Am 11. Januar 2022 feiert die Elbphilharmonie Hamburg ihren fünften Geburtstag. Anlass für unsere Autoren, das von den Baukosten her teuerste Konzerthaus der Welt unter die Lupe zu nehmen.
Foto: Elbphilharmonie, Hamburg, (c) eberhardt-travel.de
Kinder, wie doch die Zeit vergeht: Die Elbphilharmonie ist 5 Jahre alt!
Zum Geburtstag der Elbphilharmonie Hamburg am 11. Januar 2022
von Dr. Holger Voigt
Die Schultüte ist gepackt. Das etwas sperrige Eröffnungsdatum der Hamburger Elbphilharmonie jährt sich nunmehr zum fünften Mal. Grund genug, ein wenig zu entschleunigen und auf das Erreichte zurückzublicken.
Fast vergessen sind die baulichen Probleme und die astronomische Steigerung der Baukosten im Vorfeld der Eröffnung. Doch bereits damals hatten die Hamburger selbst die Elbphilharmonie in ihre Herzen geschlossen. In den Folgejahren sind Zug um Zug die Skeptiker und notorischen Schlechtredner in das Lager der Begeisterten übergewechselt. Dass alles gut werden würde, wusste man in Hamburg schon früher – gute Dinge kosten nun einmal Geld, und davon hat Hamburg bekanntlich ja doch reichlich. Man prognostizierte, dass die Zeit schon alles richten würde. Das eingespielte Geld würde schon dafür sorgen, dass man sich alsbald dem Eigentlichen zuwenden kann: Der kulturellen Bereicherung der Freien und Hansestadt Hamburg, zum Nutzen ihrer Bürger und ihrer zugereisten Gäste. Die Elbphilharmonie („Elphi“) ist ein neues Wahrzeichen Hamburgs geworden und damit eine international erkennbare „Marke“. Sie ist in aller Welt bekannt und damit zur Weltoffenheit verpflichtet. Genau das war die Vision ihrer Gründer, und diese Vision wurde erlebbare Wirklichkeit.
In den vergangenen Jahren hat die Elbphilharmonie nicht nur musikalische, sondern auch kulturelle Ereignisse aller Art gehostet. Sie war strahlende Gastgeberin zahlreicher genre-überschreitender kultureller Veranstaltungen. Ob der unrühmliche G20-Gipfel 2017 dazu gehört, mag jeder für sich bewerten, doch zumindest das Festkonzert am 7. Juli 2017 (Ludwig van Beethovens Neunte mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von GMD Kent Nagano) war es ja sicher. Auch eine der letzten Mode-Präsentationen Karl Lagerfelds, Chanels „Métiers d‘Art“-Kollektion am 6. Dezember 2017, wählte die Elphi als Veranstaltungsort – eine Reminiszenz an die Heimatstatdt des Modedesigners.
Viele Tagesereignisse in der Elbphilharmonie dienten nicht primär kulturellen Zwecken, sondern zeigten die ElPhi als eine Art ausrichtendes Kongresszentrum. Ob das immer eine kluge Wahl war, mag dahingestellt sein – geschadet hat es der Elphi jedenfalls nicht.
Interessant ist, dass sich unter der Intendanz Christoph Lieben-Seutters die Elbphilharmonie nach innen und außen geöffnet hat, um exemplarisch die Teilhabe der Bevölkerung an Kunst und Kultur zu ermöglichen und zu erweitern. Heerscharen von Besuchern haben seither nicht nur die Plaza mit dem unglaublichen Ausblickpanorama besucht, sondern über Bildschirm nach draußen übertragene Konzerte auch im Aussenbereich genießen können. Wäre Hamburg wettertechnisch ein stabiler Standort, könnte man fast italienische Verhältnisse annehmen, wenn an einem lauen Sommerabend entspannte Menschen in und um die Elbphilharmonie flanieren und drinnen Top-Konzerte mit Künstlern der Spitzenklasse stressfrei erleben können. Für die ausführenden Musiker – das konnte man fast immer beobachten – wirkt die Elbphilharmonie fast wie eine Psychodroge – jeder Musiker schien doppelt motiviert, in der Elbphilharmonie eine persönliche Marke zu setzen. Unvergessliche Konzerte blieben so in der Erinnerung präsent und sind glücklicherweise auch heute noch in einer eigenen Mediathek als Stream-Mitschnitte verfügbar.
Wer hätte allerdings gedacht, dass dieser illustre Musentempel einmal zu einem sonntäglichen Impfzentrum hätte werden können, um einen eigenen Solidaritätsbeitrag zur Pandemiebekämpfung leisten zu können. Es ist eben immer besser, innovativ zu denken als „quer“.
„Alles ist möglich“ ist ein Werbeslogan einer japanischen Automarke. Da wundert es nicht, dass der Chefakustiker der Hamburger Elbphilharmonie selbst diesen Namen trägt – ist das eine Botschaft?
Meine persönlichen Spitzenerlebnisse zu benennen, fällt enorm schwer: Ob die Konzertabende von Martha Argerich, Herbert Blomstedt, Esa-Pekka Salonen und andere bei mir an der Spitze stehen oder nicht, ist für den Leser letztlich irrelevant: Er hat seine eigenen Erfahrungen und Favoritenlisten. Wichtig ist nur, dass all dieses Seelennahrung ist und in der Erinnerung auch bleibt. Ich persönlich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich die Elbphilharmonie weiter und breiter entwickeln wird und wünsche ihr alles Gute und unzählige Pandemie-freie Konzerthöhepunkte!
Dr. Holger Voigt, Kaltenkirchen bei Hamburg
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Dann auf eine laaaange Rolltreppe
von Sandra Grohmann
Außen Schiff, innen Muschel: Kurz vor ihrem fünften Geburtstag habe ich dann doch die Elphi kennengelernt, bei einer schönen Matinee im Rahmen der klassik-begeistert-Weihnachtsfeier. Sie brachte Licht und Wohlklang in einen trüben Dezembersonntag. Am Eingang noch Zittern im Gegenzug. Dann auf eine laaaange Rolltreppe, wie sonst nur in Londoner oder Moskauer U-Bahnen. Ankunft bei offenen Terrassen und verglaster Fassade mit Aussicht in – den Nebel von Hamburg. Aber das Innere: Hell, elegant, freundlich, in den Formen organischer und weniger steil als erwartet, beherbergt die Halle Orchesterklang und lässt ihn dem Publikum freigiebig an die Ohren schwingen. Sieht aus wie ein Schiff. Funktioniert wie eine Muschel – einfach reinhören.
Sandra Grohmann, Berlin
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Mindestens 10 Sekt auf Eis von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
von Harald N. Stazol
Die Elphi hatte mal einen Pool, an dem ich mich in einer quitschgelb-lilanen Badehose von Dsquared sonnte und jeden Sonntag wunderbare 10 Wochen lang mit der Jeuness Dorée Hamburgs um die Wette planschte, genau an der Kehrwiederspitze – den dort gab es 2002 den tollsten Beachclub aller Zeiten, die Leute kamen extra aus NYC und Mailand und Paris: das legendäre Rangavilas.
200 Mitgliedskarten gab es, eine wunderbare Bar, 100 Sonnenstühle, und einen langen heissen, flirrendenSommer – ich war der erste und oft der letzte dort, und nahm mindestens 10 Sekt auf Eis von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Manchmal spielten wir in den nach süßlich-sauren Kaffeebohnen duftenden, gigantischen Kellern Paintball – direkt unter dem Kaispeicher.
Manchmal, wenn ich auf dem Eckbalkon der Elphi auf Ebene 15 in der Pause im geheimen eine halbe Davidoff smoke – bitte, verraten Sie mich nicht, ich habe auch einen Tiffany-Taschenascher – blicke ich wehmütig dort hinunter, nach ganz rechts, wo ich mit den Schönsten der Stadt die Sommersonne genoß, und bin glücklich – die Elphi ist ein für mich eben besonders verwunschener Ort. Jahrelang wogt der Streit um den Etat über der Stadt, teuerste, letztlich aber unschätzbare Extravaganzen von Herzog & DeMeuron, die Akustikplatten in den Wänden etwa, aus Japan eingeflogen, Milimeterarbeit – deswegen haben wir jetzt so eine feinst-kanülenhafte Tonspitze in unserem Elbjuwel, denn das ist es für mich, als ich erstmals die Treppen ersteige, mein Jungfernkonzert, ich weiß nicht mehr welches… den ersten Abend habe ich mit meiner neuen Geliebten verbracht, denn die Elphi und mein persönlicher Genus Loci machen glücklich! Und so sehe ich einer Affaire oder einer langen Liebesgeschichte entgegen, einer Lebenspartnerschaft sogar, mit einer der Schönsten der Stadt.
Harald N. Stazol, Hamburg
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Glückwunsch, dass wir in Wien, Mailand, New York, Sydney, Bayreuth (etc. pp) und Hamburg phantastische Musik gemeinsam hören dürfen!
von Dr. Andreas Ströbl
Nun habe ich, wie ein artiges Kind zu Mamas Geburtstag, der „Elphi“ ein Gedicht geschrieben. Das wurde aber seitens derjenigen Instanz, die mir Inspiration und Korrektiv zugleich ist, als zu albern und unelegant verworfen. Recht hat sie und Geschmack.
Also doch etwas Prosa. Mehr als prosaisch ging es ja vom ersten Spatenstich bis zur ersten gespielten Note in Hamburgs zweitem Wahrzeichen nach dem „Michel“ zu und das ist mittlerweile auch schon ein alter Hut. Allerdings gab es tatsächlich Menschen in Hamburg, die während der immer länger währenden Bauzeit und angesichts der Millionen Euro, die scheinbar im Hafenschlick versanken, über das Projekt einfach nicht mehr sprechen wollten.
Es gab aber auch Leute, die meinten, irgendwann werde man über all diese Dramen nicht mehr reden und nur noch eines der wichtigsten Konzerthäuser der Welt bestaunen. Tatsächlich betrugen die Baukosten fast ein Dutzendmal so viel wie ursprünglich berechnet und die Eröffnung hatte sich bereits um sechs Jahre verzögert. Das hätte aber noch schlimmer kommen können, denn ein anderes Welt-Opernhaus, das Baugeschichte schrieb, nämlich die Oper in Sydney, kostete mehr als 14mal soviel wie geplant, ganz abgesehen von der Bauzeit. Die Arbeiten begannen 1959 und erst 1973 eröffnete Königin Elizabeth II. das Haus mit Beethovens „Neunter“. Der Architekt Jørn Utzon hatte sich derart mit der Regierung des Bundesstaates New South Wales überworfen, dass ihm die Gelder gestrichen wurden. Er verließ die Baustelle 1966 und betrat nie wieder australischen Boden.
Sollte es in der Abteilung der Behörde im Universum, die das Schicksal von Superlativ-Opernhäusern entscheidet, zum guten Ton gehören, auch die Kosten und Bauzeiten ins Absurde zu steigern? Von schwäbischen Bahnhöfen und brandenburgischen Flughäfen wollen wir da lieber gar nicht anfangen. Und ist an dem Gerücht etwas dran, dass durch die enormen Gebühren im Parkhaus am Bezahl-Automaten die Kosten auf lange Sicht wieder reingeholt werden sollen?
Ach – lieber zurück zu Beethoven und einer Ode an die Freuden der Musik. Fünf Jahre sind baugeschichtlich ein Klacks, aber in dieser kurzen Zeitspanne kann eine Menge passieren. Die „Elphi“ hat wie ein artiges Kind (ach, so herum sollte die Rollenverteilung sein!) gelernt, dass gutes Benehmen denselben Ton ausmacht und die Verantwortlichen weisen vor vielen Konzerten die Besucherinnen und Besucher zumindest darauf hin, dass sie bitte ihre Mobiltelephone ausschalten sollen und dass die tatsächlich hervorragende Akustik keinen Huster verzeiht. Der Ansturm derer, die „nur mal dagewesen sein wollten“, ist spürbar abgeebbt, zwei Jahre mit Corona-Einschränkungen sind hoffentlich bald ebenso Geschichte wie es mittlerweile wenigstens die schlimmsten Zerwürfnisse um all die Pleiten und Pannen sind.
Glückwunsch, liebe „Elphi“, also zum 5. Geburtstag! Und uns: Glückwunsch, dass wir in Wien, Mailand, New York, Sydney, Bayreuth (etc. pp) und Hamburg phantastische Musik gemeinsam hören dürfen!
Dr. Andreas Ströbl, Lübeck (Schleswig-Holstein)
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Die Elbphilharmonie – ein musikalisches Tor zur Welt im wörtlichen Sinne
von Jolanta Łada-Zielke
In den fünf Jahren seit Eröffnung der Elbphilharmonie habe ich sie hauptsächlich von der Bühnenseite her kennengelernt. Zusammen mit dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg sang ich zweimal auf der großen Bühne das Bach-Weihnachtsoratorium sowie Johannes Brahms‘ Requiem und zuletzt Janáčeks „Das schlaue Füchslein“. Im kleinen Konzertsaal hatten wir zwei Auftritte, einen mit A-cappella-Stücken von Gustav und Alma Mahler, den anderen mit Brahms- und Schumann-Liedern. Den besseren Eindruck hatte ich bei den Aufführungen im größeren Saal. Die kleinere Bühne eignet sich eher für die Kammerkonzerte, bei einer größeren Chorbesetzung ist dort der Klang viel zu dicht.
Als Journalistin lernte ich dieses Objekt schon im November 2016 kennen. Ich war von polnischen Medien beauftragt, einen Artikel über die Elphi zu schreiben und mit freundlicher Genehmigung des Pressesprechers Tom R. Schulz durfte ich sie noch vor der Eröffnung besichtigen. Ich war begeistert von der Einrichtung des großen Konzertsaals, vor allem von Verteilung der Zuschauerränge auf verschiedenen Höhen, ähnlich den Weinbergterrassen. Am besten gefiel mir die architektonische Kombination des antiken Theaters in Delphi mit der Struktur eines Stadions, das dem Publikum ermöglicht, musikalische Ereignisse gemeinsam zu erleben ohne einander zu stören…. und natürlich die „white skin“ von Yasuhisa Toyota, dank der sich der Klang mit gleicher Intensität und Qualität zu jedem Punkt im Raum ausbreitet… man kann die Hafengeräusche von außen überhaupt nicht hören.
„Chor zur Welt“
Schon bei der Eröffnung der Elbphilharmonie hat man sie das „Tor zur Welt“ genannt, weil sie für alle offen sein sollte. Ein gutes Beispiel dafür ist der dort gegründete „Chor zur Welt“, in dem Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturräumen zusammen singen. Alles fing bereits im Eröffnungsjahr 2017 mit dem Festival Salam Syria („Willkommen Syrien“) an, wobei auch ein Chorprojekt für Laien durchgeführt wurde. Zunächst nahmen daran 80 Sängern teil, nur Deutsche und Menschen aus dem arabischen Sprachraum: Afghanistan, Irak, Syrien, und Iran. Im selben Jahr trat der Chor auch während des Morgenland Festivals in Osnabrück auf. Als das Projekt zu Ende war, wollten die Sänger das weitermachen. So entstand der Chor zur Welt, zu dem 2018 die neuen Mitglieder aus Georgien, Litauen, Polen, Russland, Israel, Österreich, und Spanien kamen.
Die Tätigkeit dieses Chores fügt sich perfekt in die Integration durch Musik ein. Sein Repertoire umfasst vor allem Klassik, arabische Stücke und Popsongs. Im Herbst 2018 besuchte ich eine der Proben dieses Ensembles und bewunderte, wie die Sänger zunächst Johannes-Brahms-Stücke und dann die arabischen einstimmigen Lieder übten. Dem Chorleiter Jörg Mall gelang es, von so vielen verschiedenen Menschen einen gemeinsamen und relativ homogenen Klang zu bekommen.
„ Da gibt es viele Menschen, die noch in keinem Chor oder gar nicht gesungen haben“, so Mall. „Mit ihnen musste man ganz von unten mit gründlichen Übungen anfangen. Aber die Arbeit macht Spaß, weil die Sänger sehr engagiert sind. In manchen steckt so viel Energie, dass sie auch zu Hause in den Text schauen und üben. Jeder möchte so gut sein, wie er kann“.
Am meisten schätze ich die Elbphilharmonie dafür, dass sie keine elitäre Institution ist, in deren Wänden nur große Namen und weltberühmte Musiker auftauchen, sondern auch solche Projekte wie der „Chor zur Welt“ umgesetzt werden. Sie sind einer der effektivsten Integrationsfaktoren.
Jolanta Łada-Zielke, Hamburg
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 11. Januar 2022
Redaktion: Andreas Schmidt,
Herausgeber
Happy Birthday, Elbphilharmonie – eine große Analyse klassik-begeistert.de