Dresden: Klaus Florian Vogt vollendet seinen Wagner-Zyklus und triumphiert auch als Tristan

Tristan und Isolde, Musik und Libretto von Richard Wagner  Semperoper Dresden, 21. Januar 2024

Tristan 2024, Dresden, Camilla Nylund © JF

Die Lohengrin-, Stolzing- und Siegfried-Szene hat Klaus Florian Vogt längst im Griff, jetzt mischt er auch noch den Tristan mächtig auf. Dieser Tenor singt nicht gegen, sondern mit Camilla Nylunds allmächtiger Isolde.

Tristan und Isolde
Musik und Libretto von Richard Wagner

Semperoper Dresden, 21. Januar 2024

von Johannes Karl Fischer

Es ist vollbracht. Klaus Florian Vogt schließt die letzte Lücke seines Wagner-Fachs, von Lohengrin bis Parsifal hat er jetzt alle großen Rollen durch. Auch den Tristan singt er sanft wie Stolzing-Lieder, Vogt bleibt eben Vogt. Völlig mühelos schwebt er durch die endlosen Kraftakte von Wagners wohl forderndster Tenorpartie, selbst den von vielen Spitzensängern gefürchteten dritten Aufzug bewältigt er ganz ohne Müh’. Er steht einfach da, der Körper des schwer verwundeten Tristans zittert durch die stark verschmutzte Kulisse, und singt. Nicht mehr, nicht weniger.

Die Lohengrin-, Stolzing- und Siegfried-Szene hat der Dithmarscher Althornist längst im Griff, jetzt mischt er auch noch den Tristan mächtig auf. Endlich besteht diese Oper mal nicht aus einem fünfstündigen gegenseitigen Niederringen der Titelpartien, stattdessen segelt die liebevolle Lyrik dieser Musik durch den Saal!

Über diesem musikalischen Polster strahlt auch Camilla Nylunds Leuchtkraftsopran durch den Saal. Mit seidensanfter Stimme fesselt die Isolde das Publikum an die Stuhlkante, die Gefühle ihrer hochemotionalen Rolle lässt sie regelrecht überkochen. Man spürt ihre Wut, die volle Macht der Liebe vor ihrem Tristan, ihr grenzenloses Verlangen nach ihrem Geliebten. Mit stimmlicher wie schauspielerischer Brillanz beherrscht sie die Bühne, im Liebestod führt sie jede Phrase wie an einem seidenen Faden gezogen zum krönenden Abschluss des Abends.

Tristan 2024, Dresden, Georg Zeppenfeld © JF

Die überragende Besetzung zieht sich auch durch die kleineren Partien. Georg Zeppenfeld als König Marke scheint das Restbrummen seiner Stimme endgültig hinter sich gelassen zu haben, souverän rezitiert er seine Monologe makellos mit textverständlichem Bass. Dieser König ist kein harter Herrscher, vielmehr ein über das tödliche Geschehen furchtbar enttäuschter Mensch wie alle anderen.

Martin Gantners Kurwenal kämpft mit Schwert und schmutziger Stimme für Tristan, tapfer steht er seinem Herrn stets zur Seite, hält ihn am Leben bis er leblos vor den Augen der herbeieilenden Isolde erstarrt. Ganz wie in der Handlung spielt er auch stimmlich Tristans Gegenspieler, ein Kämpfer natur. Einen souveränen Abend hat auch Tanja Ariane Baumgartner als Brangäne, ihr runder Mezzo fließt wie ein lauwarmes Lüftchen über die Liebesnachtszene. Stimmlich hat die Dienerin ihrer Herrin Isolde einiges zu bieten und kann sich in der insgesamt souveränen Gesangsbesetzung bestens zurechtfinden.

Angefeuert von kultmäßigen Bravo-Rufen für den Chef – die gab es mal wieder schon vor dem Vorspiel – musizieren Christian Thielemann und die Dresdner Staatskapelle alle in Grund und Boden. Nie hätte ich gedacht, dass in dieser handlungstechnisch eher zähen Oper so viel Feuer und Flamme drinstecken kann. Da war schon im Vorspiel mehr Power als bei anderen Dirigaten in der ganzen Oper! Machtlos lässt Isolde das Schwert fallen, prompt steht die Musik still im Raum wie eine Tristan in die Augen blickende Isolde. Thielemanns Orchester schmettert die Leitmotive aus dem Graben und versetzt einen ins emotionale Innenleben der Figuren, das ist die musikalische Vollendung des Gesamtkunstwerks. Ganz nach Wagners Geschmack.

Tristan 2024, Dresden, Christian Thielemann © JF

Marco Arturo Marellis eher minimalistisch angelegte Inszenierung kommt auch fast drei Jahrzehnten ihrem Dienste nach. Das Liebespaar schwebt hinter flimmernd blauen Vorhängen wie auf Wolke sieben, am Ende des Liebestods steht Isolde sichtlich triumphierend am oberen Ende einer langen Treppe. Als stünde sie an der Spitze eines prächtigen Tempels und würde nun in den Himmel aufgestiegen. Nichts radikal Neues, aber so bleibt diese Handlung auch im Jahre 2024 durchaus verständlich.

Leider trat ausgerechnet der Tristan im 1. Aufzug etwas statisch auf, schwer zu sagen, ob das an der Regie oder an Herrn Vogts Tristan lag. Frau Nylunds Isolde hingegen lebte die fesselnde Dynamik ihrer Rolle auch spielerisch von Anfang bis Ende voll und ganz aus.

Tristan 2024, Dresden, Camilla Nylund, Klaus Florian Vogt © JF

Mit dieser durchwegs grandiosen Tristan-Vorstellung komplettiert Klaus Florian Vogt seinen Wagner-Tenor-Zyklus. Zum ersten Mal singt Tristan nicht gegen, sondern mit Isolde. Thielemann und Zeppenfeld komplettieren ein Ensemble der Extraklasse. Völlig verdient gibt es für ausnahmslos alle Beteiligten donnerndem Applaus. Das war ein Abend für die Bücher der Wagner-Aufführungsgeschichte!

Johannes Karl Fischer, 22. Januar 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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9. Symphoniekonzert im Rahmen der »Richard Strauss-Tage in der Semperoper« Semperoper Dresden, 16. April 2023

12 Gedanken zu „Tristan und Isolde, Musik und Libretto von Richard Wagner
Semperoper Dresden, 21. Januar 2024“

  1. Lieber Johannes Karl Fischer! Wer ist denn nun die „weltbeste“ Isolde? Anja Kampe (Kritik vom 26.7.2023) oder doch Camilla Nylund?

    Gerda Baumeister

    1. Liebe Gerda Baumeister,

      Meiner Einschätzung nach gehören Anja Kampe wie auch Camilla Nylund beide zu den derzeit besten Isolden, die eine etwas kämpferischer (Anja Kampe), die andere etwas sanfter (Camilla Nylund). Frau Kampes Auftritt am 24.07. war sehr, sehr gut und Frau Nylunds jetzt eben noch ein Ticken besser. Bis zum 20.01.2024 war Anja Kampe die weltbeste Isolde, seit dem 21.01 geht dieser Titel wieder an Frau Nylund.
      Es ist wie im Sport: Wenn zwei SprinterInnen immer abwechselnd ihre jeweils gegenseitigen 100m-Rekorde knacken, profitieren am Ende beide.

      Johannes Fischer

  2. „Nie hätte ich gedacht, dass in dieser handlungstechnisch eher zähen Oper so viel Feuer und Flamme drinstecken kann. Da war schon im Vorspiel mehr Power als bei anderen Dirigaten in der ganzen Oper! “

    Nie hätte ich gedachte, dass man Derartiges verzapfen kann.
    Am 21.01.2024 war es mein 187. Tristan, den ich live erlebt habe. Und ich habe wahrlich schon ganz andere Abende erlebt, selbst unter Thielemann.

    Frau Baumgartner war im Übrigen im 1. Akt vollkommen neben der Rolle. Ich weiß, sie sprang kurzfristig ein. Aber zu behaupten, sie war souverän, ist schlichtweg falsch. Sie können ja gerne nochmal den vorhandenen Mitschnitt anhören und ihre Fehleinsätze und rhythmischer Wackler mitzählen.

    Ulrich Harbott

    1. Lieber Ulrich Harbott,

      Wenn Sie mit einer Partitur im Saal saßen (mache ich auch gelegentlich), mag es sein, dass Frau Baumgartner an der einen oder anderen Stelle ein wenig zu früh oder zu spät eingesetzt hat. Bei der jüngsten Hamburger Tannhäuser-Premiere hat es in der letzten Szene auch von Fehleinsätzen nur so gewimmelt – nicht nur beim Frau Baumgartners Venus, sondern auch bei Christoph Pohls Wolfram von Eschenbach. Das habe ich damals auch ausführlich beschrieben. War es deswegen eine schlechte Vorstellung? Nein! Wenn Sie die Partituren im Kopf haben, werden Sie merken, dass fast alle BerufsmusikerInnen an der einen oder anderen Stelle mal versingen, nur ist es eben deren Kunst, dass man diese Fehler kaum bis gar nicht hört.

      Ihre Einschätzung zu Herrn Thielemanns Dirigat kann auch ich nicht teilen. Ich habe ihn in den letzten 12 Monaten mit insgesamt sechs verschiedenen Programmen gehört – die Vergleichsdirigenten hießen u.a. Franz Welser-Möst, Zubin Mehta und Andris Nelsons – und jedes Mal die Werke komplett neu verstanden. Das ging mir bei diesem Tristan genauso.

      Johannes Fischer

  3. Etwas mehr Wasser im Wein hätte der Kritik gut getan. Vogt war gut, aber nicht überragend. Vor allem Fehler im Text (durch alle 3 Akte) und Unsicherheiten in der Lage (mehrmals lag er vom Einsatz und von der Tonhöhe falsch; bis zu einem halben Ton darunter!) schmälern das Debüt etwas. Überragend: Isolde. Besser geht es kaum. Unter dem Strich: Solide Aufführung.

    1. Lieber Herr Brummer,

      über Klaus Florian Vogts Textschwierigkeiten habe ich bereits bei seinem Götterdämmerungs-Debüt in Zürich berichtet. Das war im November 2023. Beim Tristan waren diese Textprobleme nahezu – zugegeben, nicht vollständig – verschwunden. Übrigens – anders als eine gewisse Elsa an der Elbe – ohne Teleprompter. Und Herr Vogts helle, für Wagner-Verhältnisse fast vibratolose Stimme neigt eh dazu, jeden versungenen Laut besonders zu exponieren. Ganz anders als die ganzen hochgeschraubten Baritöne, die sonst immer den Tristan singen.

      Isolde war überragend, ja. Das war sie auch schon bei Ihrem Debüt in Zürich.

      Freundliche Grüße

      Johannes Fischer

  4. Armer Herr Fischer, wenn sie bis jetzt nur einen gegeneinander singenden Tristan gehört haben! Vielleicht sollten sie sich einmal ein wenig informieren, Musikbeispiele gibt es ja genug! Und die sind nicht nur aus der Steinzeit!!!
    Nicht den Mut verlieren, sondern informieren!!!!

    Karl Bauer

  5. Nach Vinay, Treptow, Windgassen, Svanholm, Thomas, Suthaus, Vickers, und und und… landen wir bei einer Knabenstimme für den Tristan. Vor 50-70 Jahren hätte Herr Vogt nicht mal die Stimme des jungen Seemanns singen dürfen.

    Die Zeit ist aus den Fugen.

    Yehya Alazem

    1. Ja… die Aufführungsgeschichte ist durch baritonal timbrierte Kraftprotze und matronenhaft scheppernde Isolden geprägt.
      Dabei handelt es sich doch um ein blutjunges Liebespaar, das in dieser Aufführung musikalisch auch so rüberkommt (obwohl beide Protagonisten beide auch schon Mitte 50 sind).
      Ich habe noch nie ein ergreifenderes Liebesduett in meinem langen Opernleben hören dürfen. Für mich war es eine absolute Sternstunde. Überirdisch schön.
      Die Publikumsreaktionen waren auch dementsprechend.

      Dr. Dieter Isert

  6. Diese „Tristan und Isolde“-Wiederaufnahme war unsagbar schön! Es hat einfach alles gestimmt: Herr Thielemann hat souverän und nuanciert dirigiert und mit seinen Handgesten nicht nur Einsatzzeichen gegeben, sondern die Phrasierungen der Sänger und Sängerinnen nachvollzogen. Ich saß in der ersten Reihe in seiner Nähe und habe bislang noch nie so sehr hilfreiche Unterstützungsgesten wie jene von Herrn Thielemann wahrgenommen. Die Musiker fühlten sich – ich zitiere Herrn Vogt aus einem Interview vom 19.01.24 („Die Sächsische“) – „bestens aufgehoben“. Die Vorbereitung soll auch sehr intensiv gewesen sein. Es ist einfach fantastisch, was dabei herausgekommen ist. Für mich war es eine perfekte Tristan-Aufführung. Noch nie in meinem langen Dasein mit Wagner ist eine Tristan-Aufführung gefühlt so schnell vorbei gewesen. Dabei neigte die Inszenierung nun wahrlich nicht zu Action. Frau Nylund und Herr Vogt haben überragend das Liebenspaar gesungen und verkörpert. Auch die anderen Sänger überzeugten. Übrigens hatte Herr Vogt in dieser Inszenierung schon mal den jungen Seemann gesungen und kannte sie daher. Als am 21. Januar nach dem III. Aufzug der letzte Ton langsam im Raum verklang, war es lange still. Tief beeindruckt waren wir. Herr Thielemann musste erst die Partitur, in die er kaum geguckt hatte, schließen, bevor der Applaus losdonnerte. Alle (die in meiner Reichweite saßen) sprangen von den Sitzen auf. Es hielt uns nichts mehr. Wir waren uns sofort sicher, dass wir hier eine Sternstunde erlebt haben. Vielen Dank an alle Beteiligten! Das war wunderbar!

    Dr. Bianca Gerlich

    1. Liebe Frau Dr. Gerlich,

      es bewegt mich, wie intensiv Sie diesen Abend in Dresden erlebt haben.

      Herzlich

      Andreas Schmidt, Herausgeber

      1. Lieber Herr Schmidt,
        vielen Dank für Ihre freundliche Rückmeldung.
        Ich war nun am 3. Februar 2024 noch einmal in Dresden, um die letzte der vier Aufführungen zu sehen und es war gleichermaßen schön. Der Schlussapplaus dauerte eine halbe Stunde. Ich denke, wir hatten am Ende ein wenig Mitleid mit den erschöpften Sängern, sonst hätte es noch länger gedauert.
        Herzlich,
        Bianca Gerlich

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