Juan Diego Flórez, Foto: © Manfred Baumann
Konzert am 24. Juli 2021 im Wolkenturm, Grafenegg
Juan Diego Flórez, Tenor
Band (Leiter: Jonathan Bolívar)
von Herbert Hiess
Wenn der Startenor Flórez zu einer musikalischen Reise in seinen Heimatkontinent Südamerika einlädt, erwartet man sich sowieso eine musikalische Besonderheit. Es hätte sich aber niemand erwartet, dass dieser Abend so ein Ereignis wird.
Das Konzert war ursprünglich für Juli 2020 geplant und wurde damals pandemiegemäß abgesagt; der jetzige Termin war der Ersatztermin und wegen der großen Buchungsnachfrage wurde sogar dieses Konzert nochmals zwei Tage früher, also am 22. Juli 2021 am selben Ort gegeben.
Über Flórez’ Gesangstechnik zu reden ist fast Zeitverschwendung. Der Mann ist nicht nur freundlich, intelligent und sympathisch; er verfügt über fast unheimliche gesangliche Fertigkeiten. Sein hell timbrierter Tenor ist nicht nur absolut höhensicher – er kann wie ganz wenige (so zum Beispiel Luciano Pavarotti) einen hohen Ton vom Forte zum fast unhörbaren Pianissimo abschwellen lassen. Und ohne, dass irgendwo ein Registerwechsel zu hören wäre. Das hat er bei vielen Liedern in diesem Programm bewiesen.
Der Peruaner begann das Programm mit einem peruanischen Lied („El Tamalito“), wobei Jonathan Bólivar mit der großartigen Band alleine das Opening gab und Flórez dann dazu kam und schon mit diesem ersten Lied das Publikum zur Begeisterung brachte.
Dann zog sich die Reise von Venezuela über Brasilien und Argentinien bis hin zu Kuba und Peru. Von Kuba hörte man den Welthit „Guantanamera“, wo Flórez das Publikum zum Mitsingen bat. Das wurde liebend gern von den Leuten angenommen; spätestens da war die Stimmung am Siedepunkt.
Das Programm war genial durchmischt; von ruhigen Liedern bis zu temperamentvoll ausufernden war alles vorhanden. Der Titel des Konzertes war „Bésame mucho“ (Küsse mich oft); wie der Sänger das mexikanische Lied anstimmte, merkte man sowieso deutlich, dass der Startenor vielfach von der Muse geküsst wurde.
Flórez ist nicht nur ein Meister der Stimmführung; seine Technik ist so formidabel, dass selbst ein Falsett bei ihm nicht peinlich, sondern eindrucksvoll wirkt. Bei dem mexikanischen Lied „Cucurrucucú Paloma“ ging er stimmlich mühelos in höchste Höhen. Und bei einem anderen Lied baute er aus dem Stand heraus ein brillantes hohes C ein – als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Übrigens wurde dieses mexikanische Lied und einige andere von dem Bandleader Bolívar arrangiert (bei anderen Liedern auch unter Beteiligung des Tenors), der diese phänomenal mit seiner Band begleitete. Und so „nebenbei“ ist Bolívar ein Meister der Gitarre, was er permanent bewies. Großartig auch das Klavier und das Bandoneon, das mit seinen wehmütigen Klängen bei zwei argentinischen Liedern zum Erklingen kam.
Bei den Zugaben nahm Flórez die Gitarre des Bandleaders und begleitete sich formidabel selbst – offenbar ist er auf diesem Instrument genauso geschickt wie mit der Stimme. Man zählte diese Zugaben gar nicht mehr; es war sogar ein italienisches Lied dabei. Dieser Kontinentalsprung war hier sogar gerne gesehen und gehört. Und wie flexibel der Sänger ist, bewies er bei dem Lied „Cielito lindo“. Eine Dame aus dem Publikum rief ihm diesen Titel zu und Flórez spielte ihn so, als wenn er ihn schon hunderte Male gesungen hätte. Allein der Zugabenteil rechtfertigte dieses großartige Konzert.
Flórez ist nicht nur ein Weltklassetenor, sondern ein sozial engagierter Mensch. Er rief die Organisation „Sinfonía por el Perú“ ins Leben, die ähnlich dem venezolanischen Projekt „El Sistema“ sozial benachteiligte Kinder zur Musik mit einem Jugendorchester heranführen soll; der Tenor und das Orchester sind am 29. August 2021 sogar zu Gast bei den Salzburger Festspielen.
Dieser Abend war jedenfalls ein großer Wurf; eine solche Stimmung war in den ganzen 15 Jahren noch selten hier am Wolkenturm zu bemerken.
Herbert Hiess, 25. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at