Martijn Dendievel © Guido Werner
Klassik mal anders: Zauberklänge
WDR Sinfonieorchester
Martijn Dendievel, Dirigent
Till Laßmann, Eventzeichner
Stephan Lomp, Eventzeichner
Jana Forkel, Moderation
Anatolij Ljadow, Kikimora op. 63 (1905) – Legende für Orchester
Paul Dukas, „L’apprenti sorcier“ (Der Zauberlehrling) (1897) – Scherzo für Orchester nach einer Ballade von Johann Wolfgang von Goethe
Igor Strawinsky, L’Oiseau de feu/Der Feuervogel (1909-10) – 3. Konzertsuite (Ballettsuite) für Orchester (1945)
Kölner Philharmonie, 7. Dezember 2023
von Daniel Janz
„Klassik mal anders“: Das heißt in Köln vor allem – moderierte Musik, Einbindung des Publikums und immer wieder auch Überraschungen und Experimente. Heute in Form von Live-Zeichnungen während des Konzerts.
Dass dieses Konzept Aufsehen erregt, zeigt das heute sehr junge Publikum. Geschätztes Durchschnittsalter: 16 Jahre. Und auch die Werkauswahl lässt aufhorchen. Mit Ljadov, Dukas und Strawinsky stehen ein paar große Namen mit spannenden Kompositionen auf dem Programm, die sich alle um Zauberei und magische Gestalten drehen. Dazu auch noch eine Live-Moderation und 2 Zeichner, die das ganze interaktiv begleiten – was für eine Mischung. Aber ob es auch funktioniert ist eine andere Frage. Und die lässt sich dann doch nicht so einfach beantworten…
Bei so viel Begleitprogramm ist natürlich immer die Frage, ob die Musik sich durchsetzen kann oder in den Hintergrund gerät. Die gute Nachricht vorneweg – unter den fähigen Händen von Dirigent Martijn Dendievel, dem Gewinner des Deutschen Dirigentenpreis 2001, behält die Musik ihre programmtragende Rolle. Das gelingt auch Dank einer Moderation, bei der der Fokus immer auf das Orchester ausgerichtet bleibt. Es wirkt lebendig, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
Dadurch gewinnt auch das erste Werk: Kikimora von Anatolij Ljadow. In dieser charmanten Programmmusik vertonte der russische Schüler von Rimski-Korsakow ein Gedicht über eine missgünstige Geistergestalt aus der Folklore. Das geht zumindest aus dem Gedichttext hervor. Musikalisch überwiegen eher liebliche Klänge. Ob nun das träumerische, vom Streicheruntergrund getragene Englischhornsolo, flirrende Klangfiguren mit Xylophon und Violinen oder die geradezu magische Klangkombination aus Flöte, Celesta und Horn – gerade auch, weil Ljadow keine Posaunen und Tuba verwendet, bleibt dieses Werk als helle, frische Klangmagie in Erinnerung. Insgesamt eine inspirierende Ergänzung für den Konzertbetrieb.
Der Zauberlehrling von Paul Dukas gehört wiederum zu den Konzertklassikern, ist aber doch stets eine beeindruckende Komposition. Und Orchester sowie Dirigent zeigen hier auch eine gewissenhafte Auseinandersetzung. Ob bei der Vorstellung des Magiers und seines faulen Zauberlehrlings, der lieber einen Besen zum Wasserholen verhext, als seinem Meister selbst ein Bad einzufüllen, bei der sich auftürmenden Dramatik oder dem donnernden Schluss – heute sitzt es. Fabelhaft gelingt hier besonders der Einstieg mit den flirrenden Streichern. Und Trompete und Fagott, die den Zauberspruch bzw. den Besen vorstellen, kommen plastisch zur Geltung, während aus dem Schlagwerk starke Akzente gesetzt werden. Lediglich die Stelle, an der der Zauberlehrling den Besen mit einer Axt zerschlägt, weil er den Zauber vergessen hat, ihn wieder leblos werden zu lassen, hätte stärker inszeniert sein dürfen.
Höhepunkt ist dann aber doch Strawinskys Feuervogel. Dieses vor allem auf Leitrhythmen aufgebaute Werk kennt eine ganze Fülle an Klangfarben und Stimmungen, die von einem Teil der Handlung in den nächsten führen. Es wechseln sich lyrische Themen und hervorragend vorgetragene Soli durch Flöte, Fagott und Horn mit effektiven Szenen im ganzen Orchester ab. Besonders aufschrecken kann vor allem der erste Auftritt von Kostschej persönlich – das setzen Dirigent Dendievel und das Orchester so stark um, dass noch während dieser Szene ein lautes Raunen durchs Publikum geht. Und auch die Steigerung zum Finale kann restlos begeistern.
Musikalisch war das heute weitestgehend gut bis hervorragend, wie sich auch bei den Reaktionen des Publikums zeigt. Gefeiert werden vor allem das erste Horn, das erste Fagott und die Flöte, die sich allesamt beim Abschlussapplaus ihren wohlverdienten Sonderjubel abholen.
Herausragend auch heute wieder die Trompeten und das Schlagwerk, die immer pointiert und stark da sind. Erwähnenswert sind weiterhin auch die durchweg guten Leistungen der Posaunen und Tuba, der Harfen, Celesta und dem Klavier. Und auch die Streicher konnten sich heute vor allem als Sterne am Nachthimmel der magischen Musik inszenieren.
Die Live-Zeichnungen während des Konzerts stehen stattdessen unter einem ungünstigen Stern. Man könnte diese Idee heute auch unter dem Motto „gut gemeint“ verbuchen. Denn leider offenbaren sie sich im Konzert eher als Schwäche. Besonders bei Kikimora unterstützen sie nicht die Musik sondern lenken ab.
Dazu kommen bei Zauberlehrling und Feuervogel Fragen zur Handlung. Warum zum Beispiel wird die – schon musikalisch schwächer inszenierte –Axthieb-Szene beim Zauberlehrling ausgespart? Warum wird Zauberer Kastschej nicht schon beim ersten Bild zum Feuervogel als Besitzer des magischen Gartens erkennbar etabliert? Was hat es mit dem Ei auf sich, das der Held Ivan am Ende der Handlung zertritt? Und was ist der Zusammenhang zwischen Kastschej und den 13 Jungfrauen?
Hatten Vorgaben vom WDR hier einen Einfluss? Es ist deutlich, dass die Zeichner die Geschichten kennen, aber nicht alle für das Verständnis wichtigen Details zeigen konnten (oder durften). Dadurch gehen aber essenzielle Elemente der Dramatik in der Handlung am Publikum vorbei. Es entstehen Logiklöcher.
Dabei zeigt das Konzept durchaus Potenzial. Besonders bei jungen Zuhörern wie heute sind Musik und Handlung – so vorhanden – schließlich nicht immer bekannt.
Die Abendmoderation von Jana Forkel (35) fängt dies auch super auf: Immer wieder wird auf das Publikum eingegangen, oder es miteingebunden. So werden Zuhörer und Orchester beim Zauberlehrling in Gruppen eingeteilt, die im Wechsel Teile des zugrundeliegenden Gedichts vorlesen, bevor das Orchester die dazugehörenden musikalischen Themen präsentiert. Bei Kikimora dürfen 3 Kinder im Publikum ein Gedicht über diese Gestalt vortragen. Und beim Feuervogel präsentiert ein Mitglied des Orchesters Teile der Handlung. Das ist gelungene Publikumsvermittlung, die bei entsprechender Performance am Zeichenbrett umso mehr gefruchtet hätte.
So aber muss man die Frage stellen, ob es die live auf übergroße Bildschirme übertragenen Zeichnungen während der Aufführung in dieser Form gebraucht hat. Der Rezensent empfand das Gewusel am Papier jedenfalls durchgängig als ablenkend, teilweise sogar als störend. Dass hier keine weltbewegenden Gemälde entstehen, ist selbsterklärend. Aber damit die Idee funktioniert, muss es eine gewisse Ruhe ausstrahlen. Und erst Recht dürfen Handlungslücken oder Ungenauigkeiten, wie beim Zauberlehrling und Feuervogel nicht entstehen. Schade, denn eigentlich ist der Rezensent ein Freund von jugendfördernden Konzertformaten.
So bleibt in Summe nur die Hoffnung, dass beim nächsten Mal ein solches Treiben gezielter eingesetzt wird. Alternativ mag es auch schon helfen, auf alle Details (sowie die Zusammenhänge) der Handlung einen größeren, narrativen Wert zu legen. Dann kann durch dieses Format ein Mehrgewinn entstehen. Der Rezensent lässt sich von der Erfahrung heute jedenfalls nicht entmutigen und hofft, dass es allen Beteiligten genauso geht.
Denn – das muss man bei dem starken Abschlussapplaus und einigen positiven Rückmeldungen auch feststellen – dem Publikum scheint es doch weitestgehend gefallen zu haben.
Daniel Janz, 8. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Nuron Mukumi (Klavier), Staatliches Sinfonieorchester Litauen Kölner Philharmonie, 3. Dezember 2023
WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru, Kian Soltani Kölner Philharmonie, 20. Oktober 2023