Die tote Stadt – ein gefährlicher Tagtraum geht in einen langen Nachttraum über

Erich Wolfgang Korngold „Die tote Stadt“,  Wiener Staatsoper,  11. Februar 2022

Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wiener Staatsoper,  11. Februar 2022

Erich Wolfgang Korngold „Die tote Stadt“

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Wie sollen wir einen Abend beschreiben, an dem uns bewusst wurde, dass wir keine mehr berührende und eindrucksvollere Oper kennen als dieses Werk von Erich Wolfgang Korngold, aber die totale gesangliche Erfüllung ein Traum blieb?

Unser Gedächtnis wird auf die Probe gestellt. Viele neue, ungewohnt auszusprechende Namen erscheinen in der Opernwelt. Mit SängerInnen aus dem Baltikum haben wir schon gute Erfahrungen gesammelt. Die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė hatte als Marietta schon einen sehr temperamentvollen ersten Auftritt. Weder hier in Wien, noch an der New York City Opera, noch an der DOB und dem Gran Teatro La Fenice haben wir eine so dramatische Marietta gehört, was allerdings auf Kosten des Wohlklangs und der lyrischen Seiten ging. Wir gewinnen den Eindruck, dass diese Partie den US-Amerikanerinnen besonders lag.

© Klaus Florian Vogt

Klaus Florian Vogts Tenor haben wir sowohl von der Semperoper als auch von Bayreuth geschmeidiger in Erinnerung. Als beim letzten Mal Herbert Lippert für Vogt einspringen musste, war unser spontaner Gedanke: Diese Rolle passt für ihn. Und wirklich Lipperts Timbre ließ trotz der hörbaren Tücken der Partie die Nöte Pauls tiefer nachempfinden. Aber Miknevičiūtės und Vogts Leistungen wurden vom Publikum sehr herzlich aufgenommen.

Nicht nur vollendet gesungen, auch wenn nicht gesanglich eingesetzt, war in Körpersprache und Mimik die Besorgnis des Freundes großartig vermittelnd Adrian Eröd als Frank. Eröd sang auch  Pierrots  „Mein Sehnen, mein Wähnen“.  Vielleicht war es die Akustik der DOB oder waren es kleine Nuancen, dass dieser – man verzeihe uns den Ausdruck – edle Schlager von Markus Brück dargebracht einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ.

Adrian Eröd als Frank Foto: Michael Pöhn

Das Verhältnis sui generis zwischen Paul und seiner Haushälterin  wäre mit Monika Bohinec als Brigitta ideal besetzt, aber etwas macht uns da bei ihrer Stimme Sorgen. Fehlt es an der richtigen Stimmpflege? Als  „Rusalkas“ Die fremde Fürstin „debütierte“ sie bei uns vor fast genau acht Jahren und wir setzten Hoffnung auf eine im Altfach  würdige Nachfolgerin ihrer berühmten Landsfrau Marjana Lipovšek.

Unser „Octavian“ Stephanie Houtzeel tritt in letzter Zeit in die zweite Reihe zurück. Nur manchmal war sie als Lucienne aus der Tanztruppe  herauszuhören, gebildet aus neuen Ensemblemitgliedern und einem Mitglied des Opernstudios.

Das zweite Bild hätte noch zu seinen Lebzeiten vom Komponisten etwas überarbeitet und gestrafft gehört. Der musikalische Leiter des Staatsopernorchesters Thomas Guggeis hatte durch seinen „Peter Grimes“ im Theater an der Wien schon Vorschusslorbeeren geerntet. Man macht bei diesem Stück Korngolds gern Dirigent und Orchester für eine zu große Lautstärke verantwortlich. Aber Korngold hat an vielen Stellen das Drama vor allem bei den Bläsern zu stark instrumentiert. Man bedenke, der mit dieser Oper früh zu Ruhm gekommene Komponist war zur Entstehungszeit erst dreiundzwanzig Jahre alt.

Szenenbild Bühne Wolfgang Gussmann Foto: Michael Pöhn

Es war die 26. Aufführung der Willy Decker-Inszenierung aus dem Jahr 2004, Bühne, Kostüme & Licht Wolfgang Gussmann. Durch die Sichteinschränkung der zwar blickmäßig günstigsten Plätze Galerie Seite rechts, Reihe 2 verlieren im zweiten Bild die Szenen mit der lustigen Tanzgesellschaft und die Prozession im dritten Bild an Wirkung.

In der „Ariadne“ werden wir jedes Mal sehr bewegt, wenn Ariadnes Todessehnsucht durch den Gott Bacchus in Lebensfreude verwandelt wird, wenn „das Leben erst anhebt“. Bei Paul geht ein gefährlicher Tagtraum in einen langen Nachttraum über, der jedoch heilend wirkt. Wenn Marietta, die nur äußerlich als die verstorbene Marie „erscheint“, noch einmal in Pauls Wohnung kommt, weil sie Schirm und Rosen vergessen hat, glaubt sie das als Omen für einen Neuanfang der Beziehung. Doch Paul lässt sie durch seinen Traum gewarnt ziehen. Im Leben gibt es eben leider auch Trugzeichen. Sein weiteres Schicksal lässt am Ende der Oper vorerst zurückgewonnenen Lebensmut erhoffen.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 12. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Kirill Petrenko Marlis Petersen

DVD-Rezension: Erich Wolfgang Korngold, „Die tote Stadt“, Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Kirill Petrenko

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