Auf den Punkt 43: Völkerwanderungen in der Elphi, während einer Mozart-Oper

Auf den Punkt 43: Idomeneo  Elbphilharmonie, 2. Februar 2025

René Jacobs © Daniel Dittus

In der letzten Folge meiner Kolumne ging es um Applaus an der falschen Stelle. Zwischen den Sätzen einer Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch nicht zu klatschen, ist eben keine verstaubte Regel. Und schon gar nicht sinnbefreite Etikette. Aber die Möglichkeiten, eine Aufführung zu stören, sind unendlich. Die Veranstalter hätten Möglichkeiten, gegenzusteuern. 

Wolfgang Amadeus Mozart / Idomeneo, Rè di Creta, KV 366

Freiburger Barockorchester
Zürcher Sing-Akademie

 René Jacobs / Dirigent

Elbphilharmonie, Großer Saal, 2. Februar 2025

von Jörn Schmidt

Wie beim Applaudieren geht es auch beim Nacheinlass um Respekt. Zur Frage, ob man nach einem Schostakowitsch-Moderato begeistert klatschen oder doch besser an sich halten sollte, hatte ich eine Parallelwertung vorgenommen: Würden Sie unvermittelt johlen und klatschen, wenn Ihnen ein Bekannter von Tod und Verderben erzählt? Wohl kaum.

Der Respekt vor Werk und Künstler und übrigens auch den Konzertbesuchern ist ebenso der Hauptgrund, warum dem, der zu spät kommt, nur eingeschränkt Zugang zu Konzert und Oper gewährt wird. Die Staatsoper Berlin hat das auf ihrer Website gut zusammengefasst:

Der Nacheinlass kann erst in einem künstlerisch geeigneten Moment erfolgen. Über diesen künstlerisch geeigneten Moment entscheiden in erster Linie das Werk selbst, der Regisseur oder der Dirigent. Am Abend selbst entscheidet der diensthabende Inspizient, ob eine Applauspause oder ein Bildwechsel einen Nacheinlass ermöglicht. Der Nacheinlass erfolgt nur am Rand in den Rängen, der Originalplatz kann daher gegebenenfalls nicht in Anspruch genommen werden. Diese Regelungen treffen im Übrigen nicht nur auf unser Opernhaus zu, sondern sind national und international so üblich. Es gibt allerdings auch Opernhäuser, die einen Nacheinlass von vornherein ausschließen.“

Die Elbphilharmonie gibt sich online noch strenger, in deren FAQ herrscht eigentlich klare Kante. Zur Frage, was denn passiert, wenn man zu spät kommt, wird klipp und klar ausgeführt: „Verspätete Konzertbesucher werden nach Möglichkeit während der Applauspausen zwischen den Werken eingelassen. Ein Nacheinlass kann jedoch nicht garantiert werden.

Die Praxis dort sieht zuweilen anders aus. Am 2. Februar 2025 zum Beispiel, während der konzertanten Aufführung von Idomeneo, im zweiten Akt, fanden mehrere Besucher Einlass ins Parkett (12 A / 12 B). Zu verschiedenen Zeitpunkten, jeweils an maximal unpassender Stelle. Davon eine Person mit dicker und vernehmlich raschelnder Daunenjacke in der Hand. Ein anderer Gast offensichtlich zurückkehrend vom Toilettenbesuch.

Elbphilharmonie © Daniel Dittus

Auch den Herausgeber von klassik-begeistert, Andreas Schmidt, haben die Publikumsbewegungen während des Stücks sehr gestört.

Für mich lässt das nur einen Schluss zu. Entweder waren die Saalordner unzureichend geschult und eingewiesen. Oder aber, die FAQ der Elbphilharmonie sind nicht mehr aktuell und Nacheinlass wird nunmehr großzügig gewährt.

Ich habe daher am 3. Februar 2025 frühmorgens per E-Mail eine entsprechende Anfrage an Dr. Mark Andris, Pressesprecher der Elbphilharmonie, gerichtet. Eine Antwort stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aus. Wir tragen das gegebenenfalls nach. Denn jetzt möchten Sie sicher erst mal wissen, wir der Idomeneo geraten ist.

Die Gesten von René Jacobs’ Dirigat wirkten überaus monoton. Die Hände, rechts wie links, führten auf den ersten Blick die ewig gleichen Bewegungen aus. Selten mal ein Ausreißer. Wie Einsätze gegeben wurden, konnte man nur ahnen. Vielleicht hier eine Bewegung des kleinen Fingers, dort ein zwinkerndes Auge? Leicht ausfahrender Ellenbogen links  für die Dynamik?

Aber genau das machte den Zauber des Abends aus. Jacobs gibt nicht viel auf herkömmliche Schlagtechnik und sein Dirigierfenster ist obendrein erfreulich klein. Was Jacobs an Ausdruck von der Bühne zurückbekommt, mochte so gar nicht zu dem zu passen, was der Zuschauer vom Dirigenten sieht.

Denn beschert wurde ein kühles, dabei äußerst farbenreiches, sinnliches Klangbild. Und ein ergreifend spielfreudiges Freiburger Barockorchester. Das ist bei Gastspielen keinesfalls selbstverständlich. Akzente und dynamische Steigerungen waren so gesetzt, dass trotz einiger Längen der Partitur die Spannung nicht abriss.

Die Zürcher Sing-Akademie machte Idomeneo zu einer großartigen Chor-Oper. Die Gesangssolisten waren aber allesamt so besetzt, dass sie in diesem Kontext nicht verblassten und zuweilen glänzen konnten. Großartig war das. Und das, obwohl mir die historische Aufführungspraxis sonst so gar nicht liegt.

René Jacobs’ Geheimnis ist, dass er der Musik ihre Lyrik belässt und letzte Geheimnisse wahrt. Die einschläfernd wirkende Gestik, so gesehen ein Spiel mit den Erwartungen des Publikums. So ein Fuchs.

Jörn Schmidt, 6. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 42: Einfach mal klatschen… Laeiszhalle, 30. Januar 2025

Kommentar von Dr. Brian Cooper: Verhaltenskodex für das 21. Jahrhundert klassik-begeistert.de, 28. April 2024

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