Mitreißend, dynamisch, zauberhaft: Krzysztof Urbanski und die Münchner Philharmoniker

Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Krzysztof Urbanski; Piotr Anderszewski Klavier
Philharmonie im Gasteig, München, 25. Juni 2017

Ludwig v. Beethoven: Ouvertüre Nr. 3 zu „Leonore“ C-Dur, op. 72; W. A. Mozart: Klavierkonzert C-Dur KV 503; Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2 D-Dur, op. 73

von Raphael Eckardt

Krzysztof Urbanski ist noch nicht lange ein bekannter Name an den renommierten Konzerthäusern dieser Welt. Gespannt durfte man an diesem Sonntagvormittag sein, wie sich der 34 Jahre alte polnische Dirigent mit einem Spitzenorchester, den Münchner Philharmonikern, präsentieren konnte. Seit seinem Debut im Jahr 2009 pflegt Urbanski eine enge Beziehung zum NDR Elbphilharmonie Orchester, ist dessen Erster Gastdirigent. Das Residenzorchester der neuen, 866 Millionen teuren Elbphilharmonie im Hamburger Hafen ist gerade dabei, sich das Prädikat Spitzenklasse zu erarbeiten.

Urbanski hat sich bestens eingelebt in der Eliteliga der klassischen Musik. Und an diesem Sonntagvormittag sollte er sich als dynamischer Geschichtenerzähler hervortun. Als Geschichtenerzähler, der zwar bekannte Geschichten erzählt – aber doch auf seine ganz eigene, begeisternde Art und Weise.

Los ging es mit Ludwig van Beethovens dritter Ouvertüre zu „Leonore“. Und da macht sich gleich zu Beginn eine Stimmung im Konzertsaal breit, die großes Unbehagen versprüht. Dunkelbraune Farbe tropft durch den Konzertsaal, als Hörer wähnt man sich beinahe in einem düsteren Wald. Blattlose Weiden strecken ihre Arme dem Orchester bedrohlich entgegen. Dann heben sich plötzlich ihre Wurzeln aus dem Erdreich empor. Die Weiden schicken sich zum Tanze an. Aber das ist kein leichter, unbeschwerter Tanz! Das ist ein angsteinflößendes Gepolter mächtiger Wesen, das Urbanski da mit minimalistischen Bewegungen auf seinem Dirigentenpult kreiert. Fabelhaft!

Die Violinen stecken in tiefer Depression. Es riecht nach modrigem Holz. Und gerade, als man sich so beklemmt fühlt, als würde man in einer engen Kerkerzelle jämmerlich verkümmern, gelingt Urbanski ein einzigartiges, musikalisches Momentum: Die Stimmung klart auf. Durch die kleinen Zellenfenster scheinen die bunten Farben eines Regenbogens. Eiserne Tränen verdunsten langsam in der Sonne, blühende Wiesen überdecken den kahlen Wald. Welch ein fantastischer Roman, den Urbanski da vorliest! So authentisch, so emotional, so schauderhaft.

Da passt es dann perfekt, dass bei Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert in C-Dur der vielleicht sensibelste Pianist unserer Zeit am Flügel saß: Piotr Anderszewski. Und Urbanski und Anderszewski sollten an diesem Tag in München eine Eigendynamik entwickeln, die einzigartig ist.

„Mozart spielt immer gleichzeitig mit Tragödie und Komödie und vermischt eins mit dem anderen“. Mit dieser Aussage gegenüber dem NDR ließ Anderszewski zu Beginn des Jahres aufhorchen. Und „Aufhorchen“ war ein gutes Stichwort! Mit dem ersten Einsatz des Klaviers war klar: Da werden seelische Grenzbereiche ausgelotet und musikalische Gewebestrukturen offenbart, die manch einer in Mozarts Musik so wohl nie vermutet hätte. Anderszewski hinterfragt sich selbst. Er interpretiert Mozart in einem sehr freien Metrum, spielt mit sehr ehrlichen Emotionen und lässt ihn beinahe als Seelenverwandten des psychisch labilen Robert Schumann erklingen. Ja, das ist in Worten schwer zu beschreiben. Urbanski und Anderszewski rücken Mozart in ein ähnliches Licht wie jenes, in das Stanley Kubrick einst mit „Clockwork Orange“ die Musik Beethovens tauchen ließ. Realitätsfremd, fast ein wenig überzogen, aber unfassbar emotional. Eine fantastische Interpretation war das. Hoch sensibel, aber stets glaubhaft. Bravo!

Die 2. Sinfonie von Johannes Brahms rundete ein gelungenes Konzertprogramm dann relativ pragmatisch ab. Da entwickelt sich eine explosive Kraft auf der Bühne, die den seelischen Winter in bunten, sommerlichen Frühling verwandelt. Endlich! Nun wird man fast erlöst von seinen emotionalen Anstrengungen.

Zarte Wechselmotive in den Streichern lassen Kirschbäume in samtigem Weiß erblühen. Saftig grünes Gras erfüllt den Konzertsaal mit Leben. Hier und da sieht man Schmetterlinge, die sich in warmer Thermik gen Himmel treiben lassen. Toll! Das ist leichte, bekömmliche Kost, die einem da auf dem Silberteller serviert wird. Urbanski interpretiert in Brahms nicht mehr hinein als man muss. Aber das ist in diesem Fall auch der Schlüssel zum Erfolg: Dirigent und Orchester lassen die Musik unaufhaltsam treiben. Und die windet sich in tausend Farben schwimmend dahin. Mitreißend, dynamisch, zauberhaft.

Da ist es vielleicht der einzige Wermutstropfen an diesem Sommertag, dass kein Werk von Robert Schumann auf dem Programm stand. Denn in einem Punkt darf man sich nach dieser brillanten Vorstellung sicher sein: Urbanski kann jeden Komponisten – aber emotional schwierige Musik kann er besonders gut. Wer bei Mozart solche Tiefgründe offenbart, der schickt sich an, ein ganz Großer der Klassikszene zu werden!

Raphael Eckardt, 25. Juni 2017, für
klassik-begeistert.de

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