Joanna Sochacka. Foto: Anita Wąsik-Płocińska
„Ich bekomme Feedback von Menschen aus aller Welt, viele sind begeistert, auch wenn es nicht Mozart oder Beethoven ist. Das ist mir wichtig, weil es meine Überzeugung bestätigt, dass diese Musik einzigartig ist.“
Ein Gespräch mit der polnischen Pianistin Joanna Sochacka über die Komponistin Grażyna Bacewicz
Grażyna Bacewicz (1909-1969), polnische Komponistin und Geigerin, tritt als interessante Schöpferin von Klavierwerken auf. Dies lässt sich dank der Pianistin Joanna Sochacka entdecken, die eine CD mit Bacewicz-Klaviersonaten und -Etüden aufgenommen hat. Das Album ist in diesem Jahr beim DUX Verlag erschienen.
Neben Violine und Klavier studierte Bacewicz Komposition in Warschau und in Paris bei Nadia Boulanger. Wie andere Heldinnen unserer Frauenklang-Serie erlebte sie aufgrund ihres Geschlechts Missachtung und leichtfertige Behandlung durch ihre Kollegen. Einer der Kritiker, der ihr „Konzert für Streichorchester“ bewertete, schrieb, dass das ein Mann unter einem weiblichen Pseudonym komponiert haben musste. Bacewicz errang jedoch eine hohe Position im musikalischen Umfeld und bekleidete hohe Funktionen, wie zum Beispiel als Konzertmeisterin des Radio-Sinfonieorchesters (1936-1938) und als Vizepräsidentin des Polnischen Komponistenverbandes (1955-57 und 1960-69).
Die amerikanische Journalistin Lynn René Bayley lobt Joanna Sochacka vor allem dafür, dass sie ein anderes, interessanteres Programm für das Album gewählt hat als die meisten Pianisten, die hauptsächlich romantische Sonaten spielen. Die Musik von Grażyna Bacewicz ist nicht einfach, aber wenn man ihre Stücke hört, kann man jedes Mal etwas Neues entdecken. Die Komponistin kannte alle Möglichkeiten des Klaviers sehr gut, weil sie die ganze Breite seiner Tastatur ausnutzt. Neben der frühesten Sonate von 1921 haben wir auf dem Album die Erstaufnahme der Konzertetüde von 1949, voller schneller Passagen und mit dichter Harmonie. Zwei weitere Etüden stammen aus dem Jahr 1952: Die erste, Moderato, ist ein Werk, dessen Thema schwer einzufangen ist. Die zweite „Etiuda tercjowa” (Etüde der Terzen) ist voll von lustigen Terzen. Dieses Stück hat einen leicht widersprüchlichen Charakter; die Komponistin überrascht mit ihren Lösungen einen an romantische Musik gewöhnten Hörer. In ähnlicher Weise erklingt das Scherzo in Sonate Nr. 1. Auch im ersten Satz der Sonate Nr.2 – Maestoso – fällt mir eine gewisse „Folgewidrigkeit“ auf, weil das Stück meiner Meinung nach eher energisch als majestätisch klingt.
Das Album von Joanna Sochacka hat bereits mehrere positive Rezensionen erhalten. Ich hätte all das nur wiederholt, darum zog ich es vor, mit der Pianistin über die CD zu sprechen. Ich habe es geschafft, sie telefonisch zu erreichen, weil sie derzeit in Italien weilt, wo sie ein weiteres Album aufnimmt, diesmal mit Werken von Chopin.
Interview: Jolanta Łada-Zielke
Joanna, die Bacewicz-Stücke auf Ihrer CD sind in umgekehrter chronologischer Reihenfolge aufgelistet. Sie beginnen mit der Sonate Nr. 2 von 1953 und enden mit der Sonate von 1930, die die Komponistin im Alter von 21 Jahren schrieb und die sie wahrscheinlich nicht schätzte, weil sie ihr keine Opusnummer gab.
Grażyna Bacewicz war sehr selbstkritisch. Besonders deutlich sieht man dies in den Briefen, die sie an ihren Bruder Witold schrieb, mit dem sie verschiedene kompositorische Probleme besprach. Sie erwähnte in dieser Korrespondenz, dass sie die meisten ihrer Werke wegwirft, weil sie ihr nicht gefallen, und nur wenige davon behält. Einige ihrer Stücke wurden nach einiger Zeit entdeckt. Dies war bei ihrer Klaviersonate Nr. 1 der Fall, die 1949 beim Chopin-Komponistenwettbewerb in Warschau einen Preis gewann. Grażyna Bacewicz hat dieses Stück sogar selbst aufgeführt, entschied sich aber dennoch, es nicht zu veröffentlichen und aus dem Verkehr zu ziehen. Sie akzeptierte nur die Sonate Nr. 2 und erlaubte deren Veröffentlichung. Das sind meiner Meinung nach die subjektiven Empfindungen des Komponisten, denn wenn wir, die Interpreten, Zugang zu diesen Werken haben und sie dem Publikum präsentieren, kann ihre Wahrnehmung ganz anders, positiv sein. Selbst Frédéric Chopin wollte auch einige seiner Werke verbrennen, darunter das Nocturne in cis-Moll (posthumes Opus), das heute oft und gerne gespielt und gehört wird. Diese „Null-Sonate” ohne Opus hat mich entzückt und ich weiß nicht, warum die Komponistin sich entschieden hat, sie nicht zu veröffentlichen.
Es ist bemerkenswert, dass Sie den Text der der CD beigefügten Broschüre selbst verfasst haben.
Ich habe viel Schreibmaterial über Grażyna Bacewicz, weil ich gerade meine Doktorarbeit über ihre Klaviersonaten abgeschlossen und eingereicht habe. Über ihre Etüden habe ich jedoch nicht geschrieben, sondern sie nur in das Programm des Albums mit aufgenommen, um es abwechslungsreicher zu machen. Abgesehen davon gab es bisher keine Studien zum Klavierwerk von Bacewicz, sie war vor allem als Komponistin von Violinstücken bekannt. Ich hätte um einen solchen Text Frau Maria Gąsiorowska, die Autorin der Biographie von Grażyna Bacewicz, bitten können, mit der ich viele Themen im Zusammenhang mit meiner Dissertation viele Male besprochen und diskutiert habe. Schließlich kam ich aber zu dem Schluss, selbst ein paar Worte von mir zu schreiben und dem Publikum zu erklären, was mich genau motiviert hat, diese CD aufzunehmen. Also schrieb ich eine Einführung aus der Sicht der Interpretin, was mich als Pianistin an dieser Musik fasziniert und interessiert.
Welche rein pianistischen Vorzüge haben Sie in der Musik von Grażyna Bacewicz entdeckt?
Ihre Klavierstücke, wenn auch bis auf die Sonate Nr. 2 wenig bekannt, sind pianistisch sehr klar geschrieben, alles passt perfekt „unter die Finger“ und man kann es gut spielen. Bei den Stücken anderer Komponisten geht es nicht immer so bequem. Manche Werke sind technisch schwierig, mit einer komplizierten Textur und Harmonie, und man muss viel Zeit damit verbringen, sie gut einzuüben. Dies sind zum Beispiel meiner Meinung nach einige Werke von Aleksander Skrjabin und Karol Szymanowski, die manchmal textlich kompliziert und unbequem zu spielen sind. Skrjabin selbst sprach über seine Stücke, dass es in vielen Fällen nicht möglich sei, alle Töne in dem von ihm vorgegebenen Metronom-Tempo zu spielen. Im Fall Bacewicz kann sogar eine Person mit kleinen Händen ihre Werke mit großem Komfort ausführen.
In den Werken auf der CD hört man, dass die Komponistin die ganze Breite der Tastatur verwendet, zum Beispiel im mysteriösen Andante sostenuto in der Sonate Nr. 1 von 1949; kräftige Bassakkorde werden von der Melodie der oberen Register ergänzt. Ähnliches finden wir im ersten Satz der „Null-Sonate“ – Moderato e maestoso.
Bacewicz nutzt die Möglichkeiten des Klaviers perfekt aus und kombiniert extreme Register miteinander. Nur weil ihre Musik gut gespielt wird und gut klingt, heißt das nicht, dass sie einfach und banal ist. Der schöne Klang hier ist das Ergebnis der transparenten Struktur der Stücke, die klaviertechnisch sehr gut geschrieben sind. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe anderer Interpretationsprobleme, die Kontrolle der Qualität einzelner Klänge, die Klangfarbe des Klaviers, Kontraste, die Planung des Verlaufs der Anspannung und die Höhepunkte. Dies erfordert nicht nur großartige Technik, sondern auch Fantasie.
Das Tempo des letzten Satzes der Sonate Nr. 1 – Finale – wird als „molto allegro“ beschrieben, aber ich würde es eher „reflexiv“ nennen. Übrigens ändert es sich ständig.
Ich war sehr fasziniert von dieser Sonate, insbesondere von ihrem ersten Satz, mit einem interessanten Klang und einer Harmonie angereichert mit vielen Nuancen, die herausgeholt werden können. Inzwischen ist die Sonate von 1930 für mich mit einigen der neuesten Sonaten Skrjabins vergleichbar, die auch teilweise missverstanden und relativ selten gespielt, aber dennoch für Meisterwerke und musikalische Phänomene gehalten werden.
Ist es möglich, Bacewicz in einen für die Musik des 20. Jahrhunderts charakteristischen Stil einzuordnen?
Meiner Meinung nach hat sie eine sehr individuelle musikalische Sprache verwendet, daher ist ihr Stil schwer zuzuordnen. Beim Schreiben meiner Doktorarbeit habe ich mich nicht getraut, sie mit anderen Komponisten dieser Zeit zu vergleichen. Ja, man sieht in ihrem Werk zuerst die Einflüsse von Szymanowski, später entwickelte sich bei ihr der Sonorismus sehr stark. Sie ließ sich aus verschiedenen Richtungen inspirieren, aber keine davon wurde die charakteristischste für sie. Ich assoziiere ihr Werk mit dem Expressionismus, den vor allem Skrjabin repräsentiert. Was sie mit Szymanowski verbindet, ist die Verwendung der polnischen Volksmotive…
…wie zum Beispiel in der Toccata aus Sonate II…
Genau. Und mit Skrjabin verbindet sie eine gewisse Schwerelosigkeit und ätherischer Charakter und auf der anderen Seite eine breite, dichte Textur. Aber ich glaube, der Stil anderer Komponisten war nur eine Inspiration für sie. Bacewicz war eine starke Persönlichkeit, die ihre eigenen kreativen Ideen umsetzte und sich von niemandem beeinflussen ließ. Einmal wurde ihr vorgeworfen, sie sei altmodisch. Man sagte, dass ihre Kollegen sie längst überholt hätten, sie vertieften sich in den Sonorismus und perfektionierten sich in modernen Kompositionstechniken. Sie entwickelte jedoch ständig ihre eigene musikalische Sprache. Ich denke, deshalb ist ihre Musik einzigartig geblieben.
Ist die in Bezug auf Bacewicz erwähnte Bitonalität ihr Unterscheidungsmerkmal oder der damals geltende Trend?
Eher ein Trend, denn ich glaube nicht, dass es etwas in ihrer Musik gab, das nicht von anderen Künstlern verwendet wurde. Ihre Melodien selbst haben einen sehr spezifischen Charakter, sie sind voller origineller Akkorde. Aber es gibt nichts an ihr, was nicht schon einmal vorgekommen wäre, zum Beispiel bei Schönberg. Sie holte heraus, was ihren Bedürfnissen entsprach und kreierte daraus ihre eigene einzigartige „Mischung“.
Als ich in den neunziger Jahren über Bacewicz in der Musikschule lernte, galt sie noch als Repräsentantin der zeitgenössischen Musik. Derzeit gehört sie schon zur Musik des 20. Jahrhunderts.
Man könnte versucht sein zu sagen, dass das Werk von Grażyna Bacewicz zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts gehört. Es ist angemessen, da sie sehr stark im Klassizismus verwurzelt war. Die klassische Form spielt bei ihr eine große Rolle und jedes Werk hat eine logische und klare Struktur. Sie hat nicht zu viel experimentiert, daher kann man ihre Werke nicht mit der heute komponierten Musik in eine Reihe stellen.
Zurück zum Text in der Broschüre Ihrer CD; sie haben darin ein wichtiges Problem angesprochen, nämlich dass über Grażyna Bacewicz mehr geschrieben wird als ihre Stücke gespielt werden. Was ist zu tun, um dieses Missverhältnis zu ändern?
Mir scheint, dass ihre Musik eine gewisse Überzeugungskraft hat, man muss ihr nur ein wenig helfen. Jeder, der auf Bacewiczs Werke stieß, war von ihnen fasziniert. Während meines Studiums in der Schweiz habe ich einmal mit einer Geigerin eine ihrer Violinsonaten gespielt, die mir sehr gut gefällt. Nur einer der dortigen Professoren hatte von Bacewicz gehört, aber ihre Musik nie gespielt. Alle waren begeistert, was für eine großartige Sonate das sei, die sich in keiner Weise von anderen als Kanon anerkannten Werken dieser Art unterscheidet. Ich habe diese Sonate auch bei Konzerten aufgeführt und sie hat ähnliche Reaktionen hervorgerufen. Ich beobachte dies auch in Bezug auf ihre anderen Werke. Als ich die Klaviersonate Nr. 2 zum ersten Mal bei einem Klavierwettbewerb präsentierte, lobte kurz darauf jemand aus dem Publikum das Stück und fragte, wo die Partitur zu bekommen sei.
Mein Album ist auch ein Versuch, ihre Musik zu popularisieren. Es ist ein etwas riskantes Unterfangen, denn diese Musik ist nicht leicht zu hören, wie zum Beispiel Chopin, dessen Stücke ich gerade aufnehme und die viele gerne hören. Daher die Anordnung der Stücke auf dem Album; ich begann mit der Sonate Nr. 2, die bekannt ist, weil ich befürchtete, dass wenn ich mit der ersten begonnen hätte, die Hörer dies nicht gut verstanden hätten. Und wenn sie das andere mögen, werden sie aber weiter zuhören wollen. Deshalb freue ich mich sehr, dass es mir mit diesem Album gelungen ist, das Publikum wenn auch nicht zu beeindrucken, so doch zumindest seine Neugier zu wecken. Die Resonanz ist groß. Ich bekomme Feedback von Menschen aus aller Welt, viele sind begeistert von Bacewicz und hören sich das Album gerne an, auch wenn es nicht Mozart oder Beethoven ist. Das ist mir wichtig, weil es meine Überzeugung bestätigt, dass diese Musik in gewisser Weise einzigartig ist und es sich lohnt, das Werk Grażyna Bacewicz durch die Aufführung ihrer Werke zu fördern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 12. Juli 2021, für
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Jolanta Łada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-begeistert.de.
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