TOSCA ist ein Psychothriller

Giacomo Puccini, Tosca  Theater Freiburg, 4. Oktober 2024

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

Ganz großes Gefühlskino erlebe ich am Ende des ersten Aktes. Sowohl der Opernchor als auch der Extrachor des Theater Freiburg platzieren sich in den Rängen. Zusammen mit den Solisten auf der Bühne (Scarpia in schauerlicher Interaktion mit einem Kind) singen sie ein außerordentlich gewaltiges, höchst eindrucksvolles Te Deum, welches diesen ersten Akt grandios beendet.

Bravo!

Tosca
Musik von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach La Tosca von Victorien Sardou

Theater Freiburg, 4. Oktober 2024

von Kathrin Beyer

Leider ist diese Geschichte um Liebe, Eifersucht, Verrat, Machtmissbrauch, Verfolgung aus politischen Gründen, Folter und Tod so aktuell wie eh und je.

Ich stelle mir immer vor, dass dieser Stoff ziemlich gut in die Moderne geholt werden kann, ohne unbotmäßigen Eingriff in das ursprüngliche Werk, da die Steilvorlagen reichlich vorhanden sind. Schauen wir mal.

Bevor die Musik startet, sind in der Stille Kinder auf der Bühne, rennen herum, klatschen sich ab. Es sind ihrer drei, ein vierter steht still am Rand. Cavaradossi, Tosca, Scarpia und Angelotti in jung? Die Vermutung liegt nahe. Sie scheinen sich gut zu verstehen. Einer von ihnen wird später richtig böse sein, ein Teufel in Menschengestalt.

Geräusche sind zu hören, es klingt wie Herzklopfen.

Die Musik setzt ein und die Kirche des ersten Aktes ist, ja was eigentlich?

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

Ein sehr heller, nach hinten enger werdender Raum, mit einem sehr, sehr kleinen Altar, Balkonen, die über Leitern zu erreichen sind, verhüllten Statuen, Fahnen von der Decke hängend. Ich lese, dass es ein politisch subversives Künstleratelier sein soll, Cavaradossis Seelenraum, der Ort seines Schaffens, Fühlens und politischen Denkens. Also… keine Kirche. Ganz ehrlich, ich wäre nie darauf gekommen, dies alles in diesem Bühnenbild zu erkennen.

Scarpias Büro, im zweiten Akt… ich sehe einen düsteren Raum, auf dem Fußboden ein Holzgitter, auf dem die Akteure immer wieder balancieren oder in die Zwischenräume hinabklettern. Sehr viele Pflanzen beherrschen das Bild. Ich überlege, warum der Boden wohl so verletzungsträchtig sein muss. Es erschließt sich mir nicht. Ich weiß nur, dass auch dies kein Büro ist und lese dazu, dass es sich um einen finsteren Morast mit Schlingpflanzen handelt, „…in dem sich die Menschen über ein fragiles Gitter zwischen unsichtbaren Abgründen bewegen, der sie jeden Moment verschlingen kann.“ Zugegeben, ich hätte auf diese Deutung kommen können, bin ich aber nicht.

Die Engelsburg… ich zitiere aus dem Programm: “ Im dritten Akt folgt schließlich alles der Auflösung aller Grenzen und Wahrheiten von Leben und Tod, sei es gespielt oder echt.

Alles fließt in Toscas Traum aus dem Zwischenreich, in dem sich aus der Dystropie ein zartes Hoffen schälen will…“

Lieber Gott, denke ich, warum so kompliziert…? Ich sehe ein mit einer Lichterkette erhelltes Boot, in dem Tosca im Brautkleid ihren Cavaradossi abholen möchte (in diesem Boot wird er später erschossen), eine sehr große Hütte und eine umgestürzte Ananaspflanze. Ich sehe keine Engelsburg, von der kann sie sich also schon mal nicht in den Tod stürzen…

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

Es gibt sicher viele Menschen, die diese ganzen Assoziationen herstellen können, ich gehöre nicht zu ihnen. Und das ist anstrengend.

Die Kostüme sind manchmal irritierend, stören mich aber nicht.

So kommt Tosca im ersten Akt mit schwarzen Hotpants, Trachtenbluse und schwarzen Stiefeln daher, auf dem Rücken einen großen Wanderrucksack, in dem sie eine große Madonnenfigur in die “ Nicht-Kirche“ trägt.

Scarpia, der Teufel in Menschengestalt, trägt rot, die Farbe des Blutes und des Teufels. In manchen Szenen rot-schwarz. Satanisch passend!

Cavaradossi ist in Hose und Hemd gewandet, sehr schlicht.

Sehr verwirrt hat mich das Outfit Mesners. Er kam in kurzen schwarzen Shorts daher, mit Kniestrümpfen, schwarzen Stiefeletten und Glitzeroberteil. Dies und sein Auftreten legt die Annahme nah, dass er homosexuell sei. Warum dieses Klischee des schwuchteligen overdresseden Schwulen? Möglich allerdings, dass ich auch das missverstehe.

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

Interessant ist, dass die Helfer Scarpias zunächst als Katzen? oder Schweine? maskiert sind. Meine Begleitung ist für Katzen, ich entscheide mich für Schweine.

Die Inszenierung, unter der Regie von Ulrike Schwab, ist ähnlich wie das Bühnenbild; so manches Mal verwirrend und der Geschichte nicht immer zuträglich. In jeder Szene schauen Kinder zu oder gehen über die Bühne. Ich empfinde das als störend.

Jener Mesner, der betont weiblich agiert und sich auch mal auf dem Boden herumwälzt, warum? Braucht es hier tatsächlich eine komische Komponente? Nein!

Die Beziehung zwischen Tosca und Cavaradossi fühlt sich beim Zuschauen nicht als große Liebe an, ihr Umgang miteinander ist eher kühl.

Tosca ersticht Scarpia nicht, sie erwürgt ihn, woher kommt das Blut, das an ihren Händen klebt?

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

 Warum kommt jemand (Angelottis Schwester) zum Beten in ein politisch subversives Künstleratelier, das keine Kirche ist…?

Das sind einige der Ungereimtheiten, die sich mir nicht erschließen.

Es ist verworren, wenn die Handlungen auf der Bühne nicht zum Libretto passen.

Der Gesang allerdings ist absolut beeindruckend und entschädigt mich für (fast) alles.

Lucie Peyramaure als Tosca bringt das Publikum dazu, spontanen Zwischenapplaus zu spenden. Das finde ich zwar immer etwas störend, zeigt aber letztendlich, dass sie sich in die Herzen der Zuhörer singt. Ihr Sopran überstrahlt scheinbar mühelos alles. Er ist klar, warm oder gellend (je nach Situation) und wunderbar ausdrucksstark. Wunderschön! Ihr mimisches Spiel ist mir allerdings etwas zu salopp.

Jenish  Ysmanov, seines Zeichens Cavaradossi ist… Wow! Schon seine ersten Töne ziehen mich in seinen Bann. Seine Tenorstimme ist weich, samtig, klar, kraftvoll und leidenschaftlich. Sie weist ein helles, klares Timbre auf. Seine Arie“ E lucevan le stelle“ gelingt so traurig-schön, dass ich für einen Moment das Atmen vergesse. Auch hier gilt: Er bringt das Publikum dazu, spontan zu applaudieren.

Die Duette beider sind gesanglich sehr ergreifend und schlösse ich die Augen, nähme ich wohl eine große Intensität wahr. Ich behalte die Augen offen und was ich sehe, stimmt nicht so ganz mit dem, was ich höre, überein.

Tosca, Theater Freiburg © Britt Schilling

Juan Orozco gibt den Scarpia. Sein markanter Bariton, sehr tief gefärbt, sonor, dominant und rauchig, passt in diese Rolle. Es ist ein grausames Brodeln, das aus seiner Kehle kommt und alle erzittern lässt.

Auch schauspielerisch ist er in dieser Bösewichtrolle eine gute Wahl.

Yunus Schahinger als Mesner hat noch Luft nach oben. Sein schöner Bass, samtig und tief kommt nicht so richtig zur Geltung. Schade! Über seine Rolle schrieb ich schon. Die mimische Auslegung seiner Figur verwirrt mich, aber der Fairness halber sei erwähnt, dass er dies schauspielerisch ziemlich gut meistert.

Jin Seok Lee ist ein eindrucksvoller Angelotti, sowohl in Darstellung und Gesang. Hier ist der Bass mal nicht der Bösewicht… Seine Stimme ist sehr voluminös, satt und erdig.

Auch alle anderen Rollenbesetzungen haben mir gut gefallen.

Ganz großes Gefühlskino erlebe ich am Ende des ersten Aktes. Sowohl der Opernchor als auch der Extrachor des Theater Freiburg platzieren sich in den Rängen. Zusammen mit den Solisten auf der Bühne (Scarpia in schauerlicher Interaktion mit einem Kind) singen sie ein außerordentlich gewaltiges, höchst eindrucksvolles Te Deum, welches diesen ersten Akt grandios beendet.

Bravo!

André de Ridder und sein Philharmonisches Orchester Freiburg setzen die Dramatik und Tragik der Musik voll um. Sie geben den Sängern den Raum, ihre Stimme zu entfalten, nie wird ein Sänger durch die Wucht der Musik übertönt. Die Vielfalt der Gefühle und Ereignisse wird unterstrichen oder dramatisiert. So wird aus Angst Panik…

Ich nehme Sie mit zum Ende, der mir sehr gefällt.

Scarpia ist tot.

Cavaradossi ist tot.

Tosca wird, als Scarpias Mörderin, von dessen Helfershelfern gesucht.

Sie geht von der Bühne, langsam und still. Hinter der Bühne stehen Scarpia und Cavaradossi, jeweils mit ihrem jungen Ich an der Hand.

Tosca geht auf das kleine, allein dort stehende Mädchen zu, gibt ihm die Hand.

Auch sie ist in der Welt der Toten angekommen.

Im Anschluss brandet tosender Beifall auf. Das Freiburger Publikum zeigt sich begeistert.

Und dank des außergewöhnlich tollen Gesangs gehe ich sehr glücklich heim, auch wenn das mit dem „ziemlich gut in die Moderne holen“ nicht ganz so gut geklappt hat. Für meinen Geschmack, wohlgemerkt!

Kathrin Beyer, 5. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Don Carlos, Oper in vier Akten Theater Freiburg, 20. Mai 2024

Giacomo Puccini, Tosca, Libretto Luigi Illica Arena di Verona, 16. August 2024

Giacomo Puccini, Tosca München, 24. Juli 2024

Ein Gedanke zu „Giacomo Puccini, Tosca
Theater Freiburg, 4. Oktober 2024“

  1. Nach dieser Beschreibung der Dinge in Freiburg kann man, ohne übertreiben zu müssen, behaupten, dort hat man das schlechte Niveau in der Wiener Staatsoper um noch Etliches unterboten: Statt im 3. Keller im Wien, spielt sich Tosca offenbar im 4. Keller in Freiburg ab! Ja, ja, egal wie schlimm die Verhältnisse sind, kann es immer noch schlimmer werden…

    Sheryl Cupps

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