Christian Thielemann © Matthias Creutziger
Wenn Thielemann auf dem Programmzettel steht, tritt regelmäßig ein, was vorher bereits zu erwarten ist: absolute Perfektion – Klangmagie vom Allerfeinsten. Doch gleich dem Lächeln des nach dem Tageskampf verstorbenen „Helden ohne Gleichen“ ist Thielemanns Tristan in Dresden über weite Strecken ein milder und ein leiser, und dabei jedoch ein nicht minder klangmagischer. Um das fulminante Rollendebüt von Klaus Florian Vogt als Tristan und die herrliche Lokalmatadorin Camilla Nylund erreicht eine perfekte Sängerbesetzung das absolute Maximum an Qualität. Mit einer wunderbaren Inszenierung gelingt ein Gesamtkunstwerk vom Allerfeinsten. Und dennoch: Die abgründig-perversen Seiten des Tristan bleiben an diesem Abend unbefriedigt.
Richard Wagner
Tristan und Isolde
Libretto vom Komponisten
Christian Thielemann, Dirigent
Sächsische Staatskapelle Dresden
Marco Arturo Marelli, Regie und Bühnenbild
Semperoper Dresden, 21. Januar 2024
von Willi Patzelt
Christian Thielemann kokettiert mit nahezu allem, was er macht. Vor einigen Jahren noch sprach er grinsend davon, wie „pingelig“ er – getrieben von seinem „Preußen-Fimmel“ – beim Proben wäre. Heute geriert er sich offensiv als weiser, väterlicher und nicht mehr so dickköpfiger, ja als ein höchst gediegener Kapellmeister. Als solcher bezeichnete sich der nun scheidende Chef der Dresdner Kapelle immer schon – stets darauf verweisend, dass der „Kapellmeister“ nicht ein langweiliges Pendant zum hochinspirierten „Dirigenten“ sei. Und seit Jahren setzt Kapellmeister Thielemann mit dieser Herangehensweise Maßstäbe. Nicht um den breiten Pinsel ginge es bei der – wie sie Thielemann augenzwinkernd nennt – „Kapellmeisterei“. Vielmehr hat der Berliner ein feinsinnig-farbenreiches klangmalerisches „Finetuning“ komplexer Partituren perfektioniert.
Doch wohl genau zum Gegenteil will Wagner im Tristan verleiten. Es geht um den grenzenlosen Rausch; um Liebende, die aus der einengenden Welt – schopenhauerisch: den Willen überwinden wollend – in jenes nächtliche „des Welt-Atems wehendes All“ zu einem kosmischen Urzustand wieder zusammenfinden wollen. Profaner gesagt: Es soll im Vollrausch Suizid begangen werden. Jener Vollrausch ist von Wagner in der Partitur angelegt.
Aus der Keimzelle der im Tristan-Akkord so spannungsgeladenen und dennoch nicht nach zwingender Auflösung schreienden Dissonanz führt Wagner in immer neue Dissonanzen, schraubt dabei die Sogkraft der Musik immer höher, steigert sich immer tiefer hinein – ja, er treibt den Zuhörer womöglich in den Wahnsinn.
An diesem rauschenden Wahnsinn und wahnsinnigen Rausch spart Thielemann jedoch – und das womöglich auch aus guten Gründen. Immer wieder dreht er den Rausch auf Sparflamme herunter und ergibt sich ihm nicht. Und es ist auch irgendwo nachvollziehbar. Dass Spannungsbögen groß zu denken sind, dass sich solch betörende Musik und ihre Interpreten nicht im Rausch abnutzen dürfen – all das überzeugt.
Aber dennoch: Es bleibt die fast schon perverse Lust, mit der der Tristan spielt ist, bewusst unerfüllt. Die orgiastische zweite Szene des Zweiten Aufzugs („Isolde!, Tristan!“) nimmt Thielemann völlig zurück. Das dem Text nach empfundene „himmelhöchste Weltentrücken“ wird im Graben eher akademisch musiziert. Es ist bis in Isoldes Verklärung – verglichen beispielsweise mit der legendären Kleiber-Einspielung mit der Staatskapelle – ein recht milder Tristan. Schon spannungsreich, herrlich ausmusiziert, klanglich perfekt abgestimmt. Aber vielleicht ist er zu anständig und zu bürgerlich, oder anders: Not dirty enough.
Denn auch die hervorragende Sängerriege ist – vielleicht mit Ausnahme des kernig-kämpferischen Baritons des großartigen Martin Gantner – durchweg lyrisch ausgewählt. Über Georgs Zeppenfeld so edlen und klarverständlich-lyrischen Bass ist alles geschrieben. Er ist das Nonplusultra seines Fachs und beweist das erneut auf das eindrücklichste.
Und auch Camilla Nylund ist als Isolde umwerfend: Nie verfällt sie schreiendem Vibrato, sondern füllt fast schon mit Leichtigkeit in den so herrlich stetig auf- und abblühenden groß angelegten Phrasen mit ihrem warmen Sopran den Saal. Ihr zur Seite ist Klaus Florian Vogt als Tristan durchaus ein Wagnis. Was wurde der Norddeutsche nicht in der Vergangenheit für seine lyrisch-kopfige und umso voluminösere Leichtigkeit beschimpft: Wie ein kastrierter Held klinge er, so war zu lesen. Außerdem solle er Mozart singen, besser noch Händel. Und wenn er sich schon anmaße Wagner zu singen, dann halt notfalls den Stolzing; aber schon als Siegmund tauge er nicht.
Dass in solchen unterirdischen Kommentaren regelmäßig, neben mangelnder Sittsamkeit im Ton, auch eindrucksvolle Ahnungslosigkeit unter Beweis gestellt wird, führt Vogt in seinem Rollendebüt als Tristan – er vollendet damit den Kreis sämtlicher Wagner’scher Heldenpartien – eindrucksvoll vor: Er ist ein lyrischer Tristan, jedoch nie ohne Substanz.
Anders als bei manch anderen Tristanen hört sich bei ihm der dritte Akt auch nicht als Kampf mit dem Orchester an. Es ist dennoch schade, dass Klaus Florian Vogt in letzter Zeit doch immer mehr seine helle Kopfigkeit in der Stimme abhandengekommen ist. Ob sich ein Tristan mit der Lohengrin-Stimme Vogts von vor fünf Jahren singen ließe, ist sicherlich fraglich. Schön wäre es dennoch. Aber trotzdem: Die Opernwelt begrüßt einen neuen wunderbaren Tristan in der Riege der Weltspitze. Mit hoffentlich noch vielen Aufführungen wird sich dann auch sicherlich noch das Libretto beim Singen festigen…
Wo Schönes geboren wird, stirbt freilich auch Schönes – wenn auch mit retardierenden Momenten. Ein solches Moment ist vermutlich die Wiederaufnahme einer herrlichen Inszenierung, die gleichzeitig minimalistisch und dennoch werkgetreu ist. Die Inszenierung ist so gut, dass – ich nehme Wetten an – sie vermutlich zeitnah, sollte Daniele Gatti in Dresden einen Tristan machen wollen, wieder den mittlerweile typisch gewordenen belehrenden Meta-Modellen weichen müsste.
Marco Arturo Marellis mittlerweile fast 30 Jahre alte Inszenierung ist, um es mit Hans Sachs zu sagen, „so alt und doch so neu“. Ein gewisser 90er-Touch ist der von Marelli mehrheitlich in einem offenen Würfel recht abstrakt gestalteten Bühne – lediglich im ersten Aufzug sieht man als konkreten Ortsverweis das Heck des Schiffs – schon anzusehen. Aus der Benutzung von Seidenvorhängen zur inhaltlichen Abgrenzung von Innen- und Außenwelt und von Tag- und Nachtwelt spricht jedoch auch die Bildsprache des viel zu früh verstorbenen Wieland Wagner. Diese Inszenierung ist ästhetisch von allerhöchster Schönheit und inhaltlich wahnsinnig sinnlich, ohne je ins Kitschige zu verfallen. Einfach grandios!
Es gelingt insofern ein Abend, der von seiner Qualität auf allen Ebenen eigentlich nicht zu toppen ist. Und doch ist da etwas, was fehlt. Es ist gleichsam der goldene Schuss – der letzte ultimative Rausch. Thielemann mag ihn aus guten Gründen verweigern. Und doch möchte man ihm die Worte des Chiron aus Faust II hinterherschreien: „O weh! Errege nicht mein Sehnen…“
Willi Patzelt, 22. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tristan und Isolde, Musik und Libretto von Richard Wagner Semperoper Dresden, 21. Januar 2024
Richard Wagner, TRISTAN UND ISOLDE Oper Wuppertal, NI 29. Oktober 2023
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 3. August 2023
Lieber Willi!
Dritter Aufzug Tristan – ohne goldenen Schuss? Schwer vorstellbar dann, um es als Dirigat sondergleichen zu bezeichnen. Leider fehlen mir die Liververgleiche früherer Wagner-Dirigate von Christian Thielemann. Dennoch erweckt es den Anschein – als Vergleich bleibt mir zum Beispiel die „Frosch“- als hätte Thielemann seine musikalische Ausdrucksweise geändert. Nennen wir es Altersweisheit oder Altersschwäche – das bleibt wohl jedem subjektiv zu beurteilen. Ebenso ist die Tagesform nicht zu unterschätzen. Zwei Vorstellungen, zwei Welten, das habe ich schon oft erlebt. Sein „Lohengrin“-Dirigat in Wien wird wieder einiges an Klarheit schaffen – auch wenn der „Tristan“ und „Lohengrin“ zwei unterschiedliche Welten sind.
Jürgen Pathy