Konzert mit dem Royal Concertgebouw Orchestra (Leitung: Alain Altinoglu), dem Pianisten Víkingur Ólafsson und dem Klarinettisten Martin Fröst in der Philharmonie Essen. Fotos: Sven Lorenz/TUP
Wir haben gerade mal Mitte September, und schon sind die Amsterdamer wieder im Lande. Nach zwei Konzerten in Köln kamen sie nun mit ihrem Amsterdamer Programm des Vorabends ins Ruhrgebiet. Großer Jubel für ein außergewöhnliches Programm und ein fulminantes Konzert.
Essen, Philharmonie, 10. September 2022
John Adams (*1947) – Short Ride in a Fast Machine (1986)
Edvard Grieg (1843-1907) – Klavierkonzert a-Moll op. 16
Div. Komponisten – Dance Mosaic für Klarinette und Orchester (arr. Martin & Göran Fröst)
Leonard Bernstein (1918-1990) – Sinfonische Tänze aus West Side Story
Concertgebouworkest
Víkingur Ólafsson, Klavier
Martin Fröst, Klarinette
Alain Altinoglu, Dirigent
von Brian Cooper, Bonn
Es ist inzwischen eine sehr schöne Tradition, dass das Concertgebouworkest am Tag nach seiner opening night mit dem Programm des Vorabends ins Ruhrgebiet kommt. Freitag hatte man bei kostenlosem Eintritt im Westerpark gespielt, im Vorjahr auf dem Dam, und eine solche Waldbühnen-Atmosphäre, in der man für die Menschen in der Stadt spielt, ist doch irgendwie netter als die offenbar inzwischen verworfene Gala zur Saisoneröffnung im Concertgebouw mit Champagner und black-tie-Dresscode. Wobei ich nichts gegen Champagner habe – im Gegenteil.
Die opening night ist, strenggenommen, gar nicht mal das erste Saisonkonzert des Amsterdamer Orchesters, das unlängst bereits u.a. in Köln und Berlin gastiert hatte, wie auch schon am 19. August unter dem designierten neuen Chef Klaus Mäkelä im Concertgebouw. Und auch in der Essener Philharmonie haben ja schon einige Konzerte der neuen Saison stattgefunden.
Die Amsterdamer sind dort in dieser Spielzeit sogar Artists in Residence, wie auch einer der Solisten des Abends, der Pianist Víkingur Ólafsson, dem eine Portraitreihe gewidmet ist. Der andere, Martin Fröst, ist 2022/23 seinerseits Artist in Residence in Amsterdam.
Das gesamte Konzert glich einem wilden Ritt, und das ist durchaus positiv gemeint. Die Stimmung war klasse, das Publikum diszipliniert und dankbar, und Orchester wie Solisten brillierten unter der Leitung des charismatischen Franzosen Alain Altinoglu.
Der legte gleich mit John Adams los. Short Ride in a Fast Machine ist eines der populärsten Werke des Amerikaners, ein hochvirtuoses Werk von viereinhalb Minuten, das vom Orchester sensationell dargeboten wurde.
Dann folgte der Auftritt des isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson, der Griegs Klavierkonzert einerseits mit der nötigen Wucht, andererseits auch mit nachdenklich-leisen Tönen spielte. Die Kadenz im ersten Satz klang mitunter wie improvisiert; es war ein intensives, faszinierendes Erlebnis, das so zu hören.
Im zweiten Satz spielte Katy Woolley einmal mehr berückend schöne Hornsoli, und das gesamte Orchester begleitete den Solisten sehr einfühlsam. Der dritte Satz, für meinen Geschmack ein wenig zu zügig genommen, fiel ein wenig gegen die ersten beiden ab, aber das ist Jammern auf höchstem Niveau – es ist nicht einmal Jammern.
Ólafsson widmete seine Zugabe, Three Songs for Lars, dem einige Tage zuvor verstorbenen Lars Vogt. Es ist berührend, wie viele Kolleginnen und Kollegen und auch Musikbegeisterte aus aller Welt diesem viel zu früh von uns gegangenen Musiker auf verschiedenste Art ihre Reverenz erweisen.
Der wilde Ritt ging nach der Pause weiter. Und wie! Auftritt Martin Fröst. Der Mann sprüht nur so vor Energie und kann einfach alles auf der Klarinette. Er und sein Bruder Göran haben ein wildes „Tanzmosaik“ arrangiert bzw. komponiert, das auf bekannten (Brahms, Bartók) und unbekannteren Tänzen (Hillborg, Hyper Exit) basiert und deren Melodien in eine kraftvolle und beeindruckende Komposition einbaut, die nicht zuletzt auch Klezmer-Elemente enthält. Es wird stellenweise vom gesamten Orchester in We Will Rock You-Manier aufgestampft (Bum Bum Chak!), und einige Orchestermitglieder setzen ihre Stimmen ein.
Dies geschah natürlich auch im Mambo, einem der sinfonischen Tänze aus Leonard Bernsteins bekanntester Komposition, dem Musical West Side Story. Alain Altinoglu animierte das Publikum, mitzumachen, was in der Zugaben-Wiederholung des Mambo besser gelang. Schmunzeln allenthalben, im Orchester wie im Publikum.
Bernsteins Arrangement des eigenen Werks ist ein Renner im Konzertsaal, und die etwa fünfundzwanzigminütige Komposition ist effektvoll orchestriert und einfach ein mitreißendes Werk – zumal, wenn es so gespielt wird wie vom Concertgebouworkest in Essen. Besonders beeindruckend gelang hier Cool.
Anschließend gab es im Pavillon eine Stunde Klaviermusik mit Víkingur Ólafsson, der Kompositionen und eigene Arrangements von Galuppi bis Glass und von Cimarosa bis Rameau spielte. Die Moderation des Pianisten in englischer Sprache enthielt viel Philosophisches über Musik und Zeit sowie über die Frage, was modern sei (200 Jahre seien in der Musik schließlich rein gar nichts). Ólafsson endete mit seinem Lieblingskomponisten Bach und einem eigenen Arrangement des ersten Satzes der C-Dur-Violinsonate BWV 1005, das er zum ersten Mal öffentlich spielte.
Es war insgesamt ein begeisternder Abend voller Überraschungen, mit einem unwiderstehlichen Programm weit abseits ausgetretener Pfade. Man wurde verzückt in die Essener Vollmondnacht entlassen.
Dr. Brian Cooper, 12. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at