5. Philharmonisches Konzert „Jubelklänge“
Edward Elgar, Konzert für Violine und Orchester h-Moll op. 61
Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“
Frank Peter Zimmermann Violine
Marko Letonja Dirigent
Bremer Philharmoniker
Bremer Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 13. Januar 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Edward Elgars Violinkonzert, auf CD eingespielt vom damals noch nicht besonders exzentrisch auftretenden Nigel Kennedy, hat mich bereits anno 1985 auf Anhieb fasziniert.
Jetzt, 40 Jahre später, konnte ich das Werk endlich erstmalig live erleben. Und meine Erwartungen sind ziemlich hoch: Werden die in großer Besetzung unter ihrem Chefdirigenten Marko Letonja angetretenen Bremer Philharmoniker, wird Solist Frank Peter Zimmermann erneut diesen intensiven Flash von damals bei mir auslösen können?
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Meine möglichen diesbezüglichen Befürchtungen sind indes schon nach wenigen Takten vergessen. Das Orchester präsentiert die lange Einleitung klassisch pompös, geradezu britisch imperial. Die ungewohnte Aufstellung – die sechs Kontrabässe sind mittig hinter den Bläsern positioniert – sorgt dabei für einen besonders satten, kompakten Sound. Mit dem passend tragfähigen, ebenso volumenstarken wie angenehm runden Timbre seiner Stradivari „Lady Inchiquin“ fügt sich der souverän auftretende Zimmermann ins Geschehen ein. Locker und leichthändig, aber mitunter auch fordernd energisch ist sein Spiel; etwas gewöhnungsbedürftig sind indes die bisweilen akzentuiert angerutschten Lagenwechsel, die einen Hauch salonesker Färbung vermitteln.
Das Elgar-typische, häufig kanonartig oder im Frage-Antwort-Modus erfolgende Wechselspiel mit dem Orchester erfolgt absolut reibungslos, die einzelnen Partien fügen sich organisch zu einem riesigen Spannungsbogen, der in eine immer rasanter werdende Schlussphase mit fettem Orchesterwumms einmündet.
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Stimmungsvoll zarte Klangfarben
Der ruhige Andante-Mittelsatz bietet pure Romantik. Eingangs mag noch etwas von der Wucht und drängenden Unruhe des Kopfsatzes zu spüren sein, aber dann kann man sich ganz einfach hineinfallen lassen in die enigmatisch verträumte Melodik, in die Gänsehaut generierenden Orchester-Pianissimos, die höchst empfindsam gestrichenen solistischen Ausführungen – jedenfalls so lange, bis alles dahinschwebt in allerfeinsten, wie aus einer längst vergangenen Zeit herüberklingenden wunderschönen Harmonien.
Derartige Passagen finden sich auch noch, und keinesfalls weniger intensiv, im folgenden Allegro-Satz, ganz besonders in der von Zimmermann bravourös und höchst expressiv dargebotenen Kadenz. Unterlegt vom orchestralen „Pizzicato tremolando“, einem sehr behutsamen, gitarrenartig gespielten Anschlagen der Geigensaiten, kommt dabei zeitweise eine nahezu geisterhaft mitternächtliche, melancholisch eingefärbte Stimmung auf. In der dann zunehmend lebhaften, stringent angelegten Finalphase demonstriert Zimmermann seine exzellente Virtuosität in den unzähligen, gleichermaßen furios wie präzise gestrichenen Finessen der Solopartie.
Der Schluss des Konzerts wischt alle Träumereien hinweg mit erneut imperialem Pomp. Das Publikum feiert die Ausführungen mit frenetischem Jubel; dennoch verzichtet Zimmermann wohlweislich auf eine Zugabe. Zu Recht: Dem Monument des Elgar-Violinkonzerts wäre dergleichen wohl eher abträglich gewesen.
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Guillotiniert harte Orchesterakkorde
Ob der Geiger Fritz Kreisler richtig lag, als er Elgar dereinst als alle anderen Komponisten überragend einstufte, das ließe sich an diesem Abend quasi im direkten Vergleich beurteilen. Nämlich anhand der nachfolgend dargebotenen „Eroica“, Beethovens grandioser Symphonie Nr. 3.
Letonja setzt durchgehend auf starke Kontraste: Hammerhart donnernde, wie guillotiniert wirkende Orchestertutti wechseln mit feinfühlig schwelgenden, nicht selten auch im Tempo deutlich zurückgenommenen Partien; mal geschieht dies in allmählicher, stufenlos aufblühender Entwicklung, mal in krassem, eruptivem Umschwung.
Ausnehmend klangvoll und berührend gerät der 2. Satz mit seinem eigentlich so simplen, aber gerade deshalb umso eindrucksvolleren Trauermarsch-Thema, das sich zwischenzeitlich zu emphatischen Gemütswallungen aufplustert, um kurz darauf resignierend in ruhig pulsierende Düsternis zurückzufallen. Koboldhaft huschig und zumeist mezzopiano folgt das Scherzo, dem die mittig strahlenden Hornfanfaren dazu einen überraschend munteren, optimistisch leichten Akzent verleihen.
Letonja gelingt es ausnehmend gut, über die gesamte Länge der Sinfonie eine ausgeprägte Spannungsintensität zu halten. Seine weitreichend angelegte Interpretation zeigt sich besonders auch im Finalsatz Allegro molto. Das scharfkantig markante Spiel des Orchesters verströmt gleißenden Strahlglanz, stoppt urplötzlich in einer Generalpause, die wie ein Doppelpunkt den dann einsetzenden, nachdenklich weichen, geradezu sphärischen Klangfarben vorausgeht. Schließlich, im sturmlauf-straffen Galopp, das glorios-heroische Ende, ein packend fetziges Presto voller geballter, endlich ausbrechender Energie.
Und wieder enthusiastischer Beifall, Bravos, Fußgetrampel. Brillanter hätte man das Motto „Jubelklänge“ an einem Konzertabend kaum umsetzen können. Hatte Kreisler mit seiner damaligen Äußerung Recht? Das mag jeder für sich beurteilen. So gänzlich verkehrt lag er jedenfalls nicht. Aber das dürfte am Ende dieser rundum gelungenen Aufführung ohnehin nur noch von akademischem Interesse sein…
Dr. Gerd Klingeberg, 14. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at