© Marco Borrelli
Alessandro Stradella: San Giovanni Battista. Oratorium,
Salzburger Festspiele, Stiftung Mozarteum, Großer Saal, 26. Juli 2018
Collegium 1704
Giulia Semenzato, Salomè
Lucile Richardot, Herodias
Christophe Dumaux, Johannes der Täufer
Krystian Adam, Berater
Krešimir Stražanac, Herodes
Václav Luks, Dirigent
von Thomas Genser
Wie die Musik früherer Epochen ursprünglich geklungen hat, wird man wohl niemals zur Gänze nachvollziehen können. Einen authentischen Annäherungsversuch bietet aber das Collegium 1704. Während dieses Jahr in der Salzburger Felsenreitschule Strauss’ Salome über die Bühne geht, bringt das tschechische Orchester im Mozarteum die gleiche Geschichte in barockem Kleid zur Aufführung. Stradellas Oratorium San Giovanni Battista überzeugt durch hervorragende Solisten und das fesselnde Dirigat von Václav Luks.
Der Komponist Alessandro Stradella wird selten im Konzert gespielt. Obwohl zu Lebzeiten bekannt, konnte sich der Italiener keinen Fixplatz im heutigen Standardrepertoire sichern – dazu trägt vermutlich sein wildes Image bei. Als Lebemann und Schürzenjäger verschrien, wurde der Komponist, Sänger und Geiger aus Mittelitalien 1682 auf offener Straße ermordet. Im 19. Jahrhundert griffen einige Komponisten Stradellas Geschichte auf und behandelten sein Leben in Opern.
San Giovanni Battista strotz vor Energie und Facettenreichtum. Countertenor Christophe Dumaux übernimmt die Titelrolle. Der Franzose war bereits des Öfteren in Salzburg zu Gast, so etwa 2012 an der Seite von Cecilia Bartoli, in der vergangenen Spielzeit debütierte er an den Staatsopern in Wien und Hamburg. Seine Stimme klingt anfangs eine Spur zu dünn, legt im Laufe des Abends aber zu. Helle Tongebung und wohliges Vibrato zeichnen seinen Vortrag aus. In Io per me non cangerei schwelgt er in Sehnsucht, während der abschließende Todesschrei (…non dal mio cor temuta!) durch Mark und Bein geht.
Auch wenn Salome den Tod des Täufers fordert, ist Herodes verantwortlich für dessen Hinrichtung: In die Rolle des Königs schlüpft der Kroate Krešimir Stražanac. Der Bassbariton liefert mit Sicherheit die stärkste Leistung an diesem Abend: Mal gibt er den gebieterischen Vater, dann den gewaltigen Herrscher, dessen Macht in jedem Ton hörbar wird. Sein voluminöses Organ besitzt sowohl Druck in der Tiefe als auch Strahlkraft in der Höhe. Schweißtreibend ist Stražanacs Körpereinsatz und die Mimik. Nur im letzten Duett mit Salome – gesungen von Giulia Semenzato – wird er überschattet.
Die junge Sopranistin aus Italien ist viel beschäftigt in Wien und Mailand und gibt an diesem Abend ihr Salzburg-Debüt. Ihre Stimme ist agil und lebhaft, die Spitzentöne stechen prägnant hervor. Semenzato hat Freude und das hört man auch! Schicksalshafte Klänge vom Orchester begleiten sie, als sie den Kopf des Johannes fordert (…da tua bontade altro non bramo). Das Rezitativ Deh, che più tardi a consolar verwandelt sie mit eindrucksvollen Melismen in eine waschechte Arie. Beschwingt wankt sie hin und her, das finale sù coronatemi klingt wild und verrrückt. Große Leistung!
Weniger im Rampenlicht steht Mezzosopranistin Lucile Richardot: Ihre Herodias, Mutter der Salome, ist eine unauffällige, kleine Partie. Die Französin ist eine Spätberufene: Bis zu ihrem 27. Lebensjahr war sie Journalistin, dann folgten Ausbildungen in Alter Musik und Gesang in Paris. Mit gedämpfter Klangfarbe und einem gewissen Maß an Zurückhaltung singt sie ihre Rolle, kann bei Bedarf aber auch richtig Stoff geben, wie sie in Figlia, se un gran tesoro unter Beweis stellt. Ansonsten liefert sie bei in einer Handvoll Chorstellen ein solides Fundament.
Ebenso agiert Krystian Adam: In der kleinen Rolle des königlichen Beraters vermittelt der Tenor zwischen den Charakteren. Vor allem zwischen Johannes dem Täufer und König Herodes steht der gebürtige Pole sowohl stimmlich als auch inhaltlich. Vergangenes Jahr debütierte er als Orfeo unter Gardiner in Salzburg. Gefühlvoll setzt er seine Stimme über einem glänzenden Cembaloteppich ein (Invotto Herode, che sull’ampia fronte). So gut es in einer konzertanten Aufführung geht, versucht er seine Rolle auch schauspielerisch auszufüllen. Die Arie Anco il sol fuor dell’usato, kommt mit viel Druck daher. Gerne mehr davon!
Das Collegium 1704 liefert zurückhaltende Begleitung, bedient sich stellenweise aber eines sinfonisch-solistischen Gestus. Die stark besetzten Streicher wechseln ständig zwischen sitzender und stehender Spielposition, was dem Vortrag eine ungeheure Dynamik einflößt. Orgel, Cembalo, Cello, Fagott und Theorbe bringen dazu Generalbass-Linien. In der Mitte steht Václav Luks, der die Musik mit starker Hand und ständigem Lächeln im Gesicht zusammenhält.
Thomas Genser, 26. Juli 2018,
für klassik-begeistert.de