Oslo Philharmonic, Truls Mørk, Klaus Mäkelä © Sophie Wolter
Piotr I. Tschaikowsky, Der Sturm, Symphonische Dichtung nach William Shakespeare op. 18
Henri Dutilleux, Konzert für Violoncello und Orchester „Tout un monde lointain…“
Nikolai Rimski-Korsakow, Scheherazade, Symphonische Suite op. 35
Klaus Mäkelä, Dirigent
Truls Mørk, Violoncello
Oslo Philharmonic
Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 1. Februar 2024
von Dr. Andreas Ströbl
Inwieweit Tondichtungen tatsächlich auf literarische Vorgaben rekurrieren, diese inhaltlich in Teilaspekten wiedergeben können oder nur Stimmungen aufzugreifen vermögen, ist eine Frage, die es seit der Entstehung der Gattung gibt. Es ist ja nicht mal geklärt, ob man hier bereits von einem Genre sprechen kann, was an der unterschiedlichen Art und dem Grad der Adaption bzw. Inspiration und damit der grundsätzlichen Ausrichtung der Komponisten bei der Anlage des jeweiligen Werks liegt.
Richard Strauss hat sich bei der Komposition von „Also sprach Zarathustra“ tatsächlich von der hymnischen Sprache und der strukturellen Anlage des Nietzsche-Werks beeindrucken lassen – philosophische Thesen lassen sich nun mal schwer musikalisch darstellen.
Das Konzert am 1. Februar im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie bot für diese Diskussion ein hervorragendes Feld. Klaus Mäkelä, der bereits tags zuvor mit dem Oslo Philharmonic Gustav Mahlers „Vierte“ und die zweite Symphonie von Thomas Larcher in der „Elphi“ aufgeführt hatte, leitete ein Konzert mit drei Kompositionen ausgesprochen unterschiedlicher Natur.
Zu Beginn erklang „Der Sturm“ von Tschaikowsky, bei dem man sich mal wieder fragt, warum es so selten aufgeführt wird. Basierend auf Shakespeares „The tempest“, steht es in Verwandtschaft zu den Ouvertüren zu „Hamlet“ oder „Romeo und Julia“. Tschaikowsky stellt hier in sehr verschiedenen Themen die Meeresstille, dann natürlich den Sturm, das eigentümliche Wesen Calibans und endlich die Liebe zwischen Miranda und Ferdinand dar. Gerade bei letzterem Aspekt liegt die Assoziation zu „Romeo und Julia“ nahe.
In ausgesprochen spätromantischer Tonsprache spielt Tschaikowsky mit den bewegten Wogen des Meeres, dem flirrenden Licht, dem flackernden Wetterleuchten und dem aufkommenden Wind – das schafft er ganz ohne Windmaschine, wie sie am Abend zuvor noch bei Larchers zweiter Symphonie effektvoll zum Einsatz gekommen war. Das stimmungsvolle Stück arbeitet mit Steigerungen, die einerseits der Dynamik der Natur, andererseits den großen Gefühlen der Protagonisten musikalischen Ausdruck geben.
Geographisch ist die Themensprache als deutlich russisch erkennbar, zum strahlenden Finale hin entsteht ein angedeuteter Choral-Ton.
Mäkelä, der bei Mahlers „Vierter“ nicht alle Zwischentöne und Brechungen vermitteln konnte, war hier ganz in seinem Element und sein expressives, raumgreifendes Dirigat erfasste die Weite des Naturraumes ebenso wie die tiefen Empfindungen – es sind die großen, klaren Linien, in denen der junge Dirigent souverän wirken kann.
Das Oslo Philharmonic spielte fast durchweg grandios und füllig, nur die Hörner hatten an diesem Abend zuweilen Ansatz-Probleme.
Henri Dutilleux verstand sein Konzert für Violoncello und Orchester weniger als inhaltliche Adaption einer literarischen Vorlage; vielmehr ist es die Wiedergabe seiner Emotionen beim Lesen von Baudelaires Gedichtzyklus „Les fleurs du mal“, was dem Werk einen sehr persönlichen Ausdruck verleiht. Dutilleux’ Tonsprache ist spröde und nicht immer leicht zugänglich; er setzt dem dominanten Violoncello ein reich instrumentiertes Orchester entgegen bzw. an die Seite, das, über den üblichen Apparat mit Streichern, Blech- und Holzbläsern hinaus, über ein vielstimmiges Schlagwerk verfügt, aus dem besonders unterschiedliche Trommeln, Xylophon und Glockenspiel herausstechen.
Das Werk besteht aus fünf ineinander übergehenden Sätzen, die jeweils einen Titel und ein Zitat aus einem Baudelaire-Gedicht tragen. Das Zitat in der Werkbezeichnung aus dem Gedicht „La chevelure“, „Tout un monde lointain“, wird mit den Worten „absent, presque défunt“ weitergeführt, also „Eine ganze ferne Welt, abwesend, fast nicht mehr existent“.
Truls Mørk bannte mit seinem ausdrucksvollen Spiel nicht nur das Publikum, er trat in Dialog oder, je nach muskalischer Aussage der einzelnen Passagen, auch in Widerstreit mit dem Orchester. Sein Strich war, der Grundausrichtung der Komposition entsprechend, häufig kratzig und unwirsch, seltener gleitend und schmiegsam. In dem Werk gibt es wenige sanfte Intermezzi und eher Annäherungen an lyrische Linien, als dass diese wirklich geformt und ausgespielt werden; der Gesamtduktus ist durchaus herb.
Melancholischer Einkehr und Selbstreflexion verlieh Mørk mit größtmöglicher Intimität greifbaren Ausdruck, das Cello wirkte bisweilen geradezu einsam und verloren, die Szenerie geisterhaft. Was will man aber auch anderes erwarten, denn Baudelaires Gedichte sind geprägt von Morbidität, Vanitas-Symbolik und den Erfahrungen existentieller Unbehaglichkeit.
Harte Einsatz-Anweisungen der Streicher peitschte Mäkelä geradezu in den Klangkörper, der in jähen Ausbrüchen mit eindrucksvollen Tutti und Trommel-Akzenten den immer wieder ruhigeren Fluss unterbrach.
Den begeisterten Applaus für seine eindrucksvolle Leitung beantwortete der Cellist mit einer Zugabe, die möglicherweise einer Britten-Cello-Suite entnommen war.
Märchen und Märchensammlungen schreien geradezu nach Musik – wenn man sie verfilmt oder ein Hörspiel daraus macht. Es gab um 1970 eine Schallplatte mit dem Hauff-Märchen vom Kleinen Muck, wahrscheinlich gelesen von Hans Paetsch. Die Begleitmusik, nämlich Ausschnitte aus Rimski-Korsakows „Scheherazade“, passte mit dem romantischen, leicht orientalisierenden Grundton wunderbar zum märchenhaften Morgenland. Dem Rezensenten war diese Musik daher schon als Kind vertraut und er lernte sie dann als ganzes Stück Jahre später tatsächlich kennen und lieben. Anderen mag es mit der „Halle des Bergkönigs“ auf einer Rübezahl-Märchenplatte ähnlich gegangen sein.
Die „Scheherazade“ ist so oft gespielt und auch filmisch adaptiert worden, da müssen nicht viel weitere Worte verloren werden. Sie erklang auch vor Kurzem in der Hamburger Staatsoper in John Neumeiers Produktion „Nijinsky“ (https://klassik-begeistert.de/48-hamburger-ballett-tage-nijinsky-ballett-von-john-neumeier-staatsoper-hamburg-28-juni-2023/).
Mäkelä und das Oslo Philharmonic malten diese zauberhafte Ton-Bilderwelt mit aller Delikatesse und Opulenz – sei es in zarten Miniaturen oder großformatigen Gemälden, je nach Stimmung und Orchestrierung.
Elise Båtnes führte gleichermaßen als Erzählerin durch die Geschichte, ihre Erste Violine zeichnete zarte Linien und Birgitte Volan Håvik entsandte anmutige Harfenperlen in den Saal. Die in diesem Stück so wichtigen Holzbläser (vor allem Ole Kristian Dahl am Fagott) und Flötisten spielten allesamt mit lyrischer Sanftheit. Im temporeichen Finale gab das Orchester wirklich alles und den Dirigenten hielt es mit seinen Ausfallschritten und fast torkelnden Tanzbewegungen kaum auf dem Podest.
Beim brausenden Applaus standen bald nahezu alle und dieser Beifall wurde mit einem reizenden Tanz von Modest Mussorgski entlohnt.
Das Publikum verhielt sich an diesem Abend größtenteils respektvoll, aber laute Huster störten gerade in die Piano-Passagen der Ersten Violine hinein. Außerdem war es offenbar einigen Leuten zu kalt, denn sie trugen dicke Wollmützen, dazu so weit über die Ohren gezogen wie die bedauernswerten Randglieder in der Schulzeit, denen Mama die Mütze, wie beschrieben, ins Gesicht gedrückt hatte, dass sie aussahen, als hätten sie ernsthafte psychische Probleme. Warum man so in einem klassischen Konzert erscheinen muss, ist unergründlich. Ein einfacher Blick in den Spiegel schüfe Abhilfe.
Dr. Andreas Ströbl, 3. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klaus Mäkelä, Dirigent, Johanna Wallroth, Sopran, Oslo Philharmonic Elbphilharmonie, 31. Januar 2024
Bamberger Symphoniker, Dirigent Jakub Hrůša Elbphilharmonie, 25. Januar 2024
Die Zugabe des Cellisten: Modest Mussorgsky. „Hopak“ aus der Oper »Der Jahrmarkt von Sorotschintzi«.
Sehr beeindruckt Ihres Wissens ggü!
Harald Nicolas Stazol
Nein, lieber Harald, das war die Zugabe ganz am Ende. Der Cellist spielte etwas anderes, eher aus der Mitte oder dem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts. Wir vermuten, wie gesagt, Britten.
Vielen Dank aber für die Blumen!
Dr. Andreas Ströbl