Norma © Monika Rittershaus
Manchmal ist es wirklich schwierig an Zufälle zu glauben – da spielen die Wiener Staatsoper und das Theater an der Wien ein selten gespieltes Werk fast zeitgleich. Und dann passiert es fast naturgemäß, dass Dank der Besetzung der Hauptrollen das Theater an der Wien haushoch überlegen ist.
Theater an der Wien, 4. März 2025
Vincenzo Bellini
Norma
Melodramma in zwei Akten
Mit: Asmik Grigorian, Aigul Akhmetshina, Freddie De Tommaso, Tareq Nazmi, Victoria Leshkevich, Gustavo Quaresma
Wiener Symphoniker
Dirigent: Francesco Lanzillotta
Arnold Schoenberg Chor
Regie Vasily Barkhatov
von Herbert Hiess
Wer Asterix und Obelix kennt, befindet sich thematisch schon am richtigen Weg. Denn wie bei den sympathischen Comicfiguren von Goscinny & Uderzo geht es in dem genialen Meisterwerk von Vincenzo Bellini um den Konflikt zwischen den Galliern (in dem Fall Norma und Adalgisa) und den Römern, die Gallien im ersten Jahrhundert vor Christus besetzt haben.
Pollione ist ein römischer Prokonsul, in den sich Norma verliebt hat und die mit ihm ihr Keuschheitsgelübde gebrochen hat. Außerdem hat sie zwei (uneheliche) Kinder, die sie verstecken muss. Offenbar ist die Liebe zwischen Norma und Pollione gebrochen; dieser hat sich in die junge Novizin Adalgisa verliebt.
So nimmt das manchmal verworrene Drama seinen Lauf; Bellini hat diese Geschichte in wunderschönste Melodien gegossen. Gesanglich stellt das Werk vor allem an Norma, Adalgisa, Pollione und Oroveso die allerhöchsten Ansprüche.
Nun muss man diese Geschichte einmal auf die Bühne bringen; und natürlich wollte man es augenscheinlich „zeitgemäß“ darstellen.
Wenn man den Zuschauerraum betrat, war die Bühne offen und man sah die Keramikfabrik, wo vor allem die Gallier die Arbeiter darstellten; ihre Produkte waren religiöse Tonfiguren. Dann schloss sich der Vorhang und das Vorspiel erklang. Der Vorhang öffnete sich mit dem Insert „10 Jahre später“ – da befand man sich wieder in der Keramikfabrik; allerdings schon in der römischen Besetzung.

Der Regisseur sagte im Interview (Programmheft) sinngemäß, dass er unabhängig von dem Gallier-/Römer-Konflikt zeigen wollte, wie er sich eine Diktatur vorstellt. Im Übrigen waren die Tonfiguren nicht mehr religiös, sondern Büsten vom Diktator.
Das mit dem Keramikwerk usw. ist natürlich Geschmackssache; Barkhatov erzählt die Geschichte schlüssig bis zum Ende – dazu kam eine ausgesprochen intelligente Personenführung. Der packendste Moment der Aufführung war das Finale vom ersten Akt, wo Adalgisa Norma über ihre neue Liebe zu Pollione vorschwärmte (unwissend natürlich, dass Norma mit ihm ein Verhältnis hatte) und Norma nach und nach realisieren musste, um wen es bei Adalgisas Erzählung geht. Als Pollione dann dazu kam, war die Krise perfekt. Und der russische Regisseur machte darauf ein Beziehungsdrama erster Klasse.

Und dieses Drama war in den besten Händen von Asmik Grigorian (Norma), Aigul Akhmetschina (Adalgisa) und Freddie De Tommaso (Pollione). Die drei, Grigorian allen voran, sind Singdarsteller, wie man es sich nur wünschen kann.
Der litauische Sopran Asmik Grigorian ist ja allseits bekannt; sogar mittlerweile durch Fernsehwerbungen. Sie hat eine klare und ausdrucksvolle Sopranstimme, der man öfters noch mehr Modulierungen und Klangfarben wünschen würde. Ihre Stimme ist eigentlich mehr dramatisch als Belcanto-mäßig; natürlich mit ihrem Schauspiel, ihrer Erscheinung (sie ist ja bildhübsch), ihrer Physiognomie usw. macht sie einige gesangliche Eigenschaften irrelevant. Auf der Bühne ist sie ein Traum, ob diese Rolle auf einer Tonaufnahme auch so eindringlich wirkt, sei dahingestellt. Auf alle Fälle hat sie ein enormes Durchhaltevermögen bewiesen und am Schluss zu Recht den Riesenerfolg eingeheimst.

Besonders beachten muss man hinkünftig die junge Russin Aigul Akhmetschina; sie war eine ganz hervorragende Adalgisa. Ihr Tonumfang ist mehr als beachtlich; ihre Stimme wunderschön und ausdrucksvoll und sie hat sich als hochinteressante Singschauspielerin präsentiert; im Finale vom ersten Akt war sie Frau Grigorian ebenbürtig. Ihre Stimme ist wahrlich besonders; musikalisch könnte sie noch an ein paar Punkten feilen – da fällt vor allem der Pianogesang ein. Aber dafür ist sie ja noch jung genug.

Und nicht zuletzt Freddie De Tommaso; der junge britisch-italienische Tenor bewies sich mit seiner durchschlagskräftigen Stimme als ein Atout der Besetzung. Als Spinto-Tenor hat er eine beachtliche und baritonale Mittellage und eine strahlende Höhe. Er scheute sich auch nicht davor, diese Höhen zu präsentieren – manchmal kippte vor lauter Begeisterung offenbar leicht die Intonation der hohen Töne; das tat dem Ganzen aber keinerlei Abbruch.
Tareq Nazmi war ein verlässlicher Oroveso; den Sänger hatte man „bassmäßig“ schon profunder erlebt. Irgendwie verließen ihn im zweiten Akt etwas die Kräfte.
Exzellent der Dirigent Francesco Lanzillotta, der die Wiener Symphoniker großartig einstudierte. Er war nicht „nur“ ein Begleiter der Sänger, sondern er gestaltete die meisterhafte Partitur mit guten Akzenten. Die Kantilenen arbeitete er akribisch heraus.
Chapeau für die Symphoniker; stellvertretend für das ganze Orchester gehört der junge Flötist Stefan Tomschitz vor dem virtuellen Vorhang, der in der Einleitung zur Arie „Casta Diva“ begeisterungswürdig zeigte, wie toll Bellinis Musik klingt.
Ahja, wegen der Doppelbespielung der Staatsoper und dem Theater an der Wien mit „Norma“. In der Staatsoper war ursprünglich Juan Diego Flórez der Pollione. Flórez musste krankheitshalber absagen; da kam es gelegen, dass Freddie De Tommaso hier kurzer Hand in der Staatsoper aushelfen kann.
So hat diese eher fragwürdige Doppelbespielung dann doch irgendwie einen Sinn gehabt!
Herbert Hiess, 5. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Vincenzo Bellini, Norma Wiener Staatsoper, 22. Februar 2025 (Premiere)
Klein beleuchtet kurz Nr 16: Norma in Hamburg Staatsoper Hamburg, 22. Februar 2024
„…da kam es gelegen, dass Freddie De Tommaso hier kurzer Hand in der Staatsoper aushelfen kann.“
Naja, es sei Freddie auch anzuraten, sich die WSO-Version reinzuziehen, denn im 2. Run ist er dort ohnehin auf der Besetzungsliste…
Waltraud Becker