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von Peter Sommeregger
Bereits 64 Jahre liegt der Tod der Dresdner Sopranistin Elfride Trötschel zurück, weit länger, als ihr Leben dauerte. Dass diese Ausnahmesängerin bis heute nicht vergessen ist, und ihr Name gleichsam als Synonym für lyrische Gesangskultur gilt, versteht sofort, wer auch nur eine ihrer Aufnahmen hört. Der reine, schlackenlose Klang dieser Stimme ist einzigartig.
Vom Schicksal gut bestrahlt war die am 22. Dezember 1913 in Dresden geborene Tochter eines Musiklehrers aber nicht. Bereits mit neun Jahren wird sie zur Vollwaise, gerät in schlechte Hände und findet erst bei neuen Pflegeeltern ein liebevolles Zuhause. Ihr musikalisches Talent wird erkannt, an der Dresdner Musikhochschule wird sie erst zur Chorsängerin, später auch als Solistin ausgebildet. Bereits 1933, mit gerade einmal 20 Jahren engagierte Karl Böhm sie an die Dresdner Staatsoper, wo sie anfangs im lyrischen Fach eingesetzt wurde, aber über die Zeit auch jugendlich dramatische Partien übernahm. Bis zum Jahr 1950 blieb sie Ensemblemitglied in Dresden, ab 1950/51 war sie an der Berliner Staatsoper engagiert, wechselte aber bereits 1951 an die Westberliner Städtische Oper. Bereits seit 1947 hatte sie einen Gastvertrag mit Walter Felsensteins Komischer Oper Berlin.
Bereits vor und während des Zweiten Weltkriegs gastierte Elfride Trötschel auch im Ausland und bei internationalen Festivals, so 1936 in London und Florenz, 1941 bei den Salzburger Festspielen als Barbarina in Figaros Hochzeit, 1950 bereits als Susanna. Bei einem Gastspiel sang sie 1953 in London die Zdenka in Richard Strauss’ Arabella. Auch in Zürich, Wien, Neapel und Marseille war sie zu hören.
Am Höhepunkt ihrer Karriere, mit 44 Jahren, erkrankte Elfride Trötschel an Krebs und starb am 20. Juni 1958 in einem Westberliner Krankenhaus. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Friedhof des Dresdner Stadtteils Cotta, in dem sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatte. Sie hinterließ einen Sohn, der aus einer kurzen, geschiedenen Ehe stammte. Andreas, der später Tierarzt wurde und bewusst den Familiennamen seiner Mutter annahm, wurde nicht müde, in Vorträgen und bei Gedenkveranstaltungen an seine Mutter zu erinnern und die Erinnerung an sie wachzuhalten.
Für die bis heute anhaltende Präsenz dieser Stimme stehen aber die erfreulich zahlreichen Schallplattenaufnahmen der Sopranistin. Auch tauchten noch spät immer wieder Rundfunkaufnahmen und Aufführungsmitschnitte auf, die auch die Bühnenpräsenz der Sängerin erahnen lassen.
Es existieren zwei Aufnahmen des Freischütz, einmal singt Trötschel das Ännchen, in der späteren Aufnahme die Agathe. Auch Konzertrepertoire hat die Künstlerin eingespielt, so Die Schöpfung und Die Jahreszeiten von Haydn, die Carmina Burana von Orff und die 4. Symphonie Gustav Mahlers unter Otto Klemperer. Ihre vielleicht berühmteste Einspielung ist Dvořáks Rusalka, die unmittelbar nach dem Krieg in Dresden unter primitivsten Bedingungen aufgenommen wurde, aber die Sehnsucht aller beteiligten Künstler nach einer Rückkehr zu einer verloren gegangenen Normalität spüren lässt. Rusalkas Lied an den Mond rührt in Elfride Trötschels Interpretation beinahe zu Tränen. Ihre Stimme kann neben einer perfekten Wiedergabe aller Noten auch noch intensive Emotionen transportierten und reiht sie damit unter die ganz großen Interpreten der Oper ein. Allen Liebhabern von Gesang sei die Beschäftigung mit Aufnahmen Elfride Trötschels wärmstens empfohlen!
Peter Sommeregger, 22. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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