Salome © Monika Rittershaus
Richard Strauss
Salome
Musikdrama in einem Akt
Nach Oscar Wildes Tragödie „Salome“ (1891)
Erstaufführung: Dresden, Semperoper, 9. Dezember 1905
Premiere: 29. Oktober 2023
Staatsoper Hamburg, 12. November 2023
von Dr. Holger Voigt
Dass Richard Strauss’ einaktige Oper „Salome“ nach der gleichnamigen einaktigen Tragödie Oscar Wildes (geschrieben in Paris im November/Dezember 1891 auf der Grundlage des Markus- und Matthäus-Evangeliums des Neuen Testamentes) überhaupt den Weg auf die Opernbühne schaffte, mag aus heutiger Sicht eines aufgeklärten Publikums fast wie ein Wunder anmuten.
Während Richard Strauss die Operntauglichkeit des Theaterstückes begeistert zum Ausdruck brachte, stieß die Erstaufführung 1905 in Dresden auf eine sehr kontroverse Aufnahme. In Wien gab es gar zensurbedingt keine Freigabe und Genehmigung zur Aufführung, weshalb Graz als Ausweichmöglichkeit gewählt werden musste.
Dass Richard Strauss’ „Salome“ aber seither ständig auf den Spielplänen zu finden ist und heute eine der erfolgreichsten Opern des Komponisten darstellt, ist ebenfalls eine Art von Wunder, gab es doch seit der Erstaufführung bis zum heutigen Tag zahlreiche Veränderungen des historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeldes.
Der sogenannte „Zeitgeist“ hat fleißig zugeschlagen, und doch ist die „Salome“ geblieben und immer wieder in das Blickfeld des Opernlebens gerückt. Es muss also eine geheime Essenz in ihr geben, die immer wieder neue Einsichten hervorzurufen vermag. Richard Strauss mag das nur Recht gewesen sein, konnte er doch durch die Werkserlöse seine Villa in Garmisch ohne Finanzierungssorgen bauen lassen.
Während das Publikum die Plätze im Opernsaal aufsucht, wird auf der Bühne noch immer eine große Tischtafel eingedeckt. Eine Geburtstagsfeier ist angesagt, und die Gäste warten auf Einlass. Es ist der Geburtstag von König Herodes, der zu diesem Fest geladen hat. Zahlreiche illustre und weniger illustre Gäste werden erwartet, darunter seine Gattin Herodias und deren junge Tochter Salome. Auch mit dabei ist Jochanaan (der Prophet Johannes der Täufer), der am Tischende Platz genommen hat (nach der biblischen Quelle sollte er eigentlich eingekerkert in der Zisterne sitzen, wo Herodias ihn arrestiert hat, weil er ihre – inzestuöse – eheliche Verbindung mit dem Bruder ihres vormaligen Gatten offen gebrandmarkt hatte. In der hiesigen Operninszenierung sitzt er nun als Gast am Tisch).
Das Bühnenbild (Dmitri Tcherniakov) ist überwältigend und zeigt die Innenansicht des Königspalastes, die von den kunterbunt angezogenen, quirlig parlierenden und gestikulierenden Gästen am Tisch eingenommen wird. Die Geburtstagsparty kann beginnen.
Salome ist ein Blickfang und eine Augenweide für die Gäste – insbesondere die Männer – und versteht es, trotz ihrer Jugend von etwa 16 Jahren mit diesen auf nahezu erotische Weise zu kokettieren. Insbesondere dem König Herodes selbst gehen die Augen über, und er beobachtet sie – seine eigene Stieftochter – fortwährend mit lüsternen Blicken. Salome andererseits hat offenkundig Gefallen an Jochanaan gefunden, den sie nicht nur ansieht, sondern berühren und küssen möchte. Er weist sie jedoch schroff zurück und verflucht sie sogar.
Herodes wünscht sich in seiner vorauseilenden Lusterwartung, dass Salome für seine Gäste und natürlich für ihn selbst am Tisch tanzen möge. Nach anfänglichem Zögern kommt sie schließlich seinem erotischen Ansinnen nach („ich bin bereit“ – „Tanz der sieben Schleier“).
Ihre Mutter Herodias scheint das alles nichts anzugehen, und das durchsichtige Unterfangen geht unwidersprochen seiner Realisierung entgegen. Voller lustbasierter Genugtuung verspricht Herodes Salome, er werde ihr als Lohn bei Eides Kraft jeden Wunsch erfüllen („bis zur Hälfte meines Reiches“). Salome ihrerseits fragt nun ihre Mutter um Rat, was sie sich wünschen solle und antwortet schließlich, dass sie den Kopf des Propheten Jochanaan, serviert auf einer Silberschale, wünsche. Herodes erschrickt und ist außer sich, doch ist er an seinen Eid gebunden. Somit wird Jochanaan enthauptet und Salome sein Kopf übergeben. Nun kann sie ihn endlich berühren und küssen; er kann sie nicht mehr zurückweisen. Herodes schließlich befiehlt voller Entsetzen und Abscheu über das Geschehene, Salome zu töten. Die Tragödie findet damit ihren Abschluss, wohingegen das Ende der Hamburger Operninszenierung nicht völlig klar konturiert ist und im Ambivalenten verbleibt.
Das Faszinierende an der Hamburger Inszenierung von Dmitri Tcherniakov ist die durchgehende Kontrastsetzung der einzelnen szenischen Elemente, die sich auch in der musikalischen Struktur widerspiegelt. So ist die Geburtstagsparty schrill, laut und bunt, doch sind ihre Akteure in miefiger Spießbürgerlichkeit gefangen.
Der allmächtig erscheinende König Herodes hat keine Macht, sein eigenes Triebleben zu steuern und bekommt dieses auch noch von seiner jungen Stieftochter selbst verdeutlicht (die er womöglich zuvor schon etliche Male missbraucht haben könnte). Diese flüchtet in ihre innere Welt und entdeckt bei sich das Aufkommen erotischer Sehnsüchte und – schlussendlich – das alles beherrschende Gefühl von Liebe. Mit deren Zurückweisung durch Jochanaan kann sie die Liebe aber nicht (mehr) externalisieren (auf eine andere Person richten): Jochanaan ist tot.
Die Tatsache, dass Richard Strauss’ „Salome“ so erfolgreich wurde, wie sie ist, dürfte zu ganz wesentlichen Anteilen daran liegen, dass es vielfältige subjektive Sichtweisen gibt, von denen keine einzige allgemeinen Gültigkeitsansprüchen genügen dürfte. Jeder Zuschauer sieht und fühlt etwas Anderes; es gibt nur Subjektives, keine rationale Bezugsebene.
Meine eigene persönliche Sicht fokussiert sich insbesondere auf die zentrale Figur des Jochanaan. Inmitten der oberflächlich-belanglosen Geburtstagsparty imponiert er geradezu als Fremdkörper in dieser Gesellschaft, was bereits durch seine eher unauffällig normale Kleidung erkennbar ist. Er sitzt – wenn er sich an der Tafel befindet – als einziger mit dem Rücken zum Publikum, liest oder blättert in einem Buch und weiß sich gewählt auszudrücken (bei musikalisch differenter Tonalität).
Er weist Salome zurück und verflucht sie sogar, weil sie mit ihren Sehnsüchten offenbar gegen das (christliche?) „Reinheitsgebot“ verstoßen hat: Er, der Prophet, ist ein Mann Gottes und darf nicht erotisch oder gar sexuell begehrt werden.
In meinen Augen – mit allen Vorbehalten des Subjektiven – ist Jochanaan für Salome eine Chimäre, ein Trugbild in ihrem Kopf und ihrer Seele. Jochanaan ist eigentlich gar nicht von dieser Welt und personal in physischem Sinne am Tisch anwesend. Er ist vielmehr ein verselbständigter Anteil des Unterbewussten Salomes, der Adressat ihrer aufkommenden Liebessehnsucht. Ihre Hinwendung zu Jochanaan führt sie als Selbst-beHauptende (!) Waffe gegen den Stiefvater aus, zumal ihre eigene Mutter Herodias in ihrer Schutzfunktion ihr gegenüber völlig versagt hat und sie nicht vor den übergriffigen Avancen des Stiefvaters bewahren konnte.
Spätestens an dieser Stelle spürt man den deutlichen Einfluss der aufkommenden Psychoanalytik eines Sigmund Freud (6. Mai 1856 – 23. September 1939) am Fin de Siècle: Um welches „Haupt“ geht es eigentlich? Das Schicksal der Salome, die ich durchaus auch als Opfer sehe, endet in umfassender Einsamkeit (Bühnenbild: Salome sitzt zusammengekauert im Schrankregal).
Musikalisch beginnt Richard Strauss in seiner „Salome“ damit, die romantische Polyphonie des Wagner-Klanges hinter sich zu lassen und sich der Moderne zuzuwenden. Gleichwohl lassen sich reminiszierende Abschnitte noch immer heraushören, wobei auffällt, wie unabhängig voneinander er seine Rollencharaktere musikalisch konfiguriert (weit entfernt von jeglicher Leitmotivtechnik). Diesen Zugang aufscheinen zu lassen, ist am heutigen Abend dem Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von GMD Kent Nagano weitgehend gelungen.
An dieser und anderen Stellen ist über die Leistung der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian bereits vieles Begeistertes geschrieben worden. Es gibt heutzutage nicht gerade viele Opernpartien, bei denen Rolle und Gesang derart zusammenwachsen, dass man den Eindruck gewinnen könnte, es gäbe zwischen ihnen gar keine Trennung mehr.
Nach jeweils 2-maligem Ansehen der Oper (Salzburg und Hamburg) begeistert mich die allzeitige Qualität und Bühnenpräsenz dieser herausragenden Sopranistin immer mehr. Auch am heutigen Abend – obwohl als „erkältet“ angekündigt – brillierte sie gesanglich und darstellerisch, wie man es nicht oft erleben kann. Kein Hauch einer Indisposition war vernehmbar, doch wer hätte sie vertreten können, wenn sie krankheitsbedingt tatsächlich hätte absagen müssen?
John Daszak (Herodes, Tenor) zeigte überschäumende Spielfreude (er war ja das „Geburtstagskind“) und sang eine fehlerfreie, zu keinem Zeitpunkt angestrengt wirkende Partie.
Kyle Ketelsen, Bariton, als Jochanaan, meisterte den Umstand, dass er zumeist mit dem Rücken zum Publikum singen musste, mit Bravour. Seine Stimme klang immer kräftig und klangschön. Die Klarheit in der rollenbezogenen Anlage seiner Stimmführung wies ihn als „anders“ aus und kontrastierte damit zu den Rollenpartien aller anderen Gäste.
Violeta Urmana als Herodias sang mit kräftigem Mezzo die Rolle einer lieblosen Mutter, die im Handlungsablauf weitgehend im Hintergrund agiert. Ihre sprachlose Distanz zu ihrer Tochter war auch räumlich unverkennbar.
Mit einem hellen schönklingenden Tenor gestaltete Oleksiy Palchykov als Narraboth die Rolle eines erotisch enthusiasmierten Schwärmers, der Gefahr laufen könnte, König Herodes gegen sich aufzubringen.
Stehende Ovationen für eine überragende Asmik Grigorian und langanhaltender Beifall für alle anderen Mitwirkende beendeten einen faszinierenden Opernabend.
Dr. Holger Voigt, 12. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov
Orchester: Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Musikalische Leitung: Kent Nagano
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Dramaturgie: Tatiana Werestchagina
Besetzung
Herodes: John Daszak, Tenor
Herodias: Violeta Urmana, Mezzosopran
Salome: Asmik Grigorian, Sopran
Jochanaan: Kyle Ketelsen, Bariton
Page: Jana Kurucová, Alt Narraboth: Oleksiy Palchykov, Tenor
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