Eine Erinnerung an Professor Joshard Daus – den Gründer der EuropaChorAkademie
von Jolanta Łada-Zielke
Über die Verstorbenen sollte man entweder gut oder gar nicht sprechen. Ich erkläre sofort, dass ich keine schlechten Erinnerungen an Professor Joshard Daus habe. Aber bevor ich an einem Projekt der EuropaChorAkademie (ECA) teilnahm, hörte ich einige unangenehme Dinge über ihn. Damals sang ich in der Kantorei Sankt Barbara in Krakau, deren Mitglieder ein paar ECA-Projekte hinter sich hatten. Alle behaupteten, dass Professor Daus ein großartiger Musiker war. Sie fügten jedoch hinzu, dass er streng sei, leicht wütend wird und jemanden für eine Kleinigkeit aus dem Chor rausschmeiße oder in die letzte Reihe versetze. Die letzte Reihe besetzten die Chormitglieder, die sich als nicht gut genug herausstellten. Sie schlossen sich dem Singen nur den Stellen an, wo eine größere Klangmasse benötigt wurde. Bei den anspruchsvolleren Passagen mussten sie „tacet“.
Ich beschloss, diese Meinungen mit meiner eigenen Erfahrung zu vergleichen. Der Anlass ergab sich im September 2007, als die ECA das „Polnische Requiem“ von Krzysztof Penderecki für ein den Opfern des Zweiten Weltkrieges gewidmetes Konzert vorbereitete. Also flogen vier Vertreter der Kantorei Sankt Barbara nach Deutschland, zusammen mit dem Dirigenten Wiesław Delimat, der seit Jahren im Chor von Professor Daus im Tenor sang. Zu unserer Gruppe gehörten noch eine Sopranistin, ein weiterer Tenor und ich als erster Alt.
An diesem Projekt nahmen etwa sechzig Sänger aus der ganzen Welt teil. Die überwiegende Mehrheit stammte aus den slawischen und baltischen Ländern. Wir probten zunächst in Bremen-Vegesack. Professor Daus kündigte gleich zu Beginn an, dass das Stück schwierig ist, deshalb will er nur ausgewiesene Sänger in den ersten beiden Reihen haben. Diejenigen, die zum ersten Mal dabei waren, sollten in die letzte Reihe gehen. So landeten wir alle, bis auf Wiesław, hinten. Ich meckerte jedoch nicht, denn es war ein guter Aussichtspunkt für meine Reportage zu diesem musikalischen Ereignis. Unsere Sopranistin wollte unbedingt „aufsteigen“. Professor Daus verlangte von ihr ein Fragment aus „Agnus Dei“ (dem einzigen A-Capella Satz im Requiem) vor dem ganzen Chor vorzusingen. Nach ungefähr einem Dutzend Takten prüfte der Chorleiter ihren letzten Ton auf der Flügeltastatur und sagte, dass sie zu tief sei. Für unsere Kollegin änderte sich leider nichts.
Zwar benahmen sich manche Sänger von den ersten zwei Reihen uns gegenüber abweisend, aber im Großen und Ganzen herrschte im Chor eine freundliche Stimmung. Es passierten sogar witzige Dinge. In Pendereckis Requiem gibt es einige Cluster. Professor Daus hatte die Idee, unter uns Stimmgabeln zu verteilen, damit wir unsere Einsatztöne besser finden können.
Wie ich „aus der Reihe“ gesungen habe
Der Satz „Offertorium“ in Penderecki Requiem enthält ein Zitat aus dem polnischen geistlichen Lied: „Święty Boże, Święty, Mocny, Święty a Nieśmiertelny, zmiłuj się nad nami“(Heiliger Gott, Heilig und Stark, Heilig und Unsterblich, erbarme dich unser). Dies ist die einzige Passage in polnischer Sprache im gesamten Werk, also brachten wir die Aussprache den Mitsängern aus anderen Ländern bei. Am Anfang des Satzes spielen die Streicher unisono über eine Minute, dann kommen die Alti und die Solistin (ebenfalls Alt) eine kleine Sechste aufwärts mit dem Hauptthema. Am zweiten oder dritten Probentag hatten wir ein Einsatzproblem an dieser Stelle. Der Professor regte sich auf und befahl, dass nur die Frauen von den zwei ersten Reihen diese Passage singen sollen.
Da dachte ich: „Oh nein! Das ist mein polnisches Lied und ich habe das Recht, es zu singen.“ In der Pause ging ich, von Wiesław begleitet, zu dem Chorleiter. „Dürfte unsere polnische Kollegin „Święty Boże“ mitsingen?“, fragte Wiesław. Ich sah den Professor ängstlich an, aber er lächelte und nickte zustimmend mit dem Kopf.
Am nächsten Tag fuhren wir zur Hauptprobe mit dem Orchester nach Hannover. Sie fand im Sitz des Norddeutschen Rundfunks statt, und Maestro Penderecki selbst leitete sie. Auf Anordnung von Professor Daus sollten die Chormitglieder, die gerade nicht sangen, sitzen bleiben. Bei „Święty Boże“ sah das lustig aus: die ersten beiden Reihen stehen, die dritte sitzt, und in der vierten stehe nur ich alleine und singe mit. Unsere polnische Gruppe wusste, dass ich es durfte. Die anderen schauten mich als eine Verrückte an, weil mich der Chorleiter für solch eine Eigenmächtigkeit feuern würde. Sein Assistent wollte mich zur Rede stellen. Als er mitbekam, dass der Professor es mir erlaubt hatte, entschuldigte er sich bei mir. Ich konnte in Ruhe weitersingen, obwohl einige Personen fragten mich immer noch „Why do you stand up?“
Das Konzert mit dem „Polnischen Requiem“ unter der Leitung von seinem Schöpfer fand in Ottobeuren statt. Über diese Veranstaltung habe ich schon bei Klassik Begeistert geschrieben: https://klassik-begeistert.de/krzysztof-penderecki-ein-nachruf-klassik-begeistert-de/ Als ich nach Polen zurückkehrte, kam eine sehr bedeutende Veränderung in mein Leben, infolge derer ich nach Deutschland zog.
Mein nächstes und letztes Treffen mit Professor Joshard Daus fand an Silvester 2019 in der Laieszhalle Hamburg statt, als der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor und die EuropaChorAkademie Beethovens Neunte mit den Hamburger Symphonikern aufführten. Wir beide hatten ein nettes Gespräch. Professor Daus erkannte mich nicht, erinnerte sich aber an das Projekt mit Penderecki Requiem und an das Konzert in Ottobeuren. Als ich im November 2021 von seinem Tod erfuhr, dachte ich: bei ihm gab es eine harte, aber sehr gute Chorgesangsschule.
Jolanta Łada-Zielke, 21. Februar 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Professor Joshard Daus absolvierte in seiner Heimatstadt Hamburg ein Schulmusikstudium bei Professor Hermann Rauhe und ein Kapellmeisterstudium bei Professor Brückner-Rüggeberg. Von 1976 bis 1997 arbeitete er als städtischer Musikdirektor in Hamm und Lippstadt. 1985 begann er seine Tätigkeit an der Universität Mainz als Professor für Chor- und Orchesterleitung und als Direktor des Collegium Musicum. Ein Jahr später fing Daus eine Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Sergiu Celibidache an, bei dem er von 1990 bis 1993 die Stelle des Chordirektors der Münchner Philharmoniker behielt. Später leitete er die altehrwürdige Singakademie zu Berlin. 1997 gründete er die EuropaChorAkademie in einer Kooperation der Mainzer Universität und der Hochschule Bremen.
Die Quelle: Laieszhalle Orchester / Symphoniker Hamburg
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Jolanta Łada-Zielke, 50, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.
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