik stattfindenden Kampfes gegen die Ungehörtheit, sondern wahre musikalische Leidenschaft stattfindet. Die gelungene Mischung aller Stimmen, angefangen bei den Streichern über das zweifache Holz bis hin zu den jeweils zwei Trompeten, Posaunen und Hörnern ist hier ein wahrer Genuss und sicherlich genau das, was Beethoven auch damals beabsichtigt hätte.

Es ist eine Wohltat, dass uns diese Musik durch die digitalen Medien immerhin zum Nachhören erhalten bleibt. Und auch, wenn der Rezensent nicht uneingeschränkt mit dieser Aufführung zufrieden war, so lautet die Empfehlung doch, einmal reinzuhören und sich ein eigenes Bild von der Musik zu machen. Gerade die erste und die letzte Viertelstunde lohnen sich!

Der Konzert-Stream zu dieser Veranstaltung wird vom WDR-Sinfonieorchester bis zum 17. Mai 2021 unter diesem Link bereitgestellt.

Daniel Janz, 18. April 2021,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jakub Hrůša, Sol Gabetta, Tschechische Philharmonie, Kölner Philharmonie, 4. März 2020

Robin Ticciati, Jan Lisiecki, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Kölner Philharmonie, 12. Februar 2020

Daniels Anti-Klassiker 7: Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 9 in d-Moll „Ode an die Freude“ (1824)

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