Puccinis Il Trittico begeistert mit einem herausragenden Bühnenbild, einer überzeugenden Inszenierung und einer bewunderungswürdigen Ensembleleistung

Giacomo Puccini, Il trittico  Staatsoper Hamburg, 21. März 2023

Elena Guseva als Chiara De Tanti mit dem Ensemble ©Brinkhoff/Mögenburg

Man sagt ja, die dritte Vorstellung sei regelhaft die beste einer Serie. Ob das auch diesmal so war, vermag ich nicht zu beurteilen, denn für mich bedeutete es den Einstieg in diese Neuinszenierung. Die Latte war angesichts der in manchen Rezensionen als tumulthaft beschriebenen Zuschauerreaktionen hoch gehängt, und sie wurde deutlich übersprungen.


Giacomo Puccini, Il trittico
Gianni Schicchi – Il tabarro – Suor Angelica

Staatsoper Hamburg, 21. März 2023

von Dr. Ralf Wegner

Das Ende war schon emotional heftig, als der Regisseur des Abends Axel Ranisch die hinzuerfundene Rahmenhandlung um die Sängerin Chiara De Tanti mit dem Suizid der Suor Angelica in einen Strang zusammenführte: Im Vordergrund sang sich Elena Guseva die Seele aus dem Leib, im Hintergrund gedachten alle Auftretenden des Abends in Trauerkleidung der entschlafenen Chiara De Tanti. Das erinnerte an Fellinis Film E la nave va, in dem eine adlige Gesellschaft auf einem Schiff der hochberühmten Sängerin Edmea Tetua nachtrauert, darunter auch Pina Bausch als blinde Principessa, die den Tönen bestimmte Farben zuordnete. In Fellinis Film wurde viel gesungen, vor allem Verdi.

Puccini ist allerdings nicht Verdi, auch fehlt den drei Einaktern melodiös Eingängiges, abgesehen von dem Radiohit O mio babbino caro im als erstes gespielten Erbschleicherstück Gianni Schicchi. Lauretta versucht mit diesem Lied ihren Vater umzustimmen. Narea Son sang die Lauretta mit Hingabe und spielte außerdem perfekt die Schicchi umschmeichelnde Tochter. Mit dem hellen, höhensicheren, zu Glanz fähigem Stimmklang des Tenors Oleksiy Palchykov (Rinuccio) bildete sie ein optisch und gesanglich perfektes Liebespaar.

Roberto Frontali sang Gianni Schicchi, der sich von der vermeintlichen Erbengemeinschaft anheuern, aber nicht übertölpeln lässt, mit Witz und ggf. nötigem Stimmvolumen, mit Stimmkraft auch im zweiten Stück, dem Eifersuchtsdrama Il tabarro. Hellen Kwon zeigte als Nella noch einmal, dass sie immer noch zum goldfarbenen Glockenton und zum ohrschmeichelnden Legatosingen fähig ist. Katja Pieweck war als Zita, später als Frugola und im dritten Stück Suor Angelica als Zia Principessa besetzt. Während sie stimmlich als Zita nicht weiter auffiel, steigerte sie sich als Frugola und überzeugte schließlich als Fürstin mit stimmlicher und darstellerischer Potenz. Elena Guseva (Suor Angelica) sang mit viel Einfühlungsvermögen auch die seit dem Tod des eigenen Kindes an Liebesverlust leidende Giorgetta. Als ihr Liebhaber Luigi ließ der Tenor Najmiddin Mavlyanov stimmlich aufhorchen. Aufhorchen ließ auch der junge Tenor Florian Panzieri, Mitglied des internationalen Operstudios, mit einer schmachtvoll vor einer jubelnden Mädchenschar präsentierten Kanzone.

Zurück zur Inszenierung und zum Bühnenbild. Axel Ranisch erfand die Figur einer Schauspielerin (Chiara De Tanti), deren Sohn mit 16 Jahren starb und die, wie Suor Angelica, nicht über den Tod des geliebten Kindes hinweg kommt und in den Tod geht. Mittels Videointerviews berichten bekannte Persönlichkeiten aus dem deutschen Film- und Theatermilieu, darunter Gustav Peter Wöhler, der sich die Oper auch vom Zuschauerraum aus ansah, über Chiara und die Beziehungen zu dieser erfundenen Figur, und zwar jeweils vor Puccinis Einaktern und  während der Umbaupause zwischen Gianni Schicchi und Il tabarro.

Während Chiara (Elena Guseva) in Gianni Schicchi nur einen Kurzauftritt hat, tritt sie als Giorgetta und Suor Angelica, im Rahmen eines Filmsets, selbst in Erscheinung. Sie erleidet Giorgettas Schicksal ebenso wie Suor Angelica, stellvertretend für alle Mütter, die ihre Kinder betrauern.

Bühnenbild Gianni Schicchi: Im Hause des gerade gestorbenen Florentiners Buoso Donati, mit Elena Guseva, Roberto Frontali (beide im Zimmer links oben), Ida Aldrian, Alexey Bogdanchikov, David Minseok Kang, Oleksiy Palchykov, Katja Pieweck, Jürgen Sacher, Hellen Kwon, Tigran Martirossian (alle im Zimmer rechts unten) (©Brinkhoff/Mögenburg)

Das Bühnenbild von Falco Herold ist naturalistisch. Gianni Schicchi spielt in einem zweigeschossigen, vierzimmerigen Haus, Il Tabarro auf dem Deck eines Binnenschiffs mit romantischen Hintergrundprojektionen wie einer im Dunst hinter Schiffskranen untergehenden Sonne oder einem aufziehenden, die nächtliche Mordszene beleuchtenden Mond. Suor Angelica wird in einem Filmstudio geprobt, der Auftritt der Fürstin und die Auseinandersetzung mit ihrer ins Kloster verbannten Nichte findet vor dem Studio vor einer auf den Vorhang gemalten Industriehalle statt.

Als sich dieser Vorhang hebt, findet sich die vom eiskalt mitgeteilten Tod ihres Sohnes erschütterte Angelica auf einem verschneiten Friedhof wieder. In Trance erlebt sie ihren im Alter von 6 Jahren verstorbenen Sohn und erhält von dem nur 16 Jahre alt gewordenen Sohn Chiaras die rote Todesblume. Während sich Angelica bzw. Chiara suizidiert, treten alle Mitwirkenden der drei Einakter schwarz gekleidet auf die Bühne und legen tief bewegt weiße Blumen auf beider Grab. Chiara De Tanti alias Suor Angelica ist in die Ewigkeit eingegangen.

Elena Guseva in Trance als Suor Angelica mit ihrem sechsjährigen Sohn und dem 16jährigen Sohn Chiaras (©Brinkhoff/Mögenburg)

Man sagt ja, die dritte Vorstellung sei regelhaft die beste einer Serie. Ob das auch diesmal so war, vermag ich nicht zu beurteilen, denn für mich bedeutete es den Einstieg in diese Neuinszenierung. Die Latte war angesichts der in manchen Rezensionen als tumulthaft beschriebenen Zuschauerreaktionen hoch gehängt, und sie wurde deutlich übersprungen. Zumindest hielt es das Publikum trotz der langen Aufführungsdauer von netto mehr als drei Stunden noch lange auf den Plätzen aus, um den Mitwirkenden und vor allem dem Dirigenten des Abends, Giampaolo Bisanti, zuzujubeln. Zusammengefasst begeisterten ein herausragendes Bühnenbild, eine überzeugende Inszenierung und eine bewunderungswürdige Ensembleleistung.

Dr. Ralf Wegner, 22. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giacomo Puccini, Il trittico, Premiere Staatsoper Hamburg, 15. März 2023 PREMIERE

Giacomo Puccini, Il Trittico, Kirill Petrenko, Bayerische Staatsoper

Giacomo Puccini, Suor Angelica, Kirill Petrenko, Philharmonie Berlin, 2. Februar 2020

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