Alfred Schnittke Akademie International, Hamburg, 26. November 2023
in der Kawai-Konzertserie 2023
Foto Marcel Tadokoro, (c) Kawai Europa GmbH
Werke von Jean-Philippe Rameau, Pjotr Iljitsch Tschaikowski/Пётр Ильич Чайковский, Maurice Ravel und Igor Strawinsky/Игорь Стравинский
In der Hamburger Alfred Schnittke Akademie gastiert mit Marcel Tadokoro für den Klavier- und Flügelhersteller Kawai ein starker Kandidat für die Spitzenklasse der nächsten Pianistengeneration. Eine große Zukunft stehe jedem Pianisten bevor, der diese eigentlich unspielbaren Werke mit solch grandioser Grandezza zum Klingen bringt. Das Instrument: ein Shigeru Kawai Flügel Modell SK-6 … ein Meisterwerk, nuancenreich in Klangfarben und Dynamik, 214 Zentimeter.
von Johannes Karl Fischer
Dieses Programm – Rameau, Pletnevs Nussknacker-Bearbeitung, Ravel und nicht zuletzt Stravinskys Drei Sätze aus Petruschka – würde selbst den erfahrensten Weltklassepianisten das Fürchten lehren. Völlig unbeeindruckt dieser Herausforderung stürzt sich der junge Ausnahmepianist Marcel Tadokoro in dieses Himalayagebirge der Klavierliteratur. Dort scheint er sich regelrecht wohlzufühlen, seine atemberaubende Technik lässt die Läufe unter den Fingern fließen und Akkordsequenzen mit wuchtiger Macht im Saal tanzen.
Schon Rameaus Suite in G blitzelt mit federleichten Trillern und luftigen Menuetten. Als würde er das ganz im barocken Stil selbst improvisieren, Ornamentierung am laufenden Meter inklusive. Den modernen Hammerflügel – eigentlich ein für viel mächtigere Musik konzipiertes Instrument – weiß er auch mit der Alten Musik meisterhaft zu beherrschen, selbst die gackernden Hühner lässt er stets mit fürstlicher Eleganz durch den Saal schreiten. Auch Rameau konnte sich dem Reiz der musikalischen Tierlautimitation nicht enthalten.
Dies alles ist aber nur eine leichte Vorspeise vor dem deftigen Teil des Programms. Tschaikowskys Nussknacker-Suite dürfte den meisten im Publikum ein Begriff sein… aber, Moment mal, da spielt ja gar kein Orchester? Richtig, Mikhail Pletnev hat das Ganze auch auf 88 Tasten komprimiert, besser gesagt, arrangiert. Kein einziges musikalisches Detail kann sich auch nur ansatzweise verstecken, wenn dieser junge Wunderpianist seine Läufe wortwörtlich quer durch beide Hände durchperlen lässt und die majestätische Kraft eines mächtigen Orchestertuttis aus diesem Flügel hinausholt!
Spannung herrscht nach jedem Satz: Wird jemand sich in den Applaus wagen? Künstlerisch wäre es verdient gewesen. Aber nein, alles bleibt diszipliniert, geklatscht wird erst am Ende. Dafür umso begeisterter der Beifall!
Mit Maurice Ravels Valses nobles et sentimentales lässt auch die künstlerische Herausforderung nach der Pause kein Bisschen nach. Ganz im Gegenteil, der Klang wird stets voluminöser, da kommt immer mehr. Irgendwo im Hintergrund flimmert der Hauch eines tänzerischen Wiener-Walzer-Balls.
La Valse 2.0.
Die Fluten des Ravel’schen Impressionismus gewinnen schnell die Überhand, scheinbar völlig ohne Grenzen reißt der Pianist den ganzen Saal in den Bann dieser Musik.
Und der dickste Brocken kommt zuletzt: Strawinskys Drei Sätze aus Petruschka. An diesem Hammerwerk haben sich schon selbst viele Top-Profis fleißig die Zähne zerbissen. Eine große Zukunft stehe jedem Pianisten bevor, der dieses eigentlich unspielbare Werk mit solch grandioser Grandezza zum Klingen bringt… als würden die Nonengriffe und Oktavenglissandi ihm regelrecht Spaß machen! Monumental und trotzdem tänzerisch, so muss Strawinsky klingen!
Als Zugabe gibt’s dann noch Charles Trenets En Avril à Paris. Eine ordentliche Abkühlung nach all der deftigen Romantik, ein guter, leichter Pariser Chanson, um etwas runterzukommen.
Die „Elite der Nachwuchspianisten“ wurde uns von Kawai versprochen… und die „Super-Elite der Nachwuchspianisten“ geliefert! Das war absolute Spitzenklasse, solch eine atemberaubende Virtuosität hört man wirklich nicht jeden Tag. Schade, dass im nicht sehr großen Saal der Alfred Schnittke Akademie noch wenige Plätze frei blieben… vielleicht war’s einfach zu kalt, oder zu spät, oder wer weiß, warum die Leute lieber zu Hause geblieben sind? Verpasst haben sie auf jeden Fall einiges!
„Dieser Knabe spielt besser als jeder von uns!“, sagte Arthur Rubinstein einst über den damals 18-jährigen Maurizio Pollini. Wäre sein Urteil am heutigen Abend anders ausgefallen? Auch Pollini hat schon in jungen Jahren mit den Petruschka-Sätzen angefangen…
Johannes Karl Fischer, 27. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Funkkonzert, Musik von Weill, Hindemith, Eisler und Schnittke Haus des Rundfunks, 2. März 2023