von Lothar und Sylvia Schweitzer
Wir blicken auf 63 bzw. 60 Jahre Opernerfahrung zurück.
„Salome“, „Der Rosenkavalier“ und „Ariadne auf Naxos“ sind die meist erlebten Werke. Dies dank einer hervorragenden Richard-Strauss-Pflege an der Wiener Staatsoper. Einige Opern erreichten nur deshalb nicht die Vielzahl an Abenden, an denen wir so zu sagen „Zeitzeugen“ wurden, weil wir auf eine ausgewogene Besetzung Wert legen. Auch wenn, um anschaulich zu werden, eine Arabella traumhaft singt, vermag sie schon von den Gesetzen der Logik her keine Zdenka im berühmten Duett zu ersetzen und benötigt einen Mandryka auf stimmlich gleicher Höhe.
Und dann gibt es Opern, die wir bisher nur einmal auf der Bühne erlebten, denen wir gern wieder begegneten. Wunschbriefe werden ja vor Weihnachten wieder aktuell. Doch geht es uns auf etwas andere Weise wie dem Buchhändler Michel in Martinůs „Julietta“. Einer Wiederbegegnung stehen allerlei Hindernisse entgegen.
Tennessee Williams Theaterstücke – wir denken da besonders an „Die Glasmenagerie“ und an „Endstation Sehnsucht“ – zeigten bei der Lektüre einen überraschenden, poetischen Zauber, den wir sowohl auf der Bühne als auch im Film jedes Mal schmerzlich vermissten. Ausnahme war die Verfilmung von „Orpheus steigt herab“ mit Anna Magnani und Marlon Brando. Diese Poesie vermochte erst der Komponist, Pianist und Dirigent André Previn in seiner Oper „A Streetcar Named Desire“ (Uraufführung San Francisco 1998 mit Renée Fleming als Blanche) zu vermitteln. Es ist anerkennenswert, dass neun Jahre später das Theater an der Wien die österreichische Erstaufführung herausbrachte. Mit MET-erprobten SängerInnen wie Janice Watson (Blanche), Mary Mills (Stella Kowalski) und dem Neuseeländer Bariton Teddy Tahu Rhodes als Stanley Kowalski.
Die Inszenierung stammte von dem Norweger Stein Winge, der an der Deutschen Oper am Rhein einen Janáček-Zyklus ins Leben rief. Die musikalische Leitung hatte die Britin Sian Edwards, die kurze Zeit Musikdirektorin der ENO in London war. Wir suchten nach einer Wiederbegegnung mit dieser literarischen Oper über die online Datenbank Operabase, die 1996 von dem Opernliebhaber Mike Gibb ursprünglich als sein Hobby begonnen wurde. Für die nächsten zwölf Monate fanden wir lediglich eine Produktion in Miami.
Noch schlechter fiel das Ergebnis bei Strawinskys „Le Rossignol“ aus. Hier hätten wir innerhalb eines Jahres überhaupt keine Gelegenheit uns über die Oper ein genaueres Bild zu machen. Wir kennen die kurze Oper von den Salzburger Festspielen als konzertante Aufführung vor Tschaikowskys „Iolanta“. Uns würde interessieren, ob Andersens soziales Anliegen, dass die Nachtigall dem Kaiser auch vom Leid, das sie sieht, singen soll, besser herausgearbeitet werden kann.
Wir erinnern an „Schweitzers Klassikwelt 35: Eine Stadt – eine Oper“ und an „Dead Man Walking“ von Jake Heggie in der Dresdner Semperoper. Es geht um die sensible Betreuung eines Todeskandidaten durch eine geistliche Schwester. Bei diesem sehr ernsten und schweren Stück zum Thema Todesstrafe haben wir das Gefühl, dass aus diesem Grund eine größere Auswahl an Neuproduktionen fehlt.
Aber sind nicht „La Traviata“, „Rigoletto“ oder „Otello“ ebenso tragische Opern, die jedoch nicht so zum Nachdenken anregen? Drei Städte haben wir ausfindig gemacht, die zwar gar nicht so weit in Nachbarländern liegen. Die eine Stadt kennen wir bereits gut genug, ohne uns zu begeistern. Die anderen zwei Städte sind für uns bei weitem nicht so interessant, wie es Dresden ist. Wir warten ab, wie wir es bei einer Lieblingssängerin von uns in der Partie der „Lulu“ mit Erfolg getan haben, die nach Rom – allerdings eine immer wieder interessante Stadt – bald an der Wiener Staatsoper zu bewundern war.
Für die Oper „Tiefland“ besteht derzeit laut Operabase, wie wir befürchteten, kein Interesse. Eine „Pilgerreise“ würden wir auch kaum in Kauf nehmen. Zu sehr haben wir da großartige musikalische Leistungen im Ohr. Sei es Erinnerungen an Aufführungen im Tiroler Landestheater und an der Wiener Volksoper, sei es eine Plattenaufnahme (Schweitzers Klassikwelt 7 „Aus dem Zeitalter der LP“).
Jules Massenet ist ein Komponist, den mir meine Frau nahe gebracht hat. Unsere erste gemeinsame Massenet-Oper war „Hérodiade“ in der Wiener Staatsoper. Es war die erste Zusammenarbeit mit Hermann Nitsch (Bühne, Kostüme, szenische Mitgestaltung). Eine etwas unterschiedliche Handlung gegenüber der Strauss’schen „Salome“. Den Jean sang Plácido Domingo, die Herodias Agnes Baltsa, die Salome Eliane Coelho, den Herodes Juan Pons. Die Stimmlagen von Johannes dem Täufer und König Herodes sind also gewechselt. Wir haben schon lange keinen Massenet mehr genossen.
Eine Wiederbegegnung reizt uns weniger mit den gängigen Werken wie „Werther“ und „Manon“ als mit „Chérubin“ (wie es mit Mozarts Cherubino weiterging), „Cléopâtre“ oder „Thaïs“. Aber diese Kostbarkeiten sind teilweise schon Jahre lang nicht mehr aufgeführt worden. Von „Don Quichotte“, den wir in Palermo gehört haben, waren wir enttäuscht. Da ist das Musical „Der Mann von La Mancha“ weitaus mehr in die Tiefe gehend.
Einige Opernwerke, die uns neugierig machen, kennen wir bloß aus der Literatur oder aus Rezensionen. Zur ersten Gruppe gehört „Auferstehung“ des slowakischen Komponisten Ján Cikker nach dem gleichnamigen, großartigen Roman von Leo Tolstoi.
Zwar waren wir bei Prokofjews „Krieg und Frieden“ enttäuscht, wie wir in „Schweitzers Klassikwelt 46“ näher ausführten, aber der Roman „Auferstehung“ ist gestraffter und weniger weitläufig. Wir finden in Operabase keine Ankündigung, was gemischte Gefühle hervorruft, sind wir doch nicht gezwungen uns für oder wider eine Reise zu entscheiden.
Im Tiroler Landestheater wird zu Saisonende 2021/2022 die Oper „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg aufgeführt, die Begegnung einer ehemaligen KZ-Aufseherin mit einem weiblichen Häftling auf einer Schiffsreise. Grund genug das Landestheater wieder zu besuchen, in dem ich an die dreißig erinnerungswürdige Aufführungen erlebte (siehe „Verachtet mir die Stadt- und Landestheater nicht“). Die Kritiken verschiedener Produktionen waren durchgehend positiv.
Zum Schluss noch ein Beispiel dafür, dass sich schwer nachholen lässt, was man einmal versäumt hat. Weder Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ noch Verdis „Giovanna d’Arco“ sind so authentisch wie Braunfels’ „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“, die an der Kölner Oper von der Intendantin und Braunfels-Spezialistin Dr.in Birgit Meyer herausgebracht wurde. Bei Operabase derzeit leere Zeilen.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 30. November 2021, für
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 46: Operntexte und Operninhalte kritisch betrachtet