Dirigentinnen-Dépèche – Han-Na Chang hat mir geschrieben: Wie Brahms geht – oder: Vier alte Bekannte

Symphoniker Hamburg, Han-Na Chang  Laeiszhalle, Großer Saal, 1. Dezember 2024 

Foto: Han-Na Chang © KiranWest

Symphoniker Hamburg

Han-Na Chang / Dirigentin
Veronika Eberle / Violine

Weber / Ouvertüre zu „Der Freischütz“
Mendelssohn Bartholdy / Violinkonzert e-Moll
Brahms / Sinfonie Nr. 4

Laeiszhalle, Großer Saal, 1. Dezember 2024 


von Harald Nicolas Stazol

Heute, liebe Leute, beginnen wir mal GANZ anders. Heute stelle ich meine Korrespondenz mit der Dirigentin des 1. Advents, Han-Na Chang voran, meiner ersten Bekannten, hörte ich sie doch erst letztes Mal, „sie strahlt, sie strahlt,“ – „she shines and shines“ übersetzte sie meine Accolade, und dankte mir, und schrieb. „You are in the Tradition of German Romantics“, und von da an waren wir Freunde.
Wer sollte denn sonst kompetenter sein, da haben die Symphoniker Hamburg die Ouvertüre des „Freischütz“ gerade gegeben, und schon steht die Lady, die bei Weber „hinschmilzt“ aus der Oper neulich, in der 10. Reihe getroffen, die zweite Bekannte, „So sieht man sich wieder?“ – „Sie schon wieder!!!“ Und nun geht es also los, und wir müssen die Aufführung des Staatsorchesters im Kopfe haben, und ja, die Frage, wer war besser bei Weber, ich kann sie nicht beantworten. Beide streben nach dem Hohen, Höchsten, und beide scheitern. Doch das mag verzeihlich sein. Denn an Brahms scheitern außer Carlos Kleiber alle.

Symphoniker Hamburg © Kiran West

Aber es gibt auch ein schönes Scheitern. Und lassen wir doch der Dirigentin selbst, wiederum in diesem raffinierten asymmetrischen Wickelfrack, Yamamoto, je vous le jure, nun, dies schreibt sie mir zum größten Sohne Hamburgs, gleich nach Helmut Schmidt, oder Olaf Scholz…

„ICH LIEBE Brahms – die Schwere seiner Gefühle, sein Leben, sein äußeres und inneres Leben, die Schwere seines Herzens und seines Geistes – Er ist in jeder Note dieser Sinfonie zu spüren. Natürlich!

Und ich frage mich immer, warum er nach Op. 98 keine weitere Sinfonie geschrieben hat – er lebte noch 13 Jahre!! Aber dann sehe ich seine Anweisung für den 3. Satz „Allegro giocoso“ und besonders für den letzten Satz „Allegro energico e passionato“ und ich habe das Gefühl, dass Brahms sein ganzes Leben in diese letzte Sinfonie gesteckt hat. Solche Worte sind bei Brahms so selten!! Normalerweise weist er die Interpreten an, „poco forte“ oder „ma non troppo“ zu spielen, ABER NICHT in der 4. Sinfonie!! Er will energico e passionato!! und er ist die Musik, sein Leben ist die Musik, sein Temperament und seine tiefe, tiefe Leidenschaft – Johannes selbst ist die Musik… und dieses katastrophale Ende ohne Ritardando und ohne Fermate – einfach das Ende. Keine Sentimentalitätät, nur reines Gefühl. Und der herrliche zweite Satz!

Veronika Eberle (c) Felix Broede

Der zweite Satz voller Sonnenschein und Schatten, intimer innerer Gefühle und Ausbrüche von großer Schönheit…

Er lässt mich denken: Das ist TOLLE MUSIK.

So raffiniert, aber auch so menschlich. So wahr und ehrlich!!!

PS: Oh, und ich liebe die unglaublich geniale Logik von Brahms so sehr. Solch eine Beherrschung der Form und auch der „Brahms’sche“ Klang, den er mit einem Orchester „klassischer“ Größe kreiert!!

Der Durchführungsteil des ersten Satzes raubt mir jedes Mal den Atem! Solch eine unerwartete Erfindung, und doch ist jede Variation des Motivs so organisch und einfach Musik – und die Passacaglia ist einfach Kunst ein Wunder!!!!!

Und Brahms ist in Wirklichkeit alles Kammermusik… Wunderschöne Kammermusik des Lebens…“

Soweit die Maestra, meine Zeilen fanden sie am Airport Kopenhagen.

Wussten Sie, dass Camille Saint-Saëns 3 Violinkonzerte geschrieben hat? Nein? Das ist aber schade!

Auftritt Veronika Eberle, die ich seit meinen SPIEGEL Zeiten begleite  https://www.spiegel.de/kultur/musik/london-philharmonic-orchestra-in-der-elbphilharmonie-asche-rieselt-ueber-unser-aller-haupt-a-ce6e96a6-7644-45b6-a090-ae7d9f8c0f32?sara_ref=re-so-app-sh , und deren strukturierte Orgie an Tönen in allen Sätzen – unvergesslich die Doppelgriffe prestissimo, die sich, man kann mir widersprechen, in jedem der phantastique Sätze, irgendwann immer niederschlagen.

Es ist mir ein Rätsel, wie ein Franzose sich zu derart „theutschem Gemüth“ aufwirft, um so „fin de siècle“ zu landen, es versteht sich, dass „La Eberle“ zugleich in großer Taft Robe erscheint, was nicht davon ablenken kann, dass sie sehr, sehr, sehr oft mit geschlossenen Augen spielt. Und wenn nicht, nun völlig in den Augen Han-Nas, die wiederum mit diesem unnachahmlichen, anfeuernden Gesichtsausdruck sich über die Bratschen beugt, genau, wie nach der Pause im Vierten Satz der Vierten des Johannes Brahms, der Vierten Altbekannten, dort, wo im ewigwährenden Kanon das Erflehen des Segens Gottes hörbar sein mag – as Stazol heard it – oder, superschlicht:

Ein Wahnsinnsgroove.

Harald Nicolas Stazol, 6. Dezember 2024,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hamburger Symphoniker, Han-Na Chang Dirigentin, Mischa Maisky Violoncello Elbphilharmonie, 5. März 2024

Auf den Punkt 35: Brahms 4 kann jeder? Laeiszhalle, Großer Saal, 1. Dezember 2024

4. Symphoniekonzert, Gil Shaham, Violine Han-Na Chang, Dirigentin Symphoniker Hamburg Laeiszhalle Hamburg, 10. Dezember 2023

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