Foto: Claudia Höhne (c)
Arvo Pärt
Solfeggio
Fratres / Fassung für Violine, Streicher und Schlagwerk
Nunc dimittis für gemischten Chor a cappella
Salve Regina für gemischten Chor, Celesta und Streichorchester
Da pacem Domine / für Chor und Streichorchester
Silouans Song »My Soul yearns after the Lord«
Wallfahrtslied für Männerchor und Streichorchester
Adam’s Lament für Chor und Streichorchester
Estnisches Wiegenlied / für Frauenchor oder zwei Frauenstimmen und Streichorchester
Chor des Lettischen Rundfunks
Sinfonietta Rīga
Dirigent Sigvards Kļava
Elbphilharmonie Hamburg
von Ricarda Ott
Immer wieder bricht die Musik ab – eine tiefe Stille übermannt den Großen Saal der Elbphilharmonie. Dann fächert sich das Sängerkollektiv episodisch auf: aus einer Klangfläche wird ein Raum. Wie vom Wind aufgewirbelte Eiskristalle spielen die Streicher klirrend und funkelnd schön. Unter all dem fließt ein tiefer, unendlicher Ton aus den Bässen heraus und legt sich wärmend, tröstend über die Welt.
So ungefähr klang der „Musikabend für die Seele“ im neuen Hamburger Konzerthaus – die Eröffnung des Festivals „Lux aeterna“. Im Laufe des Februars finden in ganz Hamburg Konzerte und Veranstaltungen statt. Das einende Motiv: die spirituelle und transzendente Kraft von Musik als wärme- und sinnspendender Trost im nass-grauen Februar.
Musikalisch drehte sich alles um Arvo Pärt. Der estnische Künstler (*1935), einer der erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart, wurde im Portrait vorgestellt. An vielen musikalischen Stilen des 20. Jahrhunderts hat sich Pärt im Laufe seines Schaffens versucht. Am Donnerstagabend lag der Fokus auf den von tiefer Gläubigkeit des Künstlers durchdrungenen Werken, die in ihrer Einfachheit und ehrlichen Sinnlichkeit wie geschaffen scheinen für ein Festival der Spiritualität und Transzendenz in der Musik.
Die Protagonisten des Abends kommen aus Riga, der Hauptstadt Lettlands, und sind wahre „Arvo-Pärt-Spezialisten“. So gewannen der Chor des Lettischen Rundfunks und die Sinfonietta Riga 2014 zuletzt den Grammy für ihre Einspielung der Pärt-Komposition Adam’s Lament. Nicht selten sogar arbeiten sie mit dem Komponisten aus dem baltischen Nachbarland Estland zusammen – ein seltenes und wunderbares Geschenk, wie einige Chormitglieder klassik-begeistert.de berichteten.
Vierundzwanzig Sänger und dreiundzwanzig Musiker sind es also, die den großen Raum der neuen „Klang-Kathedrale“ an diesem Abend mit ihren verzaubernden Stimmen füllen. Sie agieren oft im Kollektiv, mal A-Capella und mal nur im Männerchor. Neun Kompositionen, die in ihrer Dauer, ihrem Ausdruck, ihrer Botschaft nicht unterschiedlicher sein könnten.
Direkt im ersten Stück – Solfeggio – beweist der Chor, dass die menschliche Stimme doch eigentlich das schönste Instrument ist. Glockenhell und profund-tief schweben die Stimmen über die C-Dur-Tonleiter: miteinander verschmelzend, sich ergänzend und spannungsvoll reibend erlebt man die zerbrechliche Intonation.
Fratres, das in vielen Bearbeitungen vorliegt und am Donnerstagabend mit Solovioline, Streichorchester und Schlagzeug erklang, besticht durch formale Simplizität – liegender Basston versus repetitives und bewegtes Melodiemotiv der Violinen – sowie der dynamischen Spannung: aus der Tiefe beginnt das Stück in leisem Piano, steigert sich ins Forte, um dann zur Ruhe kehrend erneut im Piano zu versinken.
Vor der Pause erklingen dann noch drei Werke: Nunc dimittis, Salve Regina und Da pacem Domine, die Pärts inniges Verhältnis zur Religion widerspiegeln: Texte aus dem Neuen Testament, ein Mariengesang und vertonte Bibelverse. Dazu eine Musik, die selbstverständlich von der einfachen und doch so klanggewaltigen Gregorianik inspiriert ist: einfach und doch nicht simpel, schwebend leicht und doch erdend.
Der zweite Konzertblock hält dann neben einem Orchesterwerk und zwei Liedern das vielseitigste und vielleicht komplexeste Werk des Abends: Adam’s Lament. Über Texten des Heiligen Siluan von Athos (1866-1938), wunderschön im russischen Original gesungen, entfaltet sich eine kontrastierende Mischung unterschiedlichster Klänge. Monoton und virtuos, rau und samtig, klar und verschwommen.
Sowohl der Chor des Lettischen Rundfunks als auch die Musiker der Sinfonietta Riga bieten diese Musik berührend schön dar. Jeder einzelne Protagonist auf der Bühne trägt zum transparenten, schwebenden Klanggebilde bei, das vom lettischen Dirigenten Sigvards Klava geformt und zusammengehalten wird. Ruhig und doch mit Spannung markiert er die zum Teil schweren Einsätze, die die Stimmgruppen fast immer mit beeindruckender Konformität meistern. Gemeinsam atmen sie diese Musik.
Mit großem Applaus bedankt sich das Hamburger Publikum bei den Musikern von der anderen Seite der Ostsee. Arvo Pärts andächtige Musik hat die meisten Zuhörer an diesem Abend durchdrungen und ergriffen. Sie erahnen die hypnotische Wirkung dieser Musik und der ihr immanenten spirituellen Kraft. Wirklich ganz in das Werk hineinzutauchen und somit der Realität des Konzertsaales zu entkommen, das schafft man aber dennoch nicht. Für ein solches Programm ist der Saal vielleicht doch zu weitläufig, das Publikum zu unruhig und leider auch viel zu erkältet.
Während die Auftaktkonzerte der beiden vorangegangenen Festivals in Hamburger Hauptkirchen begannen (2013 St. Michaelis und 2015 St. Katherinen), folgt nun in diesem Jahr die neuste „Klang-Kathedrale“, die zwar ähnlich imposant ist, aber doch eine ganz andere Akustik bereithält. Die Musiker wissen die Vorteile des Großen Saales für sich zu nutzen: Es ist wunderbar, dass die Transparenz und Unmittelbarkeit der „Elphi“-Akustik die Individualität dieser Musik trägt. Dennoch kommt man nicht umhin, beim ein oder anderen Stück den Nachhall zu vermissen, diesen bis in die Seele reichenden Hall geistlicher Klänge in sakralen Räumen.
Ricarda Ott für klassik-begeistert.de,
10. Februar 2017