Christian Thielemann leitete ein hochkarätig besetztes Wagner-Konzert an der Salzach.
Foto: Winterstürme: Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, Stephen Gould, Anja Kampe Strecke © OFS/M. Creutziger
Osterfestspiele Salzburg, 31. Oktober 2021
Richard Wagner: Die Walküre. 1. Aufzug
Aus der Götterdämmerung: Morgendämmerung, Siegfrieds Rheinfahrt, Siegfrieds Trauermarsch und „Starke Scheite schichtet mir dort“ – Schlussgesang der Brünnhilde
Anja Kampe, Sopran
Stephen Gould, Tenor
René Pape, Bass
Sächsische Staatskapelle Dresden
Leitung: Christian Thielemann
von Kirsten Liese
Es ist noch nicht allzu lange her, als die Ära Thielemann bei den Osterfestspielen Salzburg mit einer Aufführung der Walküre anlässlich des 50-jährigen Bestehens einen Höhepunkt erreichte. Sie war nicht nur musikalisch eine Wucht wie immer, wenn der geniale Wagnerdirigent am Pult steht, sondern auch szenisch dank der nachrekonstruierten originalen Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen, die dieser einst zu den allerersten Osterfestspielen für Karajan entworfen hatte. Diese in jeder Hinsicht einzigartige Produktion wird mir lebenslang unvergessen bleiben. Wiewohl auch die Begeisterung beim Publikum ungebrochen war, blieb sie leider gleichwohl ein Solitär. Allzu gerne hätte man in dieser Form auch noch die übrigen Teile des Ring-Zyklus gesehen und gehört. Aber das war mit Intendant Peter Ruzicka nicht zu machen.
In diesem Jahr nun hätte eigentlich Puccinis Turandot zur Aufführung kommen sollen, was aber am Lockdown im Frühjahr scheiterte, so dass nach mehrfachen Umplanungen in Sache Oper nur der erste Akt aus der Walküre übrig blieb, kombiniert mit einer Kompilation aus orchestralen Zwischenspielen aus der Götterdämmerung und dem Schlussgesang daraus. Aber was heißt hier bitte schön „nur“? So vortrefflich durch die Bank gesungen und musiziert wurde, galt es Sternstunden zu erleben, die sich einem tiefer einbrennen als manch vollständige Aufführungen, denke ich da nur an die verkorkste Götterdämmerung unlängst an der Deutschen Oper Berlin.
Einen Vorteil hatte die konzertante Form bei alledem freilich auch: Während üblicherweise das Orchester im Graben Platz nimmt, konnte man es samt seinem Dirigenten einmal sehen und dabei so manche Details noch bewusster wahrnehmen. Gerade die Walküre ist ja – wie es der Cellist Wolfgang Boettcher so richtig bemerkte und insbesondere der Wälsungen-Akt – eine Cellooper, von den ersten aufwühlenden Aufgängen an über die höchst spannungsvoll zunächst immer leiser werdenden, dann crescendierenden Tonfolgen vor Sieglindes erstem Einsatz bis hin zu dem so berührenden Solo in dem Moment, wo die Liebe zwischen Bruder und Schwester aufkeimt, wunderbar intim und mit dem denkbar zärtlichsten Ton gespielt von Solo-Cellist Norbert Anger!
Über Christian Thielemanns Qualitäten als Wagnerdirigent wurde eigentlich schon alles gesagt. Auch diesmal durchlebt er die Musik mit Haut und Haaren, wirkt bei ihm alles aufs Feinste ziseliert und die gesamte Musik samt majestätischen Bläserchören, lyrischen Holzbläsersoli und unheilvollen Paukenwirbeln dramaturgisch wie abgezirkelt.
Wie ein kleines Wunder erscheint es bei alledem, dass man Thielemann nicht im geringsten die Vielzahl von Aufführungen dieser Werke, die er auf dem Buckel hat, anmerkt – gezählt habe ich sie nicht, aber da dürfte so einiges zusammenkommen. Nicht einen Moment schleicht sich die geringste Routine ein, im Gegenteil: Thielemann verzehrt sich jedes Mal erneut mit Haut und Haaren für die Musik, die er in ihrer Aufgewühltheit, Dramatik, Erhabenheit und Schönheit so durchlebt, als wäre es das erste Mal. Und so meint man als Zuhörer, dass es jedes Mal noch großartiger war als beim letzten, weil alles so unmittelbar und kompromisslos musiziert wird. Darin freilich vermittelt sich auch das Bekenntnishafte, die große Liebe dieses Künstlers zu dieser Musik.
Die andere Besetzung gegenüber 2017 trug gewiss auch einen Teil zu diesem Eindruck bei. Anja Kampe, weiland in der Jubiläumsaufführung die Brünnhilde, gab nun eine nicht minder grandiose Sieglinde und das mit einer inzwischen nicht nur noch größer gewordenen Stimme, sondern auch einer Gestaltungskraft, die sie als eine der besten Wagnersängerinnen unserer Zeit ausweist, dies vor allem in ihrer großen Szene „Der Männer Sippe“, in der etwa auch die sehr gut ausgebildete sonore Mittellage hörbar wird, wie man sie sonst nur Sängerinnen aufbieten können, die ihre Karriere als Mezzosopran starteten.
Manch einen mögen ja am meisten die Spitzentöne beeindruckt haben, die Kampe mühelos und souverän mit großer Durchschlagskraft abliefert, aber ihr größter Moment ist noch ein anderer: „Lass mich der Stimme lauschen: mich dünkt, ihren Klang hört’ ich als Kind“, heißt es da. Zum Ausklang der Phrase wird sie – dies freilich unterstützt von Christian Thielemann, zu dessen Spezialitäten solche Spannungsmomente zählen- lange immer leiser auf dem letzten Wort, dem sie dann noch bis ins verhallte Nichts gebannt nachlauscht. Da bleibt für einen Moment die Zeit stehen. Da hört man auf zu atmen.
Auch Stephen Gould, den man in letzter Zeit sehr unterschiedlich erlebt hat und stimmlich schon ein bisschen in den Herbst gekommen schien, läuft an diesem Abend in Salzburg zu Hochform auf. Sein Siegmund verströmt große Virilität, seine mächtigen, dramatischen Wälse-Rufe erschüttern das Mark. Und bei den berühmten „Winterstürmen“ wird diese imposante große Stimme auch noch einmal durchdrungen von lyrischer Schönheit.
Den Dritten im Bunde gibt mit seinem ebenfalls mächtigen, großen Bass René Pape als sehr furchteinflößender, unheimlicher Hunding, bei dem jede – freilich höchst kultiviert vorgetragene Phrase – das Blut gefrieren lässt. „Hüte dich wohl!“, diese mahnenden Worte zu seinem Abgang sitzen einem noch in der Pause in den Knochen.
Bei der orchestralen Kompilation aus der Götterdämmerung, die dann folgte, kam die große Stunde der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die sich hier abermals – nun aber als Protagonist – unter seinem Chefdirigenten als absolute Weltklasse empfahl, insbesondere im Trauermarsch, der mit seinen großformatigen Fortissimo-Klängen aufwühlt und bei dem Dirigent und Orchester wie um ihr Leben spielten.
Und dann sage ich nur Anja Kampe! Denn nun kehrte sie für den gewaltigen Schlussmonolog „Starke Scheite schichtet mir dort“ auf die Bühne zurück, gesegnet mit allen Qualitäten einer Hochdramatischen und zutiefst berührend beim tröstlichen tiefen „Ruhe, ruhe du Gott“. Allein fast 25 Minuten dauert dieser Schlussgesang abzüglich des Nachspiels, und ich muss gestehen, in jüngerer Zeit habe ich ihn selten so berührend und exquisit gehört.
Die stehenden Ovationen gebührten am Ende folglich beiden, Dirigent und Sängerin. Nochmal und nochmal und nochmal kehrten sie, vom überwältigten Publikum herbeigeklatscht, aufs Podium zurück unter Bravo-Rufen, die kein Ende nahmen, und mit Christian Thielemann als einem perfekten Kavalier, der zum Dank seiner Solistin zärtlich den Arm über die Schulter legte.
„Das ist ein tolles Publikum“, hörte ich meinen Sitznachbarn sagen, und in der Tat, trotz FFP2-Maske, im Großen Festspielhaus immer noch Pflicht, ließ er es sich nicht nehmen, seine Begeisterung anhaltend lange und mit Emphase zum Ausdruck zu bringen. Was für ein Abend!
Kirsten Liese, 1. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspielhaus, 29. Juli 2021
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2021
Die Walküre (1. Aufzug) von Richard Wagner Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 13. Mai 2021