Tannhäuser 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele
Der diesjährige Festspielbesuch bescherte mir nicht nur die „Dernieren“ des Parsifal und des Tannhäuser
von Patrik Klein
Die Bayreuther Festspiele 2023 sind zu Ende.
Fulminant gingen sie zu Ende mit einem atemberaubenden Chor und Orchester und einem insgesamt gut disponierten Ensemble (über die Leistungen der Elisabeth und des Tannhäusers konnte man gewiss geteilter Meinung sein – und das tat man dann auch in den Pausen, wie es sich in Bayreuth gehört).
Zum dritten Mal erlebte ich die Produktion des Tannhäusers von Tobias Kratzer, die ich im Eröffnungsjahr ausführlich rezensierte. Sie hatte sich handwerklich an einigen Stellen weiterentwickelt und noch einmal verbessert.
Musikalisch war es ganz besonders dem Festspielchor und dem Festspielorchester zu verdanken, geleitet von einem ausgezeichneten Dirigat der ehemaligen Altistin Nathalie Stutzmann, dass man in überirdischen Sphären und paradiesischen Klangwolken schweben durfte. Man spürte es einfach, dass nach den Restriktionen in der Zeit der Pandemie wieder die Lust bestand, richtiges, atemberaubendes Festspielniveau abzuliefern.
„Kunstreligion ohne Transzendenz“ – Richard Wagners Parsifal bei den Bayreuther Festspielen setzte dann vor allem musikalisch Maßstäbe: Man war ja hoffentlich „sanitär entspannt“ nach dem Einführungsvortrag von Dr. Sven Friedrich, der sich in seinem ironisch, fundiert und spannendem Einführungsvortrag über Bayreuths neue Produktion köstlich ausließ, nicht ohne auf den tieferen Sinn des Werkes hinzuweisen. Sind wir wirklich so einfältig und zerstören unseren einzigen Planeten? Haben wir noch einen kleinen Funken Empathie oder Anstand, um das Schlimmste zu verhindern? Die Fragen berührten und es blieb Zeit, an diesem unter die Haut gehenden Abend darüber nachzudenken. In starken, farbstrotzenden Bildern mit andächtigen Bewegungen und Szenenwechseln, ganz im Gegensatz zu den Produktionen der vergangenen Jahre von Eric Laufenberg, Stefan Herheim oder Christoph Schlingensief, wurde eigentlich nur die Geschichte erzählt und bebildert. Aber warum nicht? AR Brillen sollten zukunftsweisend ergänzen und neue Dimensionen eröffnen. In den Pausengesprächen nahm ich wenig Positives über die Brillen wahr: zu unbequem, zu viel Klamauk, der nur ablenkt, zu wenig Sicht auf die Geschehnisse auf der Bühne usw. Aber wir stecken ja noch am Anfang einer ganz neuen Entwicklung. Wer weiß, ob wir in wenigen Jahren nicht mehr ohne Virtuelle Realität ins Theater gehen werden?
Musikalisch befand man sich wieder in Festspielfahrwasser, das einfach nur Spaß und staunend machte. Da spielte ein Orchester und sang ein Festspielchor, welche den Atem stocken ließen. Präzision und Intonation waren kaum noch von dieser Welt. Am Pult stand ein Dirigent (Pablo Heras-Casado), der mit zügigen Tempi ohne zu hetzen die brillanten Feinheiten der Partitur zum Leuchten brachte. Und da spielte und sang ein Ensemble auf einem internationalen Spitzenniveau, welches ich schon lange nicht mehr erleben durfte.
Da war ein Titelheld (Andreas Schager), der nach einem Siegfried in der am Vortag stattgefundenen Götterdämmerung eigentlich drei Tage Ruhepause hätte haben müssen, stattdessen gab er den Parsifal mit einer unfassbar nuancierten und geradezu perfekten Gestaltung. Seine Partnerin Ekaterina Gubanova als Kundry stand ihm in nichts nach und begeisterte mit herrlicher Phrasierung und glänzenden Ausbrüchen. Der Amfortas von Derek Welton, wie ich ihn so noch nicht hörte, bekam zu Recht mit den meisten Applaus, nein Bayreuths Fußgetrampel, über 20 Minuten lang. Das Ensemble insgesamt begeisterte schlichtweg.
Irgendwie hatte man das Gefühl, dass man an einem großen Abend teilnehmen durfte.
Es war mir ein besonders großes Vergnügen zwei Aufführungen dieses Jahr erleben zu dürfen und, und das ist das Besondere an Bayreuth, so viele liebe Wagnerfreunde zu treffen, sich mit Ihnen auszutauschen, auch zu streiten und gemeinsam zu genießen.
Erneut bekam ich, wie seit 2016 jedes Jahr, eine Einladung zu einem Vieraugengespräch mit Katharina Wagner, in dem wir Neues aus unserer individuellen Sichtweise diskutierten.
Nach Bayreuth ist vor Bayreuth – Man darf sich bereits jetzt, nachdem der Festspielplan 2024 im Entwurf veröffentlicht wurde, auf nächstes Jahr freuen.
Patrik Klein, 30. August 2023, Bayreuther Festspiele 2023
Parsifal, 27.8.23
Regie: Jay Scheib
Dirigent: Pablo Heras-Casado
Amfortas: Derek Welton
Titurel: Tobias Kehrer
Gurnemanz: Georg Zeppenfeld
Parsifal: Andreas Schager
Klingsor: Jordan Shanahan
Kundry: Ekaterina Gubanova
- Gralsritter: Siyabonga Maqungo
- Gralsritter: Jens-Erik Aasbö
- Knappe: Betsy Horne
- Knappe: Margaret Plummer
- Knappe: Jorge Rodríguez-Norton
- Knappe: Garrie Davislim
Zaubermädchen: Evelin Novak, Camille Schnoor, Margaret Plummer, Julia Grüter, Betsy Horne, Marie Henriette Reinhold (auch Altsolo)
Tannhäuser, 28.8.23
Regie: Tobias Kratzer
Dirigentin: Nathalie Stutzmann
Tannhäuser: Klaus Florian Vogt
Hermann: Günther Groissböck
Wolfram: Markus Eiche
Walther: Siyabonga Maqungo
Biterolf: Ólafur Sigurdarson
Heinrich: Jorge Rodríguez-Norton
Reinmar: Jens-Erik Aasbö
Elisabeth: Elisabeth Teige
Venus: Ekaterina Gubanova
Hirt: Julia Grüter
Gateau: Kyle Patrick
Oskar: Manni Laudenbach
Edelknaben: Cornelia Heil, Ekaterina Gubanova, Laura Margaret Smith, Karoline Zeinert
Festspielorchester
Festspielchor