„Götterdämmerung“ an der Wiener Staatsoper: Ricarda Merbeth holt die Kastanien aus dem Feuer

Richard Wagner, Götterdämmerung  Wiener Staatsoper, 30. Juni 2023

Ricarda Merbeth als Brünnhilde an der Wiener Staatsoper © Michael Pöhn

Ganz solide. Obwohl die Wiener Staatsoper zum Ende wieder Kopf steht, mitreißen konnte das Dirigat über weite Strecken nicht wirklich. Franz Welser-Möst hat da gerade seinen „Mount Everest“ bezwungen – zum letzten Mal, denn Richard Wagners „Ring“ sei eine große Herausforderung, die mit großen Strapazen verbunden sei. Deshalb ist mit 62 nun Schluss. Die „Götterdämmerung“ stellt ihn vor einige Hürden. Zum Glück steht Ricarda Merbeth bereit.


Richard Wagner, Götterdämmerung

Wiener Staatsoper, 30. Juni 2023


von Jürgen Pathy

Mit der „Götterdämmerung“ schließt sich der Kreis. Phasenweise sensationell, über weite Strecken allerdings auf Sparflamme. So könnte man den kompletten „Ring“ zusammenfassen. Dabei legt Franz Welser-Möst dieses Mal ordentlich los. Keine Spur von angezogener Handbremse, mit der er zuvor noch ins „Rheingold“ als auch in die „Walküre“ gestartet war. In der Welt der Nornen, die am Felsen das Schicksalsseil knüpfen, da sprudelt es nur so vor Energie und Verve. Das lässt Hoffnung aufkeimen. Endergebnis nach rund vier Stunden allerdings: Anständig, aber nicht viel mehr.

Siegfrieds Rheinfahrt zieht irgendwie an einem vorbei. Selbst der Trauermarsch lässt nur wenig Emotionen zu. Dabei hat Richard Wagner dort all seine Kraft gebündelt, all die wichtigen Leitmotive, die einem zuvor schon auf der Reise begegnet sind. Die sollten dort eigentlich explodieren. Mit einer Wucht, die gleich die ganze Staatsoper hinten dran mitreißt. Schwach glühen sie stattdessen. So wie die komplette „Götterdämmerung“, mit der nicht nur Richard Wagners „Ring“ ein Ende findet. Auch die Wiener Staatsoper verabschiedet sich in die Sommerpause. Das liegt aber nicht nur am Dirigat.

© Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Verdrehte Welt bei den Gibichungen

Zum einen macht Richard Wagner es einem wirklich nicht leicht. Wenig bis gar nichts bietet er einem an, woran man sich die ersten 90 Minuten im Graben festklammern könnte. Der Erzählstrang steht hier ganz klar wieder im Mittelpunkt. Wie schon beim „Siegfried“ zuvor, den Welser-Möst mit recht wenig Elan hat dahinplätschern lassen. Die „Götterdämmerung“ gestaltet sich ebenso zäh. Zum anderen ist es die Gibichungenwelt, das Reich der Menschen, die da auch nicht ganz freizusprechen ist von der Schuld. Die dominiert ja über weite Teile des ersten Aufzugs das Geschehen. Was sich dort so abspielt, ist aber teilweise unterrepräsentiert.

Clemens Unterreiner hat an der Wiener Staatsoper schon viele Abende gerettet. Weit über hundert Partien nennt er sein Eigen. Sei wenigen Tagen auch den Titel Kammersänger. Als Gunther, der über die Hallen der Gibichungen herrschen sollte, erwischt er aber nicht gerade seinen besten Tag. Viel zu oft versinkt da sein durchaus vielseitiger Bariton im Orchestergraben. Ebenso lässt er die herrschaftliche Präsenz da ordentlich vermissen. Die fällt da eher einem anderen in die Hände.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Mika Kares ist ein mächtiger Hagen. Einer, der mit dunkler Stimme aufhorchen lässt. Düster, finster, aber dennoch unheimlich geschmeidig. Fast schon wie ein Verdi-König, wie dieser Hagen da in Shakespeare-Manier erscheint. Kein Wunder, dass das Wiener Publikum ihm zum Ende dann zu Füßen liegt. So viel Kraft geht an diesem Abend nämlich nur von wenigen aus. Einzige Frage, die in diesem Kontext dennoch erlaubt sein muss: Klingt so ein Verbitterter, der von Hass zerfressen ist und als verlängerter Arm von Alberich agiert? Der hatte Hagen einst ja gezeugt. Nun soll er ihm wieder den Ring beschaffen. Mit einer List, die bei dieser dominanten Rollengestaltung aber durchaus fragwürdig erscheint. Fast gelingt ihm das dann auch.

Bei Daniel Frank liegt der Ring nämlich in schwächelnden Händen. Ein „Siegfried“ ist kein „Siegmund“, das muss auch er zur Kenntnis nehmen. In der „Walküre“ hatte er Hunding noch ordentlich Paroli geboten. Dort war er als Einspringer zur Stelle. Da spielte ihm die tiefer liegende Tessitura in die Hände. Bei einem „Siegfried“, der auch in den Höhen strahlen muss, da stößt er aber an seine Grenzen. Ein hervorragender Zauberflöten-Tamino vermutlich. Als furchtloser Drachentöter aber nicht unbedingt glaubwürdig. Dazu ist die Stimme in der Höhe viel zu wenig heldenhaft.

Brünnhilde von Weltformat

Zum Glück steht Ricarda Merbeth noch bereit. Sie ist das, was Tomasz Konieczny in der „Walküre“ war. Der Fels in der Brandung. Die Energie, von der die ganze Vorstellung lebt. Am Walkürenfelsen, an dem sie ihre unzerbrechliche Liebe zu Siegfried gesteht. Da fließen an diesem Abend zum ersten mal die Tränen. Wie ein Schlosshund heult da vor mir ein Herr plötzlich los. Im Parkett rechts, Reihe 10, Platz drei. Am Ende kann er sich gar nicht mehr halten. Bei einer Brünnhilde von diesem Format auch kein Wunder.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wotans Lieblingstochter, die nicht kreischt, das erlebt man auch nicht alle Tage. Dass sie dann zusätzlich niemals mit dem Orchester kollidiert, ist schon sensationell. Die enorme Textverständlichkeit und energiegeladene leisere Passagen, die sie noch geschmeidig formt, das ist dann die Draufgabe auf all diese Weltklasse. Das macht ihr so schnell keiner nach.

Am Ende tobt das Haus. Ganz besonders natürlich bei Franz Welser-Möst, der den Gipfel zum Abschied noch einmal mit etwas Mühe erreicht. Ebenso, wie schon erwähnt, bei Mika Kares, der vielleicht die Höchstnote erhält. Themenverfehlung aber nicht ganz ausgeschlossen. Und bei Ricarda Merbeth sind sich alle einig. Sie hat sich ganz klar an der Brünnhildenspitze etabliert.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 2. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 21. Juni 2023

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