Auf den Punkt 24: Plácido Domingo sagt Tschüß in HH

Auf den Punkt 24: Plácido Domingo singt in der Elbphilharmonie,  Hamburg, 29. September 2024

Foto: Fotografías – archimadrid.es

Die wahrscheinlich erste Konzertkritik ohne Konzertbesuch.

Hamburger Camerata
Eugene Kohn / Dirigent

Plácido Domingo / Bariton;
Saioa Hernández / Sopran

Gala-Konzert „Danke Hamburg“ / Arien und Duette aus Plácido Domingos umfangreichen Repertoire

Elbphilharmonie, Großer Saal, 29. September 2024

von Jörn Schmidt

Andreas Schmidt, der Herausgeber von klassik-begeistert, denkt Tag und Nacht an seine Leser. Mittelbar also auch an seine Autoren. Freitagnacht erreichte mich sein Anruf, am Sonntag (29. September 2024, 20:00 Uhr) steige in der Elbphilharmonie das große Galakonzert „Danke Hamburg“ mit Plácido Domingo. Er habe gerade gesehen, es gebe jetzt (Stand 23:07 Uhr, 27. September 2024) noch eine Handvoll Tickets der Preiskategorie 2 für 440 EUR  pro Ticket. Wäre das nicht etwas für mich?

Zu viel ist zu viel, habe ich mir gedacht. Auch eingedenk der Uhrzeit, und wollte sagen: Geht’s noch? Aber ich halte viel auf meine Höflichkeit, ich schreibe hier ja auch eher mit feiner Klinge.  Ich habe also meinen Mund gehalten und ihm am nächsten Morgen statt dessen eine neue Folge meiner Kolumne hingeklatscht.

Zunächst hatte ich gedacht, Plácido Domingo arbeite an seiner Karriere als Dirigent. Denn Andreas Schmidt weiß, wie sehr ich altersweise Dirigenten schätze. Ich freue mich auf jedes Konzert von Herbert Blomstedt (97 Jahre) und erzähle sehr oft, wie sehr mich das letzte Konzert von Bernard Haitink in der Berliner Philharmonie bewegt hatte. Das war im Mai 2019, Haitink war seinerzeit 90 Jahre alt. Es gab Bruckner 7 und Mozarts letztes Klavierkonzert.

Domingo ist mit seinen 83 Jahren (Wikipedia nennt 1941 als Geburtsjahr) auf dem Weg ins beste Dirigentenalter. Möglicherweise ist der Star des Abends sogar schon im besten Dirigentenalter angekommen, wie mir Andreas noch zurief unter Verweis auf Stanley Sadie und Alison Latham, The Norton/Grove Concise Encyclopedia of Music (Macmillan, 1994), S. 213. Dort wird 1937 als Geburtsjahr angegeben. Sogar das Jahr 1934 wurde schon mal genannt, und zwar bei Karl Josef Kutsch und Leo Riemens, Das große Sängerlexikon (2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Francke 1982; in späteren Auflagen auf 1941 korrigiert). So oder so bestes Bruckner-Alter also. Vielleicht wagt Domingo sich an Bruckner, hatte ich gedacht. Deshalb der nächtliche Anruf von Andreas?

Da war ich mal wieder blauäugig, auf dem Programm stehen Arien und Duette aus Plácido Domingos umfangreichen Repertoire. Dirigent der Hamburger Camerata ist Eugene Kohn, Domingo ist vom Veranstalter, der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette / Neuland Concerts GmbH, als Tenor  [sic!] angekündigt. Ihm zur Seite gestellt ist Saioa Hernández (Sopran). Mich freut es sehr, dass Domingo immer noch auftritt. Das hält ihn sicher jung und fit, jedem Leibarzt schlägt da das Herz höher.

Elbphilharmonie, Großer Saal © Sebastian Madej

440 EUR für einen solches Galakonzert? Da wird bestimmt ein Teil der Einnahmen gespendet, habe ich gedacht. Da kann man  dann schon mal tief  in die Tasche greifen. Aber, Sie ahnen es, ich war schon wieder auf ganzer Linie blauäugig. Aber der Markt gibt dem Veranstalter recht, das Galakonzert wird mittlerweile auf der Website der Elbphilharmonie als ausverkauft angezeigt.

Als Rezensent erfordert Domingos Auftritt Fingerspitzengefühl. Es ist leicht, über einen Bariton dieses Alters  einen Verriss zu schreiben. Es ist doch klar, dass da nicht mehr alles rund läuft. Zum Vergleich: Jonas Kaufmann ist zarte 55 Jahre alt, und bereits da geht das jetzt los mit der Meckerei. Dazu können Sie hier bei klassik-begeistert so einiges lesen. Also hätte ich das Vergnügen gehabt, das Galakonzert zu besuchen, ich hätte es als Würdigung der ungeheuren Lebensleistung des Spaniers verstanden.

Warum habe ich mich also der Bitte von Andreas widersetzt? 440 EUR,  das zahle ich nur für Charity-Veranstaltungen. Und falls Sie jetzt denken: Ich säße doch an der Quelle, da bekommt man Pressekarten gratis. Das kann man so pauschal auch nicht unterschreiben. Die wenigen Male, die ich bei Dr. Goette nach Pressekarten gefragt habe, wurde ich nicht gehört. Gerade bei hochpreisigen Konzerten war das so. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Elbphilharmonie © Maxim Schulz

In der Elbphilharmonie hält man viel darauf, dass man ein Ort für alle sei. Das ist eine großartige Idee, immerhin steckt in dem Bau fast eine Milliarde Steuergeld von Hamburger Bürgerinnen und Bürgern. Da akzeptiert man auch mal, dass der eine oder andere Besucher auf die Konzert-Etikette pfeift. Die sich daraus entwickelnde Unruhe stört dann zwar andere Gäste. Aber das sei hinzunehmen, um niemanden auszuschließen. Argumentiert man zuweilen.

Aber wenn man so denkt, wie passt da das Pricing von 475 EUR je Karte für Preiskategorie 1? Rechnen Sie doch mal Ihren Kindern vor, dass der nächste Urlaub ausfällt, weil Sie mit Ihrer Partnerin  bei Plácido waren.

Jörn Schmidt, 28. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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