Foto: Marco Borggreve (c)
Giacomo Puccini, Tosca, Deutsche Oper Berlin, 30. September 2018
Anja Harteros ist die Tosca assoluta. Das macht ihr – noch – keine nach. Sie singt Tosca nicht, sie ist Tosca.
Ulrich Poser berichtet über die Tosca aus der Deutschen Oper Berlin vom 30. September 2018
Einstein hat uns gelehrt, dass, flöge man z.B. 1 Sekunde in Lichtgeschwindigkeit hin und sodann 1 Sekunde in Lichtgeschwindigkeit zurück, hier alles ein paar Jahrhunderte älter wäre, wenn man denn zurück käme. Manche Leute verstehen das.
Edmund Stoiber wollte uns davon überzeugen, dass man mit dem Transrapid in nur 10 Minuten vom Marienplatz in München zum Franz-Josef-Strauß Flughafen fahren könne. Er hat es leider nicht geschafft.
Die deutsche Eisenbahn vollbringt es (meistens) den Operninteressierten in etwa 100 Minuten aus der Hansestadt in die Hauptstadt zu chauffieren, um sich – in diesem Fall – die 392. Aufführung der Tosca-Inszenierung von Boleslaw Barlog aus dem Jahre 1969 ansehen und anhören zu können.
Zur Inszenierung gibt es nicht viel zu sagen, da alles schon gesagt ist. Besser, zeitgemäßer und schlüssiger kann man Tosca nicht inszenieren. Diese Inszenierung ist ein Klassiker und trifft alles auf den Punkt: Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg. Der Höhepunkt ist das betörende wunderbare Tosca-Blau des Himmels vor Sonnenaufgang im 3. Akt. Barlog hat 1969 ein zeitloses Meisterwerk geschaffen, das ohne bedeutungsschwangeren Firlefanz auskommt und in seiner Schlichtheit und Geradlinigkeit seinesgleichen sucht. Alle anderen Tosca-Deutungen scheinen überflüssig. Mögen die Verantwortlichen uns diese Delikatesse noch sehr lange erhalten.
Zurück zu Zeit und Raum: 280 Kilometer und rund 100 Minuten von Hamburg entfernt ist vieles anders, als bi uns to hus: Schlangen vor der Abendkasse, Suche-Karte-Schilder, ein ausverkauftes Haus. Darunter viele junge Leute und eben nicht nur Teilnehmer vom Anbieter Weißkopf-Reisen.
Woran liegt das?
Ad 1: An der Inszenierung, die Jung und Alt begeistert. Siehe oben.
Ad 2: An einem der besten Orchester Deutschlands, das von Piere Giorgio Morandi souverän geführt Puccini vom Feinsten präsentiert. Das Blech: Fehlerfrei! Der Orchestersound: Klar, schwelgerisch und dramatisch. That’s Puccini!
Ad 3: Die Sängerbesetzung. Anja Harteros ist die derzeitige Tosca assoluta. Das macht ihr – noch – keine nach. Sie singt Tosca nicht, sie ist Tosca. Und das liegt nicht daran, dass Harteros ein wenig wie die Callas aussieht. Ihre Arie „Ich lebte für die Kunst, lebte für die Liebe“ wird zur Lektion: Inniger, überzeugender, wahrhaftiger und schöner kann das derzeit Keine singen. Da gibt es keine 2 Meinungen!
Marcelo Álvarez gehört ebenfalls zu den ganz Großen. Bereits sein „Recondita armonia“ trieb einem die Freudentränen in die Augen. Im Liebesduett vereinigten sich Harteros und Álvarez dann stimmlich derart, dass man es bedauerte, dass der Abend nicht mitgeschnitten wurde. Waren die Küsse wirklich nur gespielt? Ein wohliger Schauer jagte den anderen.
Und Erwin Schrott als Scarpia lieferte die Überraschung des Abends: Er sang den Bösewicht derart schwarz, laut, textverständlich, überzeugend und dynamisch, dass er vom Publikum zu Recht am meisten gefeiert wurde. Dieser Sänger aus Uruguay ist ein Paradescarpia vom Format eines Sheril Milnes bzw. Ingvar Wixell. Bleibt zu hoffen, dass er möglichst bald und des Öfteren 100 Minuten in eine Reise investiert…
Was unterschied also diesen wundervollen besonderen Opernabend von anderen Aufführungen? Es war die Magie, die sich ausgehend von den hervorragenden Protagonisten, der einmaligen Inszenierung und dem makellosen Orchesterklang über das hingerissene Publikum wie ein Nebel ausbreitete und das ausverkaufte Haus in einen kollektiven Freudentaumel versetze.
Ich schreite kaum, doch wähn’ ich mich schon weit. Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit. In nur 100. Minuten!
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