Andrè Schuen (Onegin). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Ein Namensspiel
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Anlässlich des Namenstags unseres Schwiegersohns stellten wir ihm Sänger gleichen Namens vor und wie wir sie auf der Opernbühne erlebt hatten. Das begann mit einem Comprimario des Tiroler Landestheaters, Andreas Mattersberger, der erst später zum Protagonisten aufstieg, setzte sich fort mit dem uns angenehm aufgefallenen, obwohl nur auf kleineren Bühnen agierenden Andreas Jankowitsch, sprang dann zu Andrea Giovannini, der von Italien kommend erst in seinen reiferen Jahren als Comprimario zu Staatsopernehren kommt, und stieg dann steil auf zu Andreas Schager und dem Rising Star Andrè Schuen.
Für „Schweitzers Klassikwelt 82“ wählen wir unter den unzähligen Möglichkeiten den Namen Thomas, teils Zuname, teils Vorname, auch in sprachlichen Varianten wie polnisch Tomasz (gesprochen Tomasch) und italienisch Tommaso. Der Name ist aramäischen Ursprungs und bedeutet „Zwilling“ bzw. „ähnlich aussehender Mann“. War also ursprünglich ein Beiname und kein Rufname.
Beginnen wir gleich mit Freddie De Tommaso. Wie der volle Name schon verrät, ist der Tenor britischer-italienischer Provenienz und an der Wiener Staatsoper „Macduff vom Dienst“. Über seinen Ismaele in Verdis „Nabucco“ hieß es in unsrer Rezension: „Freddie De Tommaso weiß der nicht sehr ausgestalteten Rolle des Ismaele Glanz zu verleihen“. Neugierig auf mehr war es uns nicht vergönnt ihn als Pinkerton bzw. als Don José zu erleben, denn seine Auftritte in diesen Opern waren an der Wiener Staatsoper selten und je an einer Hand aufzuzählen.
Nur ein kurzes Gastspiel gab der junge, talentierte britische Bassist William Thomas an der Wiener Staatsoper und zwar als Snug in Brittens „A Midsummer Night’s Dream“. Laut Partitur hätte er im 2. Akt beim gemeinsamen Aufruf der Handwerker zur Theaterprobe gleichsam als Echo der Gruppe solo zwei Takte lang mit einem tiefen F beeindrucken können, was er zu unsrem Bedauern an dem Abend, an dem wir anwesend waren, unterließ.
Die gefeierte Sopranistin Renée Fleming schreibt in ihrem auch literarisch hochwertigen Buch „Die Biografie meiner Stimme“ (Schweitzers Klassikwelt 21 und 22), dass das Publikum über kleine Schwächen hinwegsehend das Persönliche einer Stimme liebt.
An diese Bemerkung erinnern wir uns jetzt bei Jess Thomas. Mehr im Gedächtnis geblieben sind uns Heldentenöre, bei denen entweder baritonal gefärbt jeder Höhenflug eine akrobatische Leistung darstellte oder bei deren sehr lyrischem Charakter gewisse Partien zur Gratwanderung wurden. Die Opernfachzeitschrift „Orpheus“ schrieb als Nachruf: „Er galt als der schlanke Heldentenor seiner Zeit.“ Und so ist er uns als Siegmund und Bacchus in Erinnerung geblieben.
Den polnischen Bassbariton Tomasz Konieczny wollen wir nicht mit seinen allseits bekannten sagenhaften Figuren (Alberich, Wotan) vorstellen, sondern in zwei weniger bekannten Rollen. Zunächst sein Mandryka. Andere Rezensenten hören bei ihm ein zu helles Timbre, meine Frau und ich hören eine dunkle Grundierung. Nach gewaltigen Höhenflügen bleibt sein Bassbariton auch in der Tiefe rund und voll. Er lotete auch in unsren Aufführungen der „Arabella“ die eine extreme Tiefe bei seinem Antrittsbesuch im ersten Akt aus. Wenn er „das Mädel zur Frau haben will“, fühlte ich mit ihm derart mit, dass meine Lippen sich tonlos mit bewegten. In „Die Weiden“ von Johannes Maria Staud hat Konieczny einen jungen Mann darzustellen, der letzten Endes für die doch feinfühlige Lea einen zu groben Charakter besitzt. Er ist stimmlich wie geschaffen für diese Rolle und wie von ihm gewohnt und verwöhnt in hohen und tiefen Lagen gleich präsent.
Eine gute Gesangstechnik kann für einen Sänger zum Segen werden. Wir denken gern an Thomas Quasthoffs „Winterreise“. Einen Höhepunkt bildete auch sein Amfortas an der Wiener Staatsoper. Vom klassischen Lied wechselte der Bassbariton, man kann sagen im Bereich der Kammermusik bleibend, zum Jazz. Dann beendete er nach einer Kehlkopfentzündung Anfang 2012 seine Sängerkarriere.
Von seiner markanten Physiognomie her schließend sind viele Kolleginnen dann von seinem weniger markanten Bariton enttäuscht gewesen. So erlebt bei einer intimen Weihnachtsfeier, bei der eine CD mit weihnachtlichen Liedern mit Thomas Hampson aufgelegt wurde. An der Wiener Staatsoper lernten wir Hampson zunächst in den Achtzigerjahren hauptsächlich mit Mozarts Guglielmo und Conte Almaviva und bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends als Don Giovanni kennen.
In einer Übergangsphase sang er Eugen Onegin, Guillaume Tell und Rodrigo, um dann mit neununddreißig Auftritten als Simon Boccanegra in Verbindung gebracht zu werden. Zum Abschluss der Spielzeit 2009/2010 sang er einmal – rundum eine Superbesetzung – Amfortas. In den letzten zehn Jahren kamen Vater Germont und sogar der Scarpia dazu.
Der Kärntner Thomas Ebenstein feierte voriges Jahr sein zehntes Jahr als Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper. Tenorbuffo oder Charaktertenor? In der Monografie in Wikipedia als Buffo bezeichnet hatten wir bei seinem Tanzmeister im Vorspiel zu „Ariadne auf Naxos“ den Eindruck eines Charaktertenors. Er spielte hervorragend einen Tanzmeister moderner Art. Im Klagenfurter Stadttheater soll er einen eher lyrisch-tenoralen Mime gegeben haben. Was ihm für einen Charaktertenor abgeht, ist ein unverwechselbares Timbre, wie wir es von einem Peter Klein, einem Gerhard Stolze, ja sogar von einem Heinz Zednik her kennen.
Wir schrieben über seinen Narren im „Wozzeck“: „Thomas Ebenstein erfüllte gesanglich die bereits zu seiner Ehre an ihn gestellten Erwartungen. Bloß fehlte seiner Ausstrahlung als Narr das Geheimnisvolle und gleichzeitig Schaurige.“ Vielleicht auch deswegen verblasst sein Intrigant Valzacchi neben einer erotisch und auch stimmlich anziehenden Nichte Annina. Durch sein regiebedingtes Outfit ließen wir uns bei einem Bericht über den „Eugen Onegin“ absichtlich zu dem Versprecher verleiten: „Thomas Ebenstein ist in diesem Jahr zum ersten Mal wieder ein maßgeschneiderter Karl Lagerfeld, pardon, Triquet.“
In unsrer nächsten Klassikwelt kommt dann, durch diese Folge schon eingeübt, ein weiblicher Vorname zum Zug. Den Namen verraten wir noch nicht.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 21. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 21: Renée Fleming – Die Biografie meiner Stimme (1. Teil)
Schweitzers Klassikwelt 22: Renée Fleming – Die Biografie meiner Stimme (2. Teil)