Zürich: Mit dieser Götterdämmerung erteilt Andreas Homoki seinen Regie-Kollegen eine ordentliche Lehrstunde 

Richard Wagner, Götterdämmerung  Opernhaus Zürich, 5. November 2023

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

Regie, Wort und Ton in bester Harmonie: Hier hat jemand die Götterdämmerung mal verstanden! Und das Rollendebütteam um Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund krönt den Abend zu einem brillanten Wagner-Musikfest. Zürich hat einen neuen Ring… samt einer lautstarken Ansage an die Wagner’sche Opernszene!

Götterdämmerung, WWV 86D
Musik und Libretto   Richard Wagner

Opernhaus Zürich, 5. November 2023

von Johannes Karl Fischer

Die Mannen flüchten vor den Flammen Walhalls, einer ihrer Gesellen hat das Feuer wortwörtlich im Rücken. Die Götter gehen zu Grunde, Wotan sitzt bedrückt und besiegt vor einem Gemälde der brennenden Burg. Sein Weltherrschaftsplan liegt in Trümmern. Einst kam er zu schaffen, nun kann er nicht mal mehr schauen.

Der Blick auf die Besetzungsliste hatte bei mir für mindestens drei dicke Warnzeichen gesorgt. Wotan? Was macht der in der Götterdämmerung? Doch kaum sah ich ihn am Tisch des Götterrats sitzen, erloschen meine sämtlichen Zweifel an dieser Regie… und in meinem Verständnis der Götterdämmerung ging ein Licht auf. Wotan ist omnipräsent in dieser Handlung. Er sitzt, er sagt kein Wort, weiß Waltraute ja auch schon. Das ist die wahre Kunst der Regie: Ein Konzept zu haben, dies zu präsentieren, und seine SkeptikerInnen zu überzeugen!

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

Andreas Homoki inszeniert einfach. Nichts Radikales, nichts Provozierendes. Alles ist da, nix fehlt, Speer und Schwer sind selbstverständlich. Wort, Ton und Regie in bester Harmonie. Die Mannen bekriegen sich gegenseitig, gehorchen ihrem heiligen Hagen. Ein weiterer – an anderer Stelle mächtig ausgebuhter – Schweizer Regisseur stand übrigens neben mir an der Pausenbar… vielleicht hat auch er nun mal verstanden, worum es in der Götterdämmerung geht? Beim nächsten Mal vielleicht erst die Handlung verstehen und dann ans Werk machen.

Egal, Homokis Regie beginnt schon während des ersten Orchesterzwischenspiels zu strahlen, wenn Camilla Nylunds Brünnhilde wie eine frisch erwachte Sonnengöttin aus ihren Morgenträumen emporsteigt. Sie ist hier Herrin, Siegfrieds majestätisches Heldenmotiv wird zu Brünnhildes Heldinnenmotiv. Völlig mühelos segelt ihre strahlende Stimme durch den Saal, als wären ihre ewigen Melodien eine einzig schreitende Rheinfahrt.

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

Fünfeinhalb Stunden lang sorgt sie stets für Stuhlkanten-Spannung, ihr Schlussmonolog fesselt wie eine Isolde. Ihre glasklare Diktion singt die Vorurteile über die sopranistische Textverständlichkeit zu Boden – wie oft habe ich mir schon sagen lassen: „In der Höhe kann man eh nix mehr verstehen“? Schmarren! Isolde, Marschallin, Brünnhilde… diese Gesangs-Göttin scheint sich an den Worten dieser Hammerrollen regelrecht zu amüsieren! Völlig zurecht bekommt sie mit Abstand den meisten Applaus.

Im Schatten seiner bräutlichen Tante meistert auch Klaus Florian Vogts Siegfried sein Rollendebüt mit beispielloser Bravour. Dieser Knabe hat das Fürchten wohl immer noch nicht gelernt, so hopst er mit heller Stimme im faschingsumzugswürdigen Pferdekostüm spaßig durch die Gibichungenburg. Brillant wie dominant tritt er als tenorales Wunderwerk auf, völlig unbeeindruckt der hammerschweren Herausforderung dieser Partie. Kleiner Schönheitsfehler: Auch er singt „Brünnhilde! Heiliges Weib!“ statt „Heilige Braut!“. Da ist er nicht der erste… schafft die Fraktion der Wagner-Tenöre es wirklich noch, das heilige Meisterlibretto umzudichten?

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

Sein Gegenspieler, David Leighs Hagen, dominiert mit tiefdunkler Bassstimme die Welt der Mannen. Auch er hat einen Speer und bösen Blick, quasi Wotan 2.0. Nicht sehr donnernd singt er, doch seine Stimme verrät: Dieser Sohn Alberichs will nichts Gutes. Den Ring will er haben, schmiedet dafür einen anti-Brünnhilde-Betrugsplan. Im Schatten dessen steht ein recht dubioser Gunther: Daniel Schmutzhard glänzt mit sauberem Bariton in dieser regietechnisch zu einer ziemlich mutlosen Gestalt verwandelten Partie. Was will der eigentlich mit Brünnhilde… oder braucht der die Braut nur, damit keiner weiß, wen er wirklich liebt?

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

Auch Gutrune wird in dieser Interpretation klar und deutlich von Hagen manipuliert. Die Sopranistin Lauren Fagan braucht gesanglich zwar ein wenig Anlauf, doch vor allem im zweiten Aufzug strahlt ihre Stimme sonnenhell durch den Saal. Wahrscheinlich hofft sie, in Siegfried die Befreiung aus Hagens bösem Mannenregime zu finden…

Umso brillanter geriet Sarah Feredes Auftritt als allwissende Waltraute. Wie eine zutiefst überzeugende Rednerin bringt sie ihre Schwester mächtig ins Schwitzen, denn sie hat einfach recht. Doch aus dieser sachlich hitzigen Diskussion entspringt eine musikalische Wunderwelt: Ferede fordert, Nylund legt nach, das ganze steigert sich in himmlische musikalische Höhen.

Da ist das spaßige Spiel der drei Rheintöchter (Uliana Alexyuk, Niamh O’Sullivan und Siena Licht Miller) eine willkommene Abkühlung, alle drei Stimmen flattern flott wie das Wasser in einem Springbrunnen. Die drei Nornen (Freya Apffelstaedt, Lena Sutor-Wernich und Giselle Allen) eröffnen den Abend mit stimmlich mächtigem Gesangsauftritt, leider fast schon etwas übereifrig. Da hätte man sich etwas mehr Ruhe in der Kraft gewünscht.

Götterdämmerung, Zürich © Monika Rittershaus

So wie zum Beispiel bei Gianandrea Noseda… wie wunderbar lässt der Zürcher Generalmusikdirektor die Wellen des Rheins fließen und die mächtigen Heldenmotive krönen! Eine Gesamtkunstwerksinfonie für sich schreitet aus dem Graben, als stünde man direkt vor dem Gralstempel. Und auch im zweiten, per se flotteren Aufzug findet er die richtige Stimmung und stürzt den stimmstarken Mannenchor mit Feuer und Flamme in die tönenden Hagen-Rufe. Lieber Herr Noseda, könnten Sie beim nächsten Mal bitte den Siegfried genauso schwungvoll dirigieren wie heute diese Mannenszene? Einfach ganz gleich das Schmiedelied, dann wäre auch der Siegfried perfekt gewesen.

Zürich hat einen neuen Ring… samt einer lautstarken Ansage an die Wagner’sche Opernszene. Da stimmt einfach alles, Regie, Wort und Ton. Ein Maß, an dem sich Bayreuth und Mailand gerne messen können! Hoffen wir, dass die Menschheit bis dahin nicht ihre eigene Götterdämmerung durchlebt hat…

Johannes Karl Fischer, 6. November 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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