Die English National Opera brilliert mit Donizettis “Elisir“

Gaetano Donizetti, The Elixir of Love  ENO im London Coliseum, 15. November 2024 Premiere

ENO Elixir Foto: Dr. Ritterband

Die bereits auf das späte 19. Jahrhundert zurückgehende English National Opera ENO bringt Opern grundsätzlich in englischer Übersetzung – und glänzt stets mit originellen, intelligent durchdachten Inszenierungen, die sich vom allzu oft vermurksten kontinentalen Regietheater stets wohltuend abheben.

So auch in der Neuinszenierung von Donizettis Elisir d’amore (hier: The Elixir of Love) – durch den weltweit tätigen englischen Regisseur Harry Fehr vom ursprünglichen baskischen Dorf um 1815 in ein etwas heruntergekommenes englisches Landhaus während des zweiten Weltkriegs transferiert. Im Unterschied zum Original, das unter dem freien südlichen Himmel stattfindet, ist hier die Handlung in die große Halle des Landhauses verlegt worden.

Gaetano Donizetti, The Elixir of Love (L’elisir d’amore)
Libretto: Felice Romani, englische Übersetzung: Amanda Holden

Dirigentin: Teresa Rivieiro Böhm

Regie: Harry Fehr
Bühne: Nicky Shaw
Licht: Mark Jonathan

Chor und Orchester der English National Opera
Chormeister: Matthew Quinn

English National Opera, ENO im London Coliseum, 15. November 2024 Premiere

von Dr. Charles E. Ritterband

Der letzte Krieg löst bei den Briten (besonders angesichts der gegenwärtigen Misere) nach wie vor nostalgisch-heroische Reflexe und ungebrochenen Nationalstolz aus, und alles was damit verbunden wird, ist „vintage“ und damit höchst begehrt. So löste auch diese so verblüffend völlig andere „Elisir“-Inszenierung beim Publikum Begeisterung aus – die Dorfbewohner („Rustici“ wie sie der Quacksalber Dulcamara herablassend tituliert) sind hier junge Frauen der WLA (Woman’s Land Army) in schlabbriger Arbeitsuniform, die zur Ernte-Arbeit herangezogen wurden, weil die Männer in die Armee eingerückt waren.

Der eitle Offizier Belcore, der doch die schöne Gutsbesitzerin Adina um ein Haar gekriegt hätte, wirde in Fehrs Inszenierung zum Oberstleutnant der Royal Air Force in strammer blauer Uniform. Der bis über beide Ohren in Adina verliebte Nemorino hingegen ist Pazifist (Wehrdienstverweigerer laut Programmheft), der sich über die Eitelkeit des Offiziers lustig macht und bekanntlich erst zum von den Frauen begehrten Helden wird, als sein Onkel stirbt und ihm ein Vermögen hinterlässt.

WLA (Woman’s Land Army)

Die Umsetzung in eine so ganz andere Epoche und in einen völlig anderen historischen Kontext funktioniert bestens – zumal das „Elixir“ in englischer Sprache gesungen wird. Humor und Pointen schlagen im großartigen London Coliseum mindestens so wirksam ein wie im italienischen Original, nur ist hier alles erfrischend anders!

Auch die Form ist originell: Wir sehen, so wird dem Zuschauer suggeriert, kein Theater, sondern eine „Sitcom“, ein Fernsehdrama der fiktiven „ENOTV“ und der auf den Vorhang projizierte Rahmen ist denn auch ein Fernsehgerät aus den 60er oder 70er Jahren. Das Programmheft zeigt Originalfotos und Gemälde aus dem Zweiten Weltkrieg, mit der Original WLA in Aktion und einem Propagandaposter mit einer strahlenden, gesunden jungen Frau inmitten von Heugarben und unter der Parole: „Come and help with the Victory Harvest! You are needed in the fields“ (Komm und hilf mit der Sieges-Ernte! Du wirst auf den  Feldern gebraucht!). 80 000 Frauen („land girls“) – teils auf freiwilliger Basis, ab 1941 allerdings wurden sie zumeist einberufen – nahmen an dieser erfolgreichen nationalen Anbauschlacht teil. Die WLA wurde bereits 1917, im Ersten Weltkrieg, ins Leben gerufen, abgeschafft und 1939 neu formiert.

ENO Elixir Foto: Dr. Ritterband
Erstklassige Gesangsleistungen

Nicht nur szenisch, auch musikalisch ist diese Inszenierung ein Hochgenuss. Die Dirigentin Teresa Rivieiro Böhm lenkt das ENO-Orchester mit italienischem Temperament, wobei die Lautstärke (auf Kosten der Sänger) bisweilen etwas zu prononciert wirkt. Thomas Atkins ist ein subtiler Tenor, nicht virtuos und mit schmachtendem Schmalz wie anderswo in dieser Rolle, sondern sehr fein und wohlklingend. Seine Adina (Rhian Lois) hingegen, temperamentvoll-kapriziös glänzt mit kraftvoll-melodiöser Stimme und herrlich präzisen Koloraturen. Ihre Hauptarie „Prendi, per me sei libero“ war unbestreitbar der musikalische Glanzpunkt des Abends. Die beiden komischen Figuren Dulcamara (Brandon Cedel) und Belcore (Dan D’Sousa) sorgten als Kontrast zu den romantischen Protagonisten für humorvolle Pointen.

Dr. Charles E.  Ritterband, 15. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Benjamin Britten, The Turn of the Screw ENO English National Opera, 11. Oktober 2024

W.A. Mozart, The Magic Flute, English National Opera ENO, London Coliseum, englische Fassung, 3. Wiederaufnahme 6. März 2024

W.S. Gilbert / Sir Arthur Sullivan, Iolanthe English National Opera ENO, 7. Oktober 2023

CD/Blu-ray: Donizetti, L’elisir d’amore, Royal Opera House Covent Garden klassik-begeistert.de, 11. Oktober 2024

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