Tetzlaff Quartett © Giorgia Bertazzi
Im Rahmen seines 30-jährigen Bühnenjubiläums gastiert das Tetzlaff Quartett auch in Köln.
Kölner Philharmonie, 26. November 2024
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Streichquartett cis-Moll op. 131
Jörg Widmann (*1973) – Streichquartett Nr. 2, „Choralquartett“ (2003, rev. 2006)
Johannes Brahms (1833-1897) – Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 51,2
Tetzlaff Quartett
Christian Tetzlaff, Violine; Elisabeth Kufferath, Violine; Hanna Weinmeister, Viola; Tanja Tetzlaff, Violoncello
von Brian Cooper, Bonn
Die Tradition gebietet, dass der späte Beethoven nach der Pause gespielt wird. Nicht so an diesem Abend, an dem das Tetzlaff Quartett mit dem op. 131 begann. Und das war nicht alles, was an diesem Abend außergewöhnlich werden sollte. Schon die Aufstellung ist anders als gewohnt: Die namensgebenden Geschwister Tetzlaff sitzen nebeneinander, Cellistin Tanja also an zweiter Stelle, wo sonst die zweite Geige sitzt. Die wiederum sitzt dem Primarius gegenüber, also außen, was zu klanglich interessanten Eindrücken führen kann.
Überhaupt, der Klang: Es geht im Spiel dieses Quartetts unheimlich homogen zu, was langjährige Besucherinnen und Besucher des Kammermusikfestivals „Spannungen“ im Kraftwerk Heimbach bestätigen werden, wo die Mitglieder des Quartetts seit Ewigkeiten zum festen Stamm des – man kann es nicht anders sagen – großen Freundeskreises gehören, der alljährlich eine Woche lang im Sommer am Rursee in der Eifel zusammenkommt.
Normalerweise sind Künstlerbiographien sterbenslangweilig, aber im Programmheft findet sich ein Satz, der aufhorchen lässt und an diesem Abend in Gänze bestätigt wurde: „Das Ensemble setzt Maßstäbe mit seiner sensiblen Musikalität und ausgefeilten Klangkultur, die insbesondere aus ihrer Freundschaft und Verbundenheit resultieren.“ Das ist ebenso wunderbar wie wahr: Trotz erfolgreicher Solo- bzw. Orchesterkarrieren finden die drei Damen und der Primarius immer wieder zusammen, um Kammermusik zu machen. Und das seit nunmehr 30 Jahren.
Zurück zu Beethoven: Die 40 Minuten vergehen im Flug, und man vergisst relativ schnell, dass der Stuhl des Primarius ein wenig altersschwach unter den ausladenden Bewegungen des Geigers knarzt. Jede Note ist mit Leben gefüllt, die Luft vibriert in der Höhe, es ist intensiv, und die unisono-Stellen (insbesondere zwischen Violine 1 und 2 sowie zwischen Viola und Cello) begeistern schlichtweg. Das Andante ist tatsächlich molto cantabile, also sehr gesanglich, das Presto herrlich verspielt, und als wir im letzten Abschnitt des im Grunde einsätzigen Werks anlangen, stellen wir fest: Es ist ein überaus zugänglicher später Beethoven, dem das Quartett zwar Ehre erweist, jedoch ohne in allzu viel Ehrfurcht zu verstauben. So möchte man das öfter hören.
Nach der Pause folgt ein kurzes einsätziges Werk des Zeitgenossen Jörg Widmann, den ich auch nach diesem Konzert weiterhin für den interessantesten lebenden Komponisten neben John Adams halte. Seine Musik strengt nämlich nicht an, wenngleich sie einen intellektuell fordert; man kann ihr folgen, sie verstehen, sie ist originell und auf höchstem Niveau an Tonkunst komponiert. Genuss und Verstand gehen Hand in Hand, und für den unbeabsichtigten Reim entschuldige ich mich umgehend.
Das „Choralquartett“ genannte zweite Streichquartett des gebürtigen Münchners kommt aus der Stille, lebt von der Stille und kehrt zur Stille zurück. Die unwiderstehliche Satzbezeichnung lautet „Sehr langsam, tastend, suchend“. Leiseste Choralfetzen, die auf Haydns Sieben letzte Worte zurückgehen, aber auch Anklänge an Bach, den großen Choralkomponisten, sein könnten, wechseln sich ab mit Geräuschen, die daher rühren, dass die Bögen nicht nur auf den Saiten streichen, sondern auch mal auf den Korpus geschlagen werden. Natürlich ahnen nur die wenigsten Menschen, wann so ein Stück vorbei ist, und so war die Stille hinterher anrührend und gewissermaßen Teil dieses Choralquartetts.
Überhaupt, das Publikum im Saal: Wie so oft beim Quartettabend war es sehr diszipliniert und auch der Moderne gegenüber aufgeschlossen, wie man dem Applaus entnehmen konnte. Man dachte einmal mehr an Goethes Bonmot, beim Streichquartett höre er, wie „vier vernünftige Leute sich miteinander unterhalten“, und die vier Leute wurden nicht durch rachitische Auswürfe oder lästiges Plappern unterbrochen. Auch das sollte mal gesagt werden.
Das zweite Brahms-Quartett bestach durch einen besonders schlanken Sound, der jedoch keineswegs karg war. Hier ging es durchaus auch mal süffig zur Sache, etwa in der Durchführung des Andante moderato, Kopfsatz und Scherzo waren voller Charme, das Scherzo klang elfenhaft wie ein Mendelssohn („gechillte Elfen“, notierte ich), und im Finalsatz beeindruckte der helle Ton des Primarius. Wäre dieser Brahms ein Wein, hätte er nicht die übliche Schwere einer Wuchtbrumme von 15% Alkoholgehalt, sondern bestäche vielmehr durch eine elf- oder zwölfeinhalbprozentige „Trinkigkeit“ – ein amüsantes Wort, das ich in Wein-Nerd-Kreisen gehört habe: Man will sogleich ein zweites Glas.
Schönster Haydn folgte als Zugabe, die Christian Tetzlaff mit den Worten ankündigte, weil man so viel Leises und Langsames gespielt habe, gebe man… ein leises und langsames Werk zu. (Es war das Adagio aus dem Streichquartett f-Moll op. 20,5.)
Gratulation zum 30-jährigen Bühnenjubiläum, liebes Tetzlaff Quartett.
„Das war ein großer Abend“, hätte mein Vater wohl gesagt, der jahrzehntelang das Philharmonie-Abo mit dem schönen Namen „Quartetto“ hatte.
Dr. Brian Cooper, 27. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at