Auf den Punkt 14: Die Staatsoper Hamburg ist nicht Hollywood - Yoel Gamzou lebt in einer schattigen, toten Korngold-Stadt und Klaus Florian Vogt kann nicht aus seiner Haut heraus

Auf den Punkt 14: Die Staatsoper Hamburg ist nicht Hollywood – Yoel Gamzou / Klaus Florian Vogt  klassik-begeistert.de, 9. Juni 2024

Foto: Archiv © Bernd Uhlig 2015

Yoel Gamzou ist Korngold-Fan, er lebt in Wien in dem Haus, in dem bereits der Komponist wohnte. Und das nicht zufällig, sondern willentlich. Mehr Verehrung geht nicht? Doch, da geht noch was. Gamzou befreit Korngold an der Staatsoper Hamburg vom Filmmusik-Geschmäckle, er treibt der Partitur filmmusikalische Tendenzen weitestgehend aus. Wer hätte das gedacht, nach Gamzous rockender Carmen letzte Spielzeit. Falscher Glanz darf nicht vorkommen, doch Klaus Florian Vogt durchbricht die Düsternis.

Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957)
Die tote Stadt

Libretto – Paul Schott (Julius und Erich Wolfgang Korngold), nach dem Drama Bruges-la-Morte von Georges Rodenbach

Uraufführung –  4. Dezember 1920, Köln (Stadttheater) und Hamburg (Stadttheater)

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper

Yoel Gamzou – Musikalische Leitung

Inszenierung – Karoline Gruber
Bühnenbild und Kostüme – Roy Spahn und Mechthild Seipel

Staatsoper Hamburg, 8. Juni 2024

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

von Jörn Schmidt

Seit 1934 wirkte Korngold als Pionier des noch jungen Genres Filmmusik in Hollywood und erhielt zwei Oscars. Wie schade, Filmmusik, das hätte nicht sein müssen. Galt Korngold doch schnell als „Mozart des 20. Jahrhunderts“. Was hätte da noch alles kommen können. An Opern, wohlgemerkt. Zwei Oscars sind natürlich auch nicht schlecht, aber eben keine Bereicherung für die Opernhäuser.

Die tote Stadt stehe musikalisch irgendwie zwischen Giacomo Puccini und Richard Strauss, hört  man oft. Aber irgendwie stimmt das nicht, Opern von Strauss und Puccini haben das Potential, zu überwältigen wie Richard Wagner. Korngold nicht, dafür setzte er zu sehr auf eine Art Breitwand-Sound. Eine schlechte Oper ist es damit aber mitnichten.

Sein Filmmusik-Œuvre hat wohl dazu geführt, dass man Korngold später nicht mehr so recht ernst nahm. Jedenfalls wurde Die tote Stadt erst in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt. Unlängst haben Axel Kober und Kirill Petrenko in Düsseldorf und München starke Plädoyers für Korngold gehalten. In Hamburg war man schneller, die Premiere der heutigen Aufführung datiert auf den 22. März 2015. Und die Uraufführung fand natürlich wo statt? In Hamburg.

Yoel Gamzou weiß um die Filmmusik-Problematik. Auch wenn Gamzou eigentlich gar nichts gegen Filmmusik hat, glättet er in der Partitur angelegte Filmmusik-Tendenzen. Das Orchester findet zu einem dunklen, teils obertonarmen Klang. Soweit das bei der rauschhaften Partitur und dem riesenhaften Orchesterapparat denn möglich ist. Das angestrebte Ergebnis gelingt durch strenge Anleitung der Streicher, es nicht zu übertreiben, und kühne Rhythmik.

Einen anderen Akzent setzt Klaus Florian Vogt, was schlicht und ergreifend daran liegt, dass er  als der knabenhafteste Tenor ever gilt. Das passt auf den ersten Blick nicht wirklich zur Hauptfigur. Paul ist schließlich ein ziemlicher Psychopath, seit dem Tod seiner Frau betreibt er eine Art Totenkult. Das führt zu allerhand absonderlichen Fantasien, was die Inszenierung von Karoline Gruber meist dezent, zuweilen aber auch plakativ nachvollzieht. Vogt klingt indessen eher sanft, hat gleichzeitig viel Strahlkraft  und gibt stimmlich, wenn man so will, den braven Schwiegersohn.

Foto: Archiv © Bernd Uhlig 2015

Alles andere als eine Idealbesetzung also? Sollte man meinen, aber auf den zweiten Blick macht das Sinn. Hat sich doch so manch spießiger Schwiegersohn in Hollywood-Produktionen als Psychopath entpuppt. Michael Douglas in Falling Down zum Beispiel. So macht alle plötzlich Sinn, die Wiederaufnahme geriet dank Vogt und Gamzou zu einem Korngold-Siegeszug.

Der Chor der Hamburgischen Staatsoper, ganz besonders die Alsterspatzen, der Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper, gaben Vogt in der Zombie-Prozession ordentlich Kontra. Vida Miknevičiūtė als Marietta bzw. Erscheinung Mariens trieb  Paul mit ihrem verführerisch-zubeißenden Sopran Schritt für Schritt und ziemlich planvoll in den Wahnsinn.

Siegmund Freud hätte seinen Spaß gehabt, all die hysterischen Konflikte zu analysieren und den Patienten einer Genesung zuzuführen. Ob Paul gesundet ist? Vogt und Gamzou sagten heute Abend: Nein! Während die Inszenierung meinte: Ja! Wer hat Recht? Die Staatsoper Hamburg ist nicht Hollywood. Da gibts kein Happy End.

Jörn Schmidt, 9. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt ENO English National Opera, 28. März 2023

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt Longborough Festival Opera, 27. Juni 2022

Erich Wolfgang Korngold „Die tote Stadt“, Wiener Staatsoper,  11. Februar 2022

CD-Rezension: Korngold, Die tote Stadt, klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Auf den Punkt 14: Die Staatsoper Hamburg ist nicht Hollywood – Yoel Gamzou / Klaus Florian Vogt
klassik-begeistert.de, 9. Juni 2024“

  1. Lieber Kollege Jörn Schmidt,

    da schau her: Dass Yoel Gamzou im Haus von Korngold wohnt, ist eine interessante Information. In Wien kämpft man ja ein wenig mit seinen kapellmeisterlichen Fähigkeiten. Es gibt Dirigenten, die dürften beim Staatsopernorchester beliebter sein. Nichtsdestotrotz: Bei mir hat sein Tosca-Dirigat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im positiven Sinne. Jeder Dirigent hat seine Qualitäten: Krassimira Stoyanova als Floria Tosca hat er auf Händen getragen, der Ausdruck und die Energie im Graben waren sensationell.

    Liebe Grüße
    Jürgen Pathy

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