Thielemann und die Staatskapelle Berlin brillieren mit einem furiosen Bruckner

Henze und Bruckner/Thielemann  Philharmonie Berlin, 25. März 2025

Christian Thielemann © Michael Pöhn

Dass sich am ersten Abend in der Staatsoper laut Medienberichten neben Kultursenator Joe Chialo der angehende Bundeskanzler Friedrich Merz blicken ließ, unterstreicht zweifellos die große Bedeutung von Thielemanns Präsenz als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper in der Stadt. Seine Exzellenz als Bruckner-Dirigent hat sich bis zu den Herrschaften in der Politik, die man sonst bei musikalischen Ereignissen der Hochkultur seltener sieht, offenbar herumgesprochen. So exquisit dirigiert hier kein Zweiter Bruckner. Verdienter Jubel!

Hans Werner Henze: Sebastian im Traum, Salzburger Nachtmusik auf eine Dichtung von Georg Trakl für Orchester

Anton Bruckner: Sinfonie Nr.6 A-Dur

Staatskapelle Berlin
Musikalische Leitung: Christian Thielemann

Philharmonie Berlin, 25. März 2025

von Kirsten Liese

Unter Anton Bruckners späteren Sinfonien erfreut sich die Sechste seltsamerweise keiner vergleichbaren Beliebtheit wie die Vierte, Siebte, Achte oder Neunte. Ist sie tatsächlich spröder, wie vielfach behauptet?

Ich selbst teile diese Ansicht angesichts der Fülle an herrlichen Themen und Motiven nicht, aber vielleicht ist sie der Grund dafür, dass Christian Thielemann für den ersten Satz einen borstigen Ansatz mit seiner Berliner Staatskapelle gewählt hat. Jedenfalls entfaltet er das Kopfthema auf dem ersten dynamischen Höhepunkt mit einer explosiven Wucht, die einen fast erschlägt. Ich muss gestehen, für mein Empfinden tönt es eine Spur zu aggressiv, noch dazu in einem Wahnsinnstempo, so dass sich die Musik fast überschlägt.

Explosive Wucht

Jedenfalls hat es beinahe schon etwas Brachiales, wie die Streicher, allen voran die tiefen, an dem von mir besuchten zweiten Abend in der Philharmonie, mit ihren Bögen über ihre Saiten peitschen, furchterregend und radikal als handle es sich im Strawinskys Sacre. Bruckners Tonsprache habe ich so bislang nicht erlebt, seinen ersten Satz hat er immerhin mit „Majestoso“ überschrieben. Und so würde ich mir den Kopfsatz, zumal in der strahlenden Tonart A-Dur, auch etwas festlicher und prächtiger wünschen, bei aller Mystik und Aufruhr und trotz der unbestritten der Musik innewohnenden großen Kraft.

Feinsinniges Lamento

Aber das ist mein einziger Einwand an einem Abend, an dem Christian Thielemann ansonsten alle Qualitäten einbringt, die ihn als genialen Bruckner-Dirigenten auszeichnen. Sie liegen vor allem wieder einmal im Lyrischen, sowohl im Kopfsatz als auch besonders im Adagio, wo nun Streicher und Holzbläser gleichermaßen wunderbar gesanglich – und da, wo die Musik ins Melancholische umschlägt – sehnsuchtsvoll musizieren.

Dieses Herzstück der Sinfonie mit seinen vielen Seufzern berührt zutiefst, wobei von der ersten Oboe über Klarinette und Flöten alle Solisten höchst feinsinnig und vom Herzen her musizieren. Thielemann gönnt dem Lamento alle Zeit der Welt, erkundet es entsprechend langsam und in sehr differenzierter Pianokultur, und hier und da, wo ein Gedanke abbricht, hält er spannungsreich für einen kurzen Moment die Zeit an.

Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin | Konzert zum Jahreswechsel am 31. Dezember 2024 © Stephan Rabold

Blitzsauberes Blech

Einen besonderen Reiz zwischen all den schwermütigen Anwandlungen und kantablen Linien bescheren freilich auch phrygisch anmutende Wendungen, die auf den Kirchenmusiker Bruckner verweisen.

Aus dem Scherzo bleibt bei Vielen vermutlich vor allem das Trio haften, mit dem reizvollen Wechsel zwischen den Pizzicati der Streicher und den darauf antwortenden Fanfaren im blitzsauberen Horn.

Im Finale lässt sich dann in der Tat besonders beispielhaft Bruckners große Originalität erfahren, die Detlef Giese in seinem klugen Text im Programmheft hervorhebt, in der Weise, wie der Spätromantiker Themen aus dem Kopfsatz mit vielen völlig neuen Motiven verwebt. Wie auf einer langen ereignisreichen Reise kehrt man am Ende an den Ausgangspunkt zurück, weshalb sich in dieser Sinfonie exemplarisch der Anfang im Ende hören lässt, wie der unvergessliche Celibidache es formulierte. Alle Sektionen im Orchester sind dabei stark gefordert samt des erstklassigen Paukisten, der seinen starken Wirbeln zum finalen Höhepunkt entsprechend dramatischen Nachdruck gibt.

Dabei erweist sich Thielemann abermals als famoser Baumeister, der jeden noch so kleinen Schnörkel, jede Überleitung, jeden Bläserchor in die Gesamtarchitektur genauestens einpasst. Alles wirkt wie abgezirkelt.

Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin | Konzert zum Jahreswechsel am 31. Dezember 2024 ©
Stephan Rabold

Düstere Nachtmusik von Henze

Dem Bruckner voran stellte Thielemann, sich auch der Moderne verpflichtet, ein Stück von Hans Werner Henze, Sebastian im Traum, eine Salzburger Nachtmusik, zu der sich der Komponist von einer Dichtung von Georg Trakl inspiriert fühlte. Analog zu dem rätselhaften Text, in dem der nahende Tod eine Rolle spielt, wähnt man sich in der düster und dumpf anmutenden Musik überwiegend in einem Alptraum.

Leichte Anflüge von traurigen Melodien überlagern oft Dissonanzen und wilde, aufstörende, hektische Passagen, aber ein völlig atonales Stück ist das nicht. Am originellsten wirkten hier auf mich ein keckes, forsches Gegacker in den Fagotten und ein tristanös angehauchtes Solo im Englischhorn.

Dass sich am ersten Abend in der Staatsoper, wie Medienberichten zu entnehmen, neben Kultursenator Joe Chialo der angehende Bundeskanzler Friedrich Merz blicken ließ, unterstreicht zweifellos die große Bedeutung von Thielemanns Präsenz als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper in der Stadt.

Seine Exzellenz als Bruckner-Dirigent hat sich bis zu den Herrschaften in der Politik, die man sonst bei musikalischen Ereignissen der Hochkultur seltener sieht, offenbar herumgesprochen. So exquisit dirigiert hier kein Zweiter Bruckner. Verdienter Jubel!

Kirsten Liese, 26. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Berliner Staatskapelle, Christian Thielemann; Neujahrskonzert Staatsoper Unter den Linden, 1. Januar 2025

Antrittskonzert Christian Thielemann, Berliner Staatskapelle, Igor Levit, Klavier Philharmonie Berlin, 8. Oktober 2024

Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann Dirigent, Schumann und Bruckner Berliner Philharmonie, 15. September 2024

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