Foto © Simon Fowler, Warner Classics
Piotr Anderszewski, Klavier
Johann Sebastian Bach, Partita Nr. 6 e-Moll BWV 830
Karol Szymanowski, Mazurken op. 50 (Auszüge)
Anton Webern, Variationen für Klavier op. 27
Ludwig van Beethoven, Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110
Philharmonie, Kammermusiksaal, Berlin, 5. November 2023
von Lukas Baake
Wenn Piotr Anderszewski, der hochdekorierte polnische Ausnahmepianist, in den namhaften Spielstätten der Klassikwelt gastiert, bleibt in der Regel kein Platz leer. Doch an diesem Sonntagabend war es nicht allein der klangvolle Name des Interpreten, der die Konzertbesucher in den Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie zog, sondern auch ein sorgfältig kuratiertes Programm, das etablierte Repertoirestücke mit ausgewählten, selten zu hörenden Delikatessen der Klavierliteratur vereinte. Surreale Klangkonstruktionen reihten sich an prächtige barocke Kaskaden und fanden ihren Ausklang in den weltumarmenden Tönen des Beethoven’schen Spätwerks.
Wenn es so etwas wie einen musikalischen Fixstern im weitverzweigten Oeuvre Anderszewskis gibt, ließe sich dieser mit einer einzigen Silbe benennen: Bach. Kein Komponist wurde von ihm häufiger eingespielt und immer wieder bahnen sich Bachs Partiten, Präludien, Variationen und Fugen den Weg in Anderszewskis Konzerte. Als Präludium des Abends fungierte die sechste Partita, eine krönende Perle in der Reihe von Bachs Suiten. Mit den kräftig gespielten, arpeggierten Akkorden und den flirrenden Sechzehntelketten der einleitenden Toccata öffnete Anderszewski das Tor in die formenreiche Klangwelt der Partita. Der direkte Anschlag und ein durchsichtiges Spiel bestachen insbesondere in den fugalen Passagen und wandelten sich, etwa im Lamento der Sarabande, in einen warmen, ausgedehnten Klang.
Auf die barocken Tanzformen folgten fünf Mazurken, jene stilisierte Form der polnischen Volkstänze, die mit Chopin einen festen Platz in der Musikgeschichte erhielt. Die Mazurken von Karol Szymanowski sind dabei einer Übersetzung dieser Form in die impressionistische und atonale Klangsprache der Moderne. Anderszewski ist dem Werk Szymanowskis, einer Lichtgestalt der polnischen Avantgarde im frühen 20. Jahrhundert, seit Jahrzehnten verbunden und hat selbst zahlreiche internationale Festivals mit den Werken seines Landsmanns kuratiert. Der perlende Klang in Verbindung mit einer geschickten rhythmischen Akzentuierung machten deutlich, dass es zur Zeit wohl keinen besseren Interpreten Szymanowskis gibt.
Während atonale Elemente in Szymanowskis Mazurken mit anverwandelten folkloristischen Melodien kontrastiert wurden, stand die zweite Konzerthälfte zunächst ganz im Zeichen der Atonalität. Weberns Variationen für Klavier sind eine meisterhaft gebaute musikalische Konstruktion, die berückend von Anderszewski in stringente Linien und spannungsreiche Klangcluster übersetzt wurde. Webern hat sein Werk selbst als Suite in drei Sätzen bezeichnet, deren dritter als Variation namensgebend für das Werk ist und von Anderszweskis delikaten Klang übergangslos in dem warmen As-Dur-Klang von Beethovens 31. Klaviersonate überführt wurde.
Mit dem hinreißend vorgetragenen, zart-lyrischen Thema des Kopfsatzes deutete Anderszewski bereits den triumphalen Ausklang der Sonate an, die zugleich auch als Auflösung der kontrastreichen musikalischen Gegenüberstellungen des Konzertabends zu lesen war. Dem brachial, bisweilen unproportioniert vorgetragenen Scherzo folgte der krönende Konzertabschluss in Form von Beethovens strahlender Melange aus Rezitativ, Fuge und Arioso, die sich mit Anderszewski wie eine Ewigkeit anfühlte. Die ausdruckstarke Melodieführung des Ariosos sowie der transparente Klang der Fuge ließen sich dabei nicht nur als Rückbezug auf Bach verstehen, sondern waren eine stringente Hinführung zu der triumphalen Auflösung der Schlusstakte, die den Kammermusiksaal in einen goldenen, weltumarmenden Klangteppich einhüllte.
Lukas Baake, 8. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Piotr Anderszewski, Bach, Chopin, Janáček, Elbphilharmonie, Hamburg
Münchner Philharmoniker, Krzysztof Urbanski, Piotr Anderszewski, Philharmonie im Gasteig, München
Rudolf Buchbinder: Ludwig van Beethoven – Klaviersonaten, Elbphilharmonie Hamburg, 13. Oktober 2020