Elbphilharmonie: So was hat die Welt noch nicht gehört

Oslo Philharmonic, Sol Gabetta Violoncello, Klaus Mäkelä, Dirigent  Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022

Foto: Klaus Mäkelä © Daniel Dittus

Die Zugabe reißt noch einmal mit, die Ouvertüre „Ruslan und Ludmilla“ von Glinka, und wen es jetzt nicht hinwegfegt, dem ist nicht mehr zu helfen!

Oslo Philharmonic
Sol Gabetta, Violoncello
Klaus Mäkelä, Dirigent

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107 (1959)

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 (1953)

Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022

 von Harald Nicolas Stazol

Oslo Philharmonic / Sol Gabetta / Klaus Mäkelä © Daniel Dittus

So was hat die Welt noch nicht gehört, es ist, als würden drei Tornados durch die Elbphilharmonie toben, man befürchtet schier, die Decke käme herunter bei diesen Beifallstürmen, es wird gerufen und wie bei einem Rockkonzert mit den Füßen gestampft: Der erste Sturm nach dem äußerst stürmischen 1. Cellokonzert jenes so oft verkannten Dmitri Schostakowitsch (auf ihn wird noch einzugehen sein), und einer hinreißenden, hinwegreißenden, einer so traumvoll-traumhaften Meisterin ihres Fachs, jener Virtuosin, Sol Gabetta, die äußerst elegant in Spiel und Outfit – einem goldenen Faltenkleid – einer Bogenführung ohne Gleichen, flüsternden Pianissimi und Flageoletts und rasenden Tempi und ja, immer wieder aufscheinenden Soli, und die den Dirigenten bewegungslos und mit geschlossenen Augen warten lässt, aber was sag ich, den Dirigenten? Bewegungslos? Warten?

Es ist, als hätte die Klassikwelt nur auf ihn gewartet. Der noch so junge Mann, Klaus Mäkelä, darf wohl als absolutes Wunderkind gelten, und ja, er vollbringt Wunder, und ist für den zweiten Tornado verantwortlich, den er mit den Osloern auslöst, die heute Abend Glanzvolles leisten, in Spiel und Interpretation, unter Mäkelä ohne Makel, und dann die berechtigte Frage: wie macht der Junge das bloß?

Nun, sagen wir, er turnt wahrhaft sportlich, mit feurigen Augen – ein Fitnessprogramm benötigt er mit Sicherheit nicht, er beugt sich und streckt sich und wirft die Arme, ach was, den ganzen Körper hin und her, bald in Ekstase und seine Musiker in Ekstase bringend, und das Publikum, und mich gleich mit. Ich sitze, fast frontal, nur 15 Meter entfernt von diesem Mirakel eines 26-jährigen mit den fordernden Blicken, und wippe begeistert mit.

Er hat alles was zu einem Weltstar gehört: Rank und schlank ist er, voller Charisma, gutaussehend, beinahe ein Model, voller Verve und uneingeschränktem Genie und Können, so dass die 10. Symphonie des Russen fast wie ein wild-hingebungsvolles Gebet klingt.

Oder eine Erlösung, ist doch gerade Josef Stalin endlich, endlich, endlich gestorben, und für den Komponisten bricht endlich, endlich, endlich Tauwetter ein, hat er doch unter der Zensur gelitten wie kein anderer, weil seine Musik als „zu unmelodisch“ und westlich eingestuft wird, obschon er ja solche patriotischen Stücke wie den „Fall von Berlin“ zu Papier brachte.

So wird der unendlich martialische zweite Satz als Gemme, einer musikalischen, auch grausamen Programmatik des Diktators gesehen, und Mäkele tobt dem nun tosenden Orchester zu, es ist lauter als bei eben einem Rockkonzert, die Schlagwerker geben alles, mit unglaublicher Präzision.

Und dann der dritte Satz, und immer, wenn Liebe im Spiel ist, werden Komponisten zart-zärtlich, und da ist diese aserbaidschanische Schülerin, Elmira Nazirova, der er schreibt: „Dies ist das Resultat, und selbst ohne dieses würde ich ohne Unterlass an Sie denken – ob dies ein Faktum ist, sehen Sie an meinen wertlosen Manuskripten.“ Nun also webt er geheimnisvoll ihren Namen neben seinen, in den Tonfolgen D-Es-C-H und E-A-E-D-A, kongruent mit der Tiefe seines Gefühls, das auch die Unerreichbarkeit der Angebeteten beschreibt, wie ich einem Essay, der in „Aserbaidjan International“ 2008 erschienen ist, entnehmen kann: „In seinen Briefen beschreibt er genau, wie er zu jeder Note in ihrem Namen kommt.“

Oslo Philharmonic / Klaus Mäkelä © Daniel Dittus

Natürlich ist die Verehrte am 28. September 1953 im Bolshoi-Saal des Konservatoriums anwesend, und wird später sagen, dass sie sich ständig der dahinschmelzenden Blicke Schostakowitschs ausgesetzt sah.

Fesselnd ist das und atemberaubend und lyrisch auch, und in dieser Ideenwelt folgt nun der heiter-versöhnliche vierte Satz, der auch Schostakowitschs Nähe zu seinem Vorbild Gustav Mahler beweist: Rasant erklingen die Flöten im Widerspiel mit den Streichern, von denen die Konzertmeisterin Elise Batnes besonderer Erwähnung wert ist.

Besonderer Erwähnung bedarf ebenso die Disziplin des kundigen Publikums, das NICHT zwischen den Sätzen klatscht!

Die Zugabe reißt noch einmal mit, die Ouvertüre „Ruslan und Ludmilla“ von Glinka, und wen es jetzt nicht hinwegfegt, dem ist nicht mehr zu helfen!

Schon nach den sieben Symphonien des Jean Sibelius unter der kundigen Hand des Mäkelä schrieb ich „Junge, komm bald wieder!“ Von diesem Dirigenten wird man noch viel, sehr viel hören, und ich bin glücklich und froh, ihn  – hoffentlich noch ein paar Jahrzehnte – auf diesem Wege begleiten zu können.

Harald Nicolas Stazol, 15. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Oslo Philharmonic, Sol Gabetta, Klaus Mäkelä Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022

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