Foto: Wilfried Hösl (c)
Bayerische Staatsoper, München, 17. Juni 2018
Giuseppe Verdi, Rigoletto
Musikalische Leitung, Daniele Callegari
Inszenierung, Árpád Schilling
Chor, Stellario Fagone
Dramaturgie, Miron Hakenbeck
Abendspielleitung, Martha Münder
Il Duca di Mantova, Saimir Pirgu
Rigoletto, Markus Brück
Gilda, Rosa Feola
Sparafucile, Andrea Mastroni
Maddalena/Giovanna, Alisa Kolosova
Il Conte di Monterone, Kristof Klorek
Marullo, Andrea Borghini
Borsa Matteo, Manuel Günther
Il Conte di Ceprano, Christian Rieger
La Contessa di Ceprano, Paula Iancic
Usciere, Oleg Davydov
Paggio della Ducchessa, Alyona Abramowa
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Von Raphael Eckardt
Mit Giuseppe Verdis „Rigoletto“ steht in München seit einigen Jahren ein „Lückenfüller“ auf dem Opernspielplan, der bis dato mehr durch schlechte als durch rechte Kritiken auf sich aufmerksam zu machen wusste. Das ist nicht nur insofern verwunderlich, da Verdis racheschnaubendes Meisterwerk auf den meisten Bühnen dieser Welt ein absolutes Highlight im Opernkalender darstellt, sondern auch weil man in der bayerischen Landeshauptstadt seit geraumer Zeit an einer Produktion festhält, die eigentlich in keinem Punkt wirklich überzeugen kann.
Árpád Schillings Rigoletto ist ein kleiner anbiedernder Angestellter einer auffallend eleganten Firma, der mehr durch naiv als innovativ daherkommende Witze als durch starke persönliche Charakterisierung (nicht) überzeugen kann. Seine etwaigen, von Verdi konzipierten Schönheitsmängel wurden von Schilling (aus unbekannten, aber sehr fraglichen Gründen) höchstpersönlich oberflächlich „wegoperiert“, seine von Hass durchtriebenen Gefühle kommen mehr spartanisch als italo-typisch feurig-temperamentvoll hervor. Da wird es dann bezeichnenderweise fast schon zur Nebensache, dass der sonst sehr souveräne Markus Brück auch stimmlich einen biederen Rigoletto aufs Parkett wirft, der durch vollkommen fehlplatzierte Exaltations- und Eskalationslosigkeit einen armen Zustand absoluter Bewegungslosigkeit repräsentiert. Brück versieht seinen Titelhelden zwar gelegentlich mit überspitzt grimassierendem Pathos, sein Gesang verweilt aber konsequent in einem Stadium, das weder von den Katastrophen zu berichten weiß, die über Rigoletto hereinbrechen noch von Verdis fein konzipierten zwischenmenschlichen Konflikten. Das ist zwar musikalisch überaus bittere Kost, passt genau genommen aber glänzend zu Schillings Konzeption eines einfachen, temperamentlosen Angestellten.
Überhaupt scheint Schilling mit den gängigen Gepflogenheiten des modernen Regiehandwerks herzlich wenig am Hut zu haben. Anstatt auf Einfühlungsvermögen oder Psychologie zu setzen, gibt er sich als manieristischer Reduktionist, der die konzertante Aufführungspraxis zum höchsten Gut der Opernszene erhoben zu haben scheint. Dass nicht nur das Publikum, sondern auch Sänger und Choristen herzlich wenig mit Schillings Inszenierung anfangen können, macht sich spätestens dann bemerkbar, als das Publikum die Regie mit satten Buhrufen goutiert und dem ein oder anderen Musiker zeitgleich ein müdes Lächeln über die Wangen gleitet. Gerade bei einem Meisterwerk eines der mit Sicherheit größten Opernkomponisten aller Zeiten ist das unfassbar schade!
Am ehesten kann das noch Rosa Feola als widerspenstige Gilda kaschieren. Die italienische Sopranistin gibt eine Tochter Rigolettos zum besten, die vor allem durch stimmliches Einfühlungsvermögen besticht. Ohne überzogen donnernde Passagen ist Feola sichtlich um tonschön virtuose Passagen bemüht, die sie dann auch mit der richtigen Portion „Attacke“ und „Dynamik“ versieht. Da sind felsige Gebirgsketten zu erkennen, die immer wieder durch schroffe Konturen unsanft zu Tälern zusammenbrechen. Hier und da durchreißt ein wilder Fluss die Landschaft. Feola gibt sich als Kreatorin eines sagenumwobenen Bergpanoramas. Alles wirkt ein wenig unrund und ein wenig herb. Das mag auf den ersten Blick wenig begeisternd wirken, passt bei genauerem Hinsehen aber glänzend zu Verdis doch etwas „roher“ Partitur. Genau aus diesem Grund bietet ausgerechnet eine Italienerin in einer ihrer Repertoirerollen das singspielerisch mit Abstand stimmigste Porträt dieses doch sehr mauen Abends.
Leider hat sie da die Rechnung ohne ihre musikalischen Partner gemacht. Beispielsweise ohne Dirigent Daniele Callegari, der wohl den glänzenden Geistesblitz hatte, Verdis Opernepos mit einer derartig extremen Temporeduktion zu versehen, dass die Sänger, die an diesem Abend sicherlich zu den ärmsten Teilnehmern einer solchen Produktion gezählt werden durften, exorbitantes „Phrasencrashen“ in gerade melodisch unglaublich wertvollen Arien betreiben mussten.
Und nicht nur interpretatorisch war diese Darbietung in erschreckendem Maße (über)denkwürdig. Sonst für das Bayerische Staatsorchester eigentlich durchaus zutreffende Attribute wie Tonschönheit, Präzision und Ausdrucksvielfalt verschmelzen in Callegaris Dirigat zu einem faden sauren Brei, der sich ätzend durch die kompositorische Schönheit Verdis zu fressen beginnt. Ähnliches gilt für einen an diesem Abend doch sehr dürftigen Opernchor: Das raffiniert ausgearbeitete „Zizzi, zitti“-Geweben bei der Entführung Gildas kommt zwar mit ordentlicher „Rumpelei“ daher, ist aber kaum das gefordert leicht magische Piano-Paradies. Chaotisch fuchtelnd gelingt es Callegari mit beeindruckender Sicherheit, die immer wiederkehrenden und aufbauenden Gefühlswellen in Verdis Musik durch einen braunen Moorweiher zu ersetzen, der mehr nach faulen Eiern als nach blauem Meer duftet.
Da verwundert es dann kaum einen, dass ein wenig begeistertes Opernpublikum auf dem Weg ins Freie lauthals das sofortige Absetzen „einer furchtbaren Produktion“ fordert und ein schockierter Klassikliebhaber, der dieses denkwürdige Debakel neben meiner Wenigkeit erleben musste, sich mit den zynischen Worten verabschiedet: „Jetzt weint der Verdi selbst da oben, und ich hab keinen Schirm dabei. Hoffentlich gewinnen wir jetzt wenigstens gegen Mexiko…“ Das Ende des Abends ist hinreichend bekannt.
Raphael Eckardt, 18. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de