John Lundgren (Wotan) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Der Anfang vom Ende hat begonnen. In Walhall, wie in Dresden: Die Schlussphase der Ära Christian Thielemann hat angefangen; die Götterdämmerung ist bereits im Rheingold in Sichtweite. Ein zum Niederknien herrlicher Vorabend des Ring des Nibelungen macht einen schon jetzt wehmütig über den Weggang Thielemanns im kommenden Jahr.
Richard Wagner
Das Rheingold
Christian Thielemann, Dirigent
Staatskapelle Dresden
Willy Decker, Regie
Wolfgang Gussmann, Bühnenbild
Semperoper Dresden, 27. Januar 2023
von Willi Patzelt
Die Opernwelt schaut nach Dresden: Die letzten beiden „Ringe“ mit Thielemann an der Semperoper, nicht unwahrscheinlich wohl leider für immer, sind ein absolutes Highlight der Spielzeitpläne der Welt. Man hat sich in Dresden also nicht lumpen lassen. Eine Neuinszenierung, wie vor einigen Jahren hin und wieder mal spekuliert wurde, sollte es zwar nun mit Thielemann nicht mehr geben, dafür aber die recht beliebte Inszenierung von Willy Decker aus 2001 mit einer wirklich erstklassigen Sängerbesetzung. Mit dem Rheingold gelang ein fulminanter Auftakt.
Die Inszenierung ist clever angelegt. Das aus der Tiefe aufsteigende Werden des Seins zeigt Decker, indem eine Bühne auf ein Meer aus Zuschauerreihen auf der Bühne geschoben wird. Sein entsteht, wenn Subjekt und Objekt aufeinandertreffen, also wenn Betrachter und Betrachtetes in Bezug zueinander treten. Und wodurch kann das besser gezeigt werden als durch ein Theater? Manche offene Fragen, wie der in der Rezeption dieser Inszenierung schon einschlägig diskutierte rote Pfeil Loges, werden sich wohl noch klären. (Wie großartig ist das eigentlich, dass sich eine Inszenierung über eine knappe Woche erstrecken kann und man wirklich Zeit hat, sie im Alltag zu bedenken…)
Musikalisch ist dieser Abend extrem verführerisch. Obschon im Vorspiel – es mag aber womöglich an der Akustik an meinem Platz gelegen haben – noch manches etwas unrund und nach Findungsphase klingt: Mit dem Einsatz der Rheintöchter zu „Weia! Waga! Woge, du Welle…“ baut sich ein Spannungsbogen über zwei Stunden auf, der so genau austariert ist, dass selbst manche zuweilen etwas lang anmutenden Gesprächsszenen (wie zum Beispiel Loge im zweiten Bild), die zwar für die Handlung wichtig, aber insgesamt etwas ermüdend sein können, so spontan wirken, dass man dem Sänger förmlich an den Lippen hängt. Dieser Abend beweist, dass ein „Rheingold“, im Vergleich beispielsweise mit dem ersten Akt der Walküre, nicht spröde sein muss, obwohl es nicht zu selten so musiziert wird.
Und der Abend beweist noch eines: Man kann die die Partie Rheintöchter auch singen, ohne „quintenschleuderndes“ Tremolo! Die Damen Dunbar, Pučálková und Lapkovskaja singen so klar, hell und auch gemeinsam, wie man es leider unglaublich selten hört. Insgesamt machen die Sängerinnen und Sänger große Freude: Markus Marquardt gibt im Rollendebüt einen dunklen, nicht übermäßig kernigen, aber sehr gut verständlichen Alberich.
Auch John Lundgren als Wotan und Christa Mayer als Fricka überzeugen, obschon letztere wie allzu oft an Grenzen eines ertragbaren Tremolos gelangt.
Besonders hervorzuheben ist Daniel Behle als Loge. Dass der Weg zur Wagner-Stimme nicht über bulliges Röhren, sondern über Mozart und die Operette führen sollte (wie beispielsweise auch bei Beczała), zeigt er auf das Beste. Sein Loge ist ein Highlight des Abends.
Und dann dieses Orchester. Über die Staatskapelle ist eigentlich alles geschrieben. Man kann sich nur noch weiter in Superlative flüchten. Die Kapelle, väterlich geführt von Thielemann, trägt die Sänger auf Händen durch den Abend. Der Orchesterklang ist in seiner dunklen Wärme transparent, aber nie mit Leitmotiven belehrend durchsichtig. Über Thielemanns Wagner überschlagen sich ebenso die Superlative. Und das völlig zu Recht. Die Vorfreude auf die kommenden Tage ist riesig.
Und doch – wenn im vierten Bild Erda, erdig und warm gesungen von Michal Doron, den Wotan mahnt: „Alles was ist, endet“ und das Götterdämmerungsmotiv erklingt, sind wohl nicht nur bei mir einige Gedanken bei der Staatskapelle und ihrer Zukunft. Aber warum würden wir bis zur Götterdämmerung uns 16 Stunden lang in die Oper setzen? Wegen der unfassbar betörenden Musik? Ja natürlich! Aber doch irgendwo auch, weil der Ring doch am Ende uns zeigt, dass die Natur, das Wirkliche, das Wahre gewinnen und bleiben. Das aber ist tröstlich. Darauf, diesen Weg dahin durch alle Irrungen und Wirrungen in den kommenden Tagen mit Thielemann nochmal gehen zu dürfen, hat das Rheingold grenzenlose Vorfreude und Lust gemacht.
Willi Patzelt, 28. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 2. Oktober 2022